Wikileaks-Gründer:Aufschub für Assange

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Unterstützer Julian Assanges protestieren in London gegen seine Auslieferung. (Foto: Toby Melville/REUTERS)

Der Londoner High Court verlangt vor einer Auslieferung des Whistleblowers an die USA von dort diverse Zusicherungen. Etwa dürfe er nicht zum Tode verurteilt werden.

Von Thomas Kirchner

Der Rechtsstreit über die Auslieferung des in Großbritannien festsitzenden Wikileaks-Gründers und Whistleblowers Julian Assange an die USA geht in die Verlängerung. Der High Court in London entschied am Dienstag, Assange dürfe erst ausgeliefert werden, wenn die USA eine Reihe von Zusicherungen gemacht hätten. Dazu wurde ihnen drei Wochen Zeit gegeben. Es solle sichergestellt sein, dass sich Assange in den USA auf die Meinungsfreiheit berufen könne; dass ihm aus seiner australischen Staatsbürgerschaft keine Nachteile entstünden; und dass er keinesfalls zur Todesstrafe verurteilt werde.

Treffen diese Zusicherungen ein und befriedigen sie das Gericht, wird Assange ausgeliefert. Andernfalls erhält er in Großbritannien ein Berufungsverfahren. Darüber will das Gericht am 20. Mai entscheiden.

Die US-Regierung will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Für alle 18 Anklagepunkte zusammen drohen dem 52-Jährigen maximal 175 Jahre Haft. Die US-Regierung wirft ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning in den Jahren 2010 und 2011 geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Unterstützer sehen ihn hingegen als Journalisten, der wegen der Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen ins Visier der Justiz in Washington geraten ist.

Seit 2019 sitzt Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh

Unter anderem veröffentlichte Assange geheimes Videomaterial über einen Beschuss durch amerikanische Helikopter in Bagdad, bei dem 2007 ein Dutzend Zivilisten getötet wurden. Das Wikileaks-Material wurde internationalen Medien gegeben, die Teile davon publizierten. Assange sitzt seit 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Er ist gesundheitlich angeschlagen. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich mehrere Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später aus Mangel an Beweisen fallen gelassen.

Stella Assange (vorn) wird vor dem Gerichtsgebäude in London unter anderem von Unterstützern ihres Ehemannes Julian begrüßt. (Foto: Stefan Rousseau/dpa)

Assanges Ehefrau Stella hatte gewarnt, ihr Mann sei in derart schlechter Verfassung, dass er sich in einem US-Gefängnis voraussichtlich das Leben nehmen werde. Dieses Argument hatte der High Court Ende 2021 zurückgewiesen, als er Assanges Auslieferung billigte. Im Jahr darauf bestätigte der Supreme Court, das oberste britische Gericht, diesen Urteilsspruch. Auch die damalige Innenministerin Priti Patel stimmte der Auslieferung zu. Im aktuellen Prozess am Dienstag ging es nur noch um die Frage, ob der Australier ein Berufungsverfahren erhält.

Inhaltlich fiel die 66 Seiten umfassende Entscheidung des High Court vom Dienstag eher zuungunsten Assanges aus. Sechs von neun Punkten seines Berufungsantrags lehnten die Richter ab, darunter das Argument, er werde wegen seiner politischen Ansichten verfolgt. Zwar habe Assange aus politischen Motiven gehandelt. Daraus folge aber nicht, dass die USA ihren Wunsch nach Auslieferung auf seine politischen Ansichten gestützt hätten. Auch das Argument, Assange könne in den USA grundsätzlich nicht mit einem fairen Verfahren rechnen, sei unbegründet.

Wird die US-Regierung Assange einen Deal anbieten?

Stella Assange nannte die Entscheidung "erstaunlich". Der High Court lade die USA zu einer "politischen Intervention" ein, sagte sie vor dem Gerichtsgebäude. Statt die verlangten Zusicherungen abzugeben, solle die US-Regierung diesen "schändlichen Fall" beenden. Das Wall Street Journal hatte kürzlich über einen möglichen Deal berichtet, den die US-Regierung Assange anbieten könnte. Danach würden die USA die Anklage wegen Spionage fallen lassen, wenn Assange sich stattdessen wegen "Informationsmissbrauchs" schuldig bekennen würde. Das Strafmaß wäre in diesem Fall deutlich geringer und könnte, weil die bisherige Haftzeit angerechnet werden müsste, zu einer baldigen Freilassung führen.

Sollte der High Court im Mai die Berufung ablehnen, wäre der nationale Rechtsweg erschöpft. Assange bliebe nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), und zwar in Form eines Antrags auf den Erlass vorläufiger Maßnahmen, der bei Erfolg aufschiebende Wirkung hätte. Der EGMR, eine Institution des Europarats, wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Als Signatarstaat ist Großbritannien eigentlich verpflichtet, Entscheidungen des Straßburger Gerichts umzusetzen. Das Land macht das in der Regel auch.

So setzte es 2022 nach einem Einspruch des EGMR den ersten Transport eines abgelehnten Asylbewerbers nach Ruanda aus. Allerdings hat sich die schon vor dem Brexit begonnene Diskussion über das Verhältnis des Landes zum Straßburger Gericht verschärft. Vor allem Vertreter der politischen Rechten kritisierten Entscheidungen, Konservative wie die zeitweilige Innenministerin Suella Braverman forderten offen einen Austritt aus der Menschenrechtskonvention.

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