Gesellschaft:"Eine nie dagewesene Welle von Hass im Netz"

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"In Deutschland landen kaum Fälle vor Gericht", sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman. (Foto: Bernd von Jutrczenka/DPA)

Immer mehr Betroffene wenden sich an die Antidiskriminierungsstelle. Die Bundesbeauftragte Ferda Ataman will auch Menschen beraten können, die im Kontakt mit Ämtern, Schulen, Justiz oder Polizei zurückgesetzt wurden.

Von Simon Sales Prado, Berlin

Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind im vergangenen Jahr so viele Anfragen eingegangen wie nie zuvor. Das geht aus einem Bericht hervor, den die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman in Berlin vorgestellt hat. Am häufigsten haben sich Menschen gemeldet, die rassistisch oder aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert wurden. Fast 9000 Beratungsanfragen waren es im vergangenen Jahr insgesamt. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von etwa 14 Prozent, verglichen mit Werten vor der Pandemie sogar eine Verdoppelung.

"Als Antidiskriminierungsbeauftragte beobachte ich mit großer Sorge eine Rückkehr des Ressentiments in politischen Debatten und eine noch nie dagewesene Welle von Hass im Netz", sagt Ferda Ataman, die auch die Antidiskriminierungsstelle leitet. Transfeindlichkeit, Antisemitismus sowie Hass auf Muslime und Roma würden oft geballter auftreten als zuvor. Es gäbe so viele Anfragen, dass die Antidiskriminierungsstelle nicht alle Menschen beraten könne. Und: Ataman spricht von der Spitze des Eisbergs.

Ataman betont den Reformbedarf beim Gleichbehandlungsgesetz

Die zahlreichen Anfragen lassen zwar keine Rückschlüsse auf einen Anstieg von Diskriminierung in Deutschland zu, Ataman erkennt darin aber ein wachsendes Bewusstsein für Antidiskriminierung. "Immer mehr Menschen informieren sich über ihre Rechte, immer mehr Menschen haben den Mut, Diskriminierung anzusprechen", so Ataman. An politische Parteien appelliert sie, diese Haltung aus der Bevölkerung aufzugreifen. "Antidiskriminierung spaltet nicht, sie vereint."

Mehr als 6600 Anfragen im vergangenen Jahr bezogen sich auf Diskriminierungsmerkmale, gegen die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt. Dazu gehören etwa Alter, Behinderung, Geschlecht, Religion, sexuelle Identität sowie rassistische und antisemitische Diskriminierungen. Das Gesetz gilt für Vorfälle auf dem Arbeitsmarkt oder im Bereich sogenannter Alltagsgeschäfte - etwa dem Einkauf oder der Wohnungssuche. In diesen Fällen kann die Antidiskriminierungsstelle die Betroffenen beraten.

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Mehr als 2000 Anfragen bezogen sich allerdings auf Diskriminierungsmerkmale, die das AGG nicht nennt. Außerdem gibt es Fälle, die in Lebensbereichen stattfinden, die bisher nicht von dem Gesetz abgedeckt sind - etwa Behörden, Ämter oder die Polizei. Diskriminierungen in staatlichen Stellen machen mittlerweile ein Fünftel aller Anfragen aus, der Antidiskriminierungsstelle sind in diesen Fällen aber die Hände gebunden.

Auch aus diesem Grund betont Ataman den Reformbedarf beim Gleichbehandlungsgesetz. Sie plädiert neben einer Ausweitung des Geltungsbereichs auf staatliche Behörden dafür, weitere Formen der Diskriminierung aufzunehmen. Außerdem sollen Hürden abgebaut werden, bisher würden zum Beispiel die kurzen Fristen, um Diskriminierungen zu melden, Betroffene davon abhalten.

Die Reform ist im Koalitionsvertrag der Ampelparteien vorgesehen, Ataman rechnet noch in diesem Jahr mit ersten Schritten. Um die flächendeckende Antidiskriminierungsberatung auszubauen, kündigte sie außerdem ein Förderprogramm in Höhe von fünf Millionen Euro an, das bislang größte Programm dieser Art in Deutschland.

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