Anhörungen von Amy Coney Barrett:Ein fast schon unwirkliches Schauspiel

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Amy Coney Barrett am letzten Tag ihrer Anhörung vor dem US-Senat. (Foto: ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/AFP)

Demokraten und Republikaner verhalten sich in den drei Tagen Anhörungen erstaunlich zivilisiert. Aus den Antworten von Amy Coney Barrett lässt sich erahnen, wie sie sich als Oberste Richterin verhalten wird.

Von Christian Zaschke, New York

Das Spektakuläre an der Anhörung von Amy Coney Barrett war, wie wenig sie ein Spektakel war. Wie ruhig, wie sachlich, wie teilweise sogar heiter die Befragung der Frau verlief, die nach dem Willen der Republikaner die Stelle am Supreme Court besetzen soll, die durch den Tod von Ruth Bader Ginsburg freigeworden ist. Ganz gleich, was die politischen Folgen der Nominierung von Barrett für die USA sein werden: In den Tagen der Anhörung wirkte es, als habe das politische Amerika, zumindest im Justizausschuss des Senats, kurz wieder zu sich selbst gefunden. Zu einer Debatte, zu einem Austausch von Argumenten, zu einem intelligenten Dialog.

Seit Montag hatte sich die 48 Jahre alte Barrett den Fragen der 22 Mitglieder des Justizausschusses gestellt, und fast alle Kommentatoren in Washington hatten ein Schauspiel erwartet, das mitunter hässlich werden könnte. Stattdessen spielte sich auf der großen politischen Bühne etwas ab, das man im Amerika des Donald Trump nicht mehr für möglich gehalten hatte. Am Ende dreier intensiver Tage dankte der republikanische Ausschussvorsitzende Lindsey Graham den demokratischen Kolleginnen und Kollegen "im Namen des Landes" dafür, dass diese Anhörung so vorbildlich abgelaufen war. Er wurde dabei kurz unterbrochen vom Demokraten Dick Durbin. Aber nur, weil dieser sich im Namen seiner Partei bei Graham für die faire Leitung der Anhörung bedanken wollte. Es wirkte geradezu unwirklich.

Als die Republikaner vor zwei Jahren zuletzt einen Kandidaten für den Supreme Court vorstellten, entwickelte sich im Senat ein niederschmetterndes Schauspiel. Der Kandidat, Brett Kavanaugh, sah sich des Vorwurfs der sexuellen Belästigung ausgesetzt. Es gab eine glaubwürdige Zeugin, und obwohl das nicht bedeutet, dass an den Vorwürfen etwas dran war, würde vermutlich kaum jemand in Washington bestreiten, dass Kavanaugh wenig überzeugend wirkte.

Der Unterschied zur Anhörung von Amy Coney Barrett hätte größer nicht sein können. Die Demokraten lehnen sowohl das Verfahren als auch die Kandidatin ab. Das Verfahren, weil ihrer Ansicht nach so kurz vor der Präsidentschaftswahl am 3. November kein Posten am Supreme Court besetzt werden sollte. Die Kandidatin, weil sie als konservative Katholikin zum Beispiel gegen das in den USA seit 1973 verbriefte Recht auf Abtreibung ist. Dennoch attackierten sie die Juristin nicht, sondern befragten sie. Moderat im Ton, meistens präzise in der Sache.

Das Urteil zur Abtreibung hält Barrett nicht für unantastbar

Der Montag war ein einfacher Tag für Barrett. Die 22 Senatoren gaben erst einmal ihre eigenen, jeweils zehn Minuten dauernden Statements ab, dann verlas sie ihr eigenes. Am Dienstag hingegen stand sie fast zwölf Stunden lang Rede und Antwort, am Mittwoch waren es immerhin fast neun. Fehler hat sie dabei keine gemacht. Sie hat allerdings auch nicht viel Konkretes gesagt, und das, was sie nicht gesagt hat, beschäftigt die Demokraten nun.

Im Wesentlichen drehten sich so gut wie alle demokratischen Einlassungen um zwei Themen. Erstens: Wird Barrett, falls sie Ende Oktober wie erwartet als Richterin am Supreme Court von der republikanischen Mehrheit im Senat bestätigt wird, dazu beitragen, den Affordable Care Act abzuschaffen, besser bekannt als Obamacare - also jene Krankenversicherung, die Trumps Vorgänger Barack Obama eingeführt hat, die Millionen von Amerikanern Schutz bietet? Zweitens: Wird sie dazu beitragen, Abtreibung in den USA unter Strafe zu stellen?

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Die Berufung der erzkonservativen Richterin an das höchste Gericht der USA wäre für Republikaner ein Traum. Allerdings verpasst der US-Präsident, durch ihre Nominierung ein wichtiges Signal zu senden.

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In beiden Punkten wich Barrett aus, mit dem Argument, dass sie nicht über Sachverhalte sprechen könne, die vielleicht als Richterin auf ihrem Tisch landen könnten. Was Obamacare angeht, deutete sie jedoch an, dass sie der juristischen Argumentation der Republikaner für die komplette Abschaffung des Programms nicht folgt. Beim Punkt Abtreibung blieb sie zwar äußerst vage, stellte aber in Aussicht, dass sie grundsätzlich an das Rechtsprinzip "stare decisis" glaube, was bedeutet, dass eine einmal vom Gericht getroffene Entscheidung Bestand haben sollte. In diesem Fall wäre das die Entscheidung in dem in den USA berühmten Fall "Roe v. Wade", der das Recht auf Abtreibung 1973 etablierte.

Allerdings sagte Barrett auch, dass sie diese Entscheidung nicht für einen der Präzedenzfälle halte, der niemals wieder verhandelt werden könne. In diesen Rang erhob sie zum Beispiel Supreme-Court-Urteile zum Ende der Rassentrennung. Aber eben ausdrücklich nicht das zum Recht auf Abtreibung.

"Das Beste kommt noch" - ein Satz wie eine Drohung

Die Republikaner im Ausschuss betonten zumeist, dass eine großartige Frau an den Obersten Gerichtshof komme. Mutter von sieben Kindern, zwei davon aus Haiti adoptiert. Stets die Beste an ihrer Schule, an ihrer Uni. Professorin schon mit 30. Mehrmals zur beliebtesten und besten Lehrerin an der Universität von Notre Dame gewählt, in Indiana, im Mittleren Westen der USA gelegen.

Es war der demokratische Senator Chris Coons, selbst Jurist, der den Kollegen und vielleicht auch dem winzigen Teil des Landes, der dieser Anhörung zusah, in wenigen Worten erklären wollte, was die Wahl von Barrett bedeuten könnte. Er hatte eine Tafel mit sämtlichen Entscheidungen Barretts als Bundesrichterin am Berufungsgericht aufstellen lassen. Anhand dieser sagte er eine dunkle Zukunft für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgendern voraus, für das Recht auf Abtreibung, überhaupt für Minderheiten. In seinen Worten: alles, wofür das liberale Amerika lange gekämpft hat. Die Worte waren deutlich, der Ton war dennoch konziliant.

Als der Vorsitzende Lindsey Graham die Anhörung am Mittwochabend beschloss, sagte er zu Amy Coney Barrett: "Sie sind eine der beeindruckendsten Personen, die ich je erlebt habe." Er pausierte kurz, bevor er fortfuhr: "Und das Beste kommt noch." Den zweiten Teil des Satzes dürften die Demokraten als Drohung verstanden haben.

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