Judenhass in Deutschland:"Antisemitismus ist gefährlich, ist lebensgefährlich"

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Ein Demonstrant gibt am Brandenburger Tor in Berlin seiner Solidarität mit Israel Ausdruck. (Foto: Christian Mang/Reuters)

Ob auf deutschen Straßen oder im Netz: Judenhass ist präsent. Das Bundesbildungsministerium gibt daher zwölf Millionen Euro für die Antisemitismusforschung aus. Erste Projekte gehen nun an den Start.

Von Sara Maria Behbehani, Berlin

"Antisemitismus darf in Deutschland keinen Platz haben", sagt Anja Karliczek, als sie am Mittwoch in Berlin über den Stand der wissenschaftlichen Untersuchungen auf diesem Feld spricht. Der Satz der Bundesministerin für Bildung und Forschung transportiert mehr als eine leicht gesagte Forderung, er ist angesichts der Judenfeindlichkeit in deutschen Städten und Chatgruppen eine Selbstverpflichtung. Zunehmend offen tritt der Antisemitismus hier zutage, ob in den populär gewordenen Verschwörungsmythen sogenannter Querdenker, mit Anti-Israel-Parolen und zerstörten Flaggen bei den Nahost-Protesten im Mai oder in den Terroranschlägen von Halle und Hanau.

Anfeindungen und Bedrohungen von Juden hätten eine neue Qualität erreicht, warnt Karliczek, jüdisches Leben sei in Deutschland so bedroht wie lange nicht mehr. Die Zahlen lieferte die Ministerin gleich mit: 2020 wurden 2351 antisemitische Vorfälle polizeilich gemeldet, im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme um 15 Prozent.

Karliczeks Ministerium will nun Wissenschaftler aus ganz Deutschland in den kommenden vier Jahren darin unterstützen, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus - generell gesellschaftliche Radikalisierung - zu erforschen. Zwölf Millionen Euro sind allein für das Thema Antisemitismus vorgesehen. Dabei sollen nicht nur die Ursachen und die Verbreitung von Judenfeindlichkeit praxisbezogen untersucht werden, sondern auch Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Behörden und die Zivilgesellschaft sollen konkrete Vorschläge erhalten, wie sie Antisemitismus in Wort und Tat entgegentreten können.

"Angesichts unserer Geschichte haben wir für unsere jüdischen Mitmenschen eine ganz besondere Verpflichtung, jüdisches Leben in Deutschland zu beschützen", betont Karliczek. "Dass Jüdinnen und Juden sich in unserem Land bedroht fühlen, das ist eine Situation, die ist für Deutschland mehr als beschämend." Das Gift von Antisemitismus, Nationalismus und Rechtsextremismus wirke weiter, deshalb dürfe man nicht zulassen, dass es etwa Versuche gebe, den beispiellosen Zivilisationsbruch der Schoah zu relativieren.

Lehrer sollen Unterrichtsmaterial bekommen

Die ersten Projekte zur Erforschung und Prävention von Antisemitismus laufen in diesen Tagen an. In zehn Forschungsverbünde mit 31 Einzelvorhaben sind Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen eingebunden, die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Auch an Schulen muss sensibilisiert und aufgeklärt werden, schließlich ist es in den vergangenen Jahren dort unter Kindern und Jugendlichen zu antisemitischen Vorfällen gekommen. Um solchem Judenhass vorzubeugen, soll geeignetes Unterrichtsmaterial entwickelt werden. "Dadurch können wir Lehrkräften am Ende etwas an die Hand geben", erklärt Karliczek.

Ein thematischer Schwerpunkt ist der Judenhass im Internet. "In der Anonymität des Netzes verbreiten sich Verschwörungstheorien, aber auch verbale direkte Angriffe besonders schnell", sagt Karliczek. Das Verbundvorhaben "Respond " verfolge deshalb das Ziel, eine Gegenstimme zur Bekämpfung antisemitischer Hassreden im Netz zu entwickeln. Dafür werden zum einen die Ausprägung von Antisemitismus in den sozialen Medien und die Empfänglichkeit junger Menschen analysiert. Zum anderen soll das Team Trainings im Umgang mit Antisemitismus wie auch zum Aufbau von Medienkompetenz entwickeln.

Frank Bajohr, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München, der dem Expertenbeirat der Förderlinie angehört, betont in Berlin, wie wichtig es sei, dass die Forschung nun auch vermehrt digitale Inhalte in den Blick nehme. "Aus wissenschaftlicher Sicht überzeugt der Ansatz, notwendige Grundlagenforschung zu stärken, konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln und interdisziplinäre Forschung zu fördern", sagt er.

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, sieht in der Förderung einen wichtigen Baustein der Gesamtstrategie gegen Judenhass. Dieser werde in vielen aktuellen Formen auf die Straßen getragen, nicht zuletzt durch die sogenannten Querdenker. Dabei machten vereinfachte Erklärungsmuster häufig "die Juden" für etwas verantwortlich. Gerade diese Zuschreibung von besonderer Macht, diese Ideologie von geheim agierenden dunklen Kräften, sei ein Kern des Antisemitismus.

Zu den Themen der geförderten Projekte zählen auch der Umgang der Justiz mit antisemitischen Vorfällen und die Vermittlung jüdischer Alltagskultur. Sich zu kennen und kulturelle Besonderheiten wahrzunehmen, sei ein besonders wichtiger Punkt für gesellschaftlichen Zusammenhalt, so Karliczek. Auch Felix Klein betont diesen Aspekt, die jüdische Kultur müsse neu in den Blick genommen, jüdisches Leben müsse sichtbarer werden. Halle und Hanau hätten gezeigt: "Antisemitismus ist gefährlich, ist lebensgefährlich."

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