Muslime in Sri Lanka:"Jeder behandelt uns jetzt wie Terroristen"

Unter den Muslimen in Sri Lanka herrsche zunehmend Angst, berichtet Imam Sheikh Arkam. Seit den Anschlägen an Ostern spürten sie eine Art Generalverdacht.

Interview von Arne Perras, Colombo

SZ: Sheikh Arkam, zu den Beerdigungen der Terroropfer kamen nicht nur Christen, sondern auch buddhistische Mönche, die ihr Beileid aussprachen. Muslimische Vertreter waren nicht zu sehen. Wieso?

Sheikh Arkam: Wir muslimischen Führer waren besorgt und wollten hingehen. Aber wir konnten nicht, die Sicherheitskräfte haben es nicht erlaubt. Sie sagten, wir sollten das lassen, um kein Chaos zu verursachen, die Trauergemeinde könnte sich provoziert fühlen. Wir sind sehr enttäuscht. Wenn sich die Regierung für Aussöhnung interessiert, hätte sie uns Schutz gewähren sollen, damit wir das Beileid der muslimischen Gemeinde aussprechen können.

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie von den Anschlägen erfuhren?

Wir waren wie alle geschockt. Die Christen sind wie wir eine Minderheit, standen immer solidarisch zu uns. Wir fühlen, dass die Attacken ganz Sri Lanka treffen. Wir kämpfen darum, uns zu entwickeln, leben vom Tourismus, 2019 wurde unser Land als eines der besten Ziele bewertet. Wir sind sehr besorgt.

Muslime in Sri Lanka: "Wir fühlen, dass die Attacken ganz Sri Lanka treffen", sagt Sheikh Arkam.

"Wir fühlen, dass die Attacken ganz Sri Lanka treffen", sagt Sheikh Arkam.

(Foto: Arne Perras)

Was wissen Sie über die islamistische Gruppe NTJ, die für den Terror verantwortlich gemacht wird?

Ein Mann namens Mohamed Zahran hat NTJ gegründet, ein sehr lautstarker Mann. Anfangs, vor fünf, sechs Jahren, predigte er noch nicht Gewalt. Aber die vergangenen vier Jahre forderte er Angriffe gegen Feinde des Islam, er nutzte auch Youtube.

Es sollen Videos kursieren, in denen er vor der Kulisse der brennenden Twin Towers predigt.

Wir haben das gesehen. Wir haben die Sicherheitskräfte darauf aufmerksam gemacht, aber sie haben nichts unternommen. Seit zweieinhalb Jahren haben wir nichts mehr von Zahran gesehen, wir wissen nicht, wo er steckt.

Wer steht hinter ihm?

Auch das wissen wir nicht. Die Sicherheitskräfte müssen das herausfinden, aber die Polizei hat den Ball an uns zurückgespielt und gesagt: Helft uns, ihn zu fangen.

Wie haben sich die Leute radikalisiert, die sich nun als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt haben?

Diese Jugendlichen wurden nicht lokal gelenkt, sie wurden beeinflusst durch die IS-Ideologie im Netz. Die Internet-Firmen haben sich unverantwortlich verhalten, weil sie diese extremistischen Inhalte nicht aus den sozialen Medien ausgefiltert haben. Junge Leute fühlen sich oft frustriert, wenn Verbrechen gegen Muslime geschehen und es weltweit keine islamische Führung gibt, die das verhindert. Warum werden Muslime in Myanmar attackiert, warum in China? Der IS hat solche Emotionen ausgenutzt, als er das Kalifat versprach.

Können Sie reden mit jungen radikalisierten Leuten?

Einer trat mir vor zwei Jahren nach dem Freitagsgebet in der Damatagoda-Moschee gegenüber. Er sagte: Imam, Sie führen die Leute in die Irre. Sie sagen, wir sollen beten und fasten, aber wir müssen Dschihad erklären, Ungerechtigkeit bekämpfen. Er war Sohn eines reichen Gewürzhändlers. Ich sagte ihm, Junge, lass dich nicht forttragen. Aber er war voll Wut gegen die buddhistische Gemeinde. Einer der Söhne dieses Unternehmers hat sich jetzt in die Luft gesprengt. Ich weiß nicht mehr, ob es der war, der mit mir sprach.

Früher hörte die Welt vor allem vom Krieg separatistischer Tamilen gegen den Staat, später erfuhr man von Konflikten zwischen Buddhisten und Muslimen in Ihrem Land. Warum traf es nun die Christen?

Wir haben im vergangenen Jahrzehnt erlebt, dass die Spannungen zwischen muslimischen und singhalesischen buddhistischen Gemeinden zunahmen. Warum es Christen traf, verstehen wir auch nicht.

Welche Folgen haben die Attacken?

Diese Jugendlichen haben weder den Muslimen in Sri Lanka noch in der Welt Gutes getan. Wir haben jetzt große Probleme, weil uns jeder wie Terroristen behandelt, die Armee hat gestern mein Haus durchsucht. Wir sagen unseren Leuten, kooperiert mit den Sicherheitskräften. Aber wir haben Angst, dass die Reaktionen uns Muslime treffen.

Hat es schon Racheakte gegeben?

Kleinere Vorfälle, ja, manche gehen voller Angst aus dem Haus, ein Geschäft brannte.

Hat es jemand angezündet?

Wir wissen es nicht. Viele Gemeindemitglieder werden jetzt festgenommen. Wir verstehen, dass die Sicherheitskräfte ihren Job machen. Aber psychologisch ist es schwer - auch die Nachbarn zweifeln jetzt an uns. Heute wollte ich ein Uber-Taxi nehmen. Als der Fahrer mich in meiner Kleidung sah, weigerte er sich, mich mitzunehmen. Gut, das ist sein Recht, wenn er Angst vor mir hat. Doch für uns ist das eine sehr schlechte Situation.

Was können Muslime tun, um Wunden zu heilen?

Wir wollen unser Beileid ausdrücken und eng mit den Christen kooperieren. Aber die buddhistische Gemeinde ist gegen uns. Sie sagen: Heute gilt die Attacke den Christen, morgen uns Buddhisten. Sie haben Angst, wir bedauern das. Wir wollen Koexistenz. Wir verurteilen den Extremismus.

Was werden Sie am Freitag predigen?

Ich werde über Humanität reden und Wachsamkeit, auch in der Familie. Dieser Gewürzhändler, dessen Sohn sich offenbar in die Luft sprengte, wusste nichts von der Radikalisierung seines Sohns. Wir bitten alle Nachbarn und Familien: Helft, damit radikalisierte Jugendliche rehabilitiert werden können.

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