Der von einer russischen Gefängnisbehörde gemeldete Tod des russischen Regimegegners Alexej Nawalny hat weltweit Erschütterung ausgelöst. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Nachricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij "sehr bedrückend". Nawalny habe seinen Mut, nach der Erholung von einem Giftanschlag aus Deutschland nach Russland zurückzukehren, nun vermutlich mit seinem Leben bezahlt, sagte der Kanzler. Spätestens mit dem Tod Nawalnys werde klar, "was für ein Regime das ist". Die Meldung vom Tod Nawalnys zeige, "wie sich Russland verändert hat"; es sei längst keine Demokratie mehr.
Nawalnys Frau, Julija Nawalnaja, erfuhr von der Todesnachricht als Teilnehmerin der Münchner Sicherheitskonferenz. Sichtlich erschüttert sprach sie in einem spontanen Auftritt von einer "schrecklichen Nachricht". Der Tag werde kommen, an dem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden, sagte sie. "Ich rufe die Welt auf, das Böse zu bekämpfen", sagte Nawalnaja. Sie stellte dabei klar, dass sie nicht wisse, ob die Todesnachricht der Wahrheit entspreche. Der Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, sagte, "dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde". Derzeit deute "alles darauf hin, dass sich tatsächlich ein Mord ereignet hat". Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch schrieb auf der Online-Plattform X, ihr liege noch keine offizielle Bestätigung seitens der Behörden vor.
Er habe für ein freies und demokratisches Russland gestanden, sagt Baerbock
Der Strafvollzugsdienst für die autonome Region Jamal-Nenzen im Norden Sibiriens hatte laut russischen Medien am Freitag mitgeteilt, Nawalny habe sich am Freitag nach einem Spaziergang unwohl gefühlt und das Bewusstsein verloren. Wiederbelebungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Die Todesursache werde ermittelt. Nawalny saß in der Strafkolonie IK-3 nördlich des Polarkreises eine langjährige Haftstrafe ab. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Putin sei über den Tod Nawalnys informiert worden.
US-Präsident Joe Biden machte bei einer Pressekonferenz Putin für den mutmaßlichen Tod Nawalnys verantwortlich. Biden sagte, er sei über die Nachricht schockiert, aber nicht überrascht. Seine Vizepräsidentin Kamala Harris sprach während der Münchner Sicherheitskonferenz von einer "schrecklichen Nachricht". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, Nawalny sei wie kaum ein anderer Sinnbild für ein freies und demokratisches Russland gewesen. "Genau deswegen musste er sterben", sagte sie.
Politisch und wirtschaftlich will Deutschland die Ukraine unterstützen
Scholz und Selenskij unterzeichneten am Freitag im Kanzleramt ein Sicherheitsabkommen, das der Ukraine langfristig militärische und zivile Unterstützung durch Deutschland garantiert. Die Beziehungen hätten damit eine "ganz neue Qualität erreicht", betonte Scholz. Das Abkommen bringe beide Länder einen "historischen Schritt weiter", Deutschland werde die Ukraine unterstützen, solange es nötig sei. Das gelte für den Aufbau moderner Streitkräfte, aber auch politisch und wirtschaftlich. Scholz verwies darauf, dass Deutschland mittlerweile 28 Milliarden Euro an Waffenhilfe geleistet oder zugesagt habe, und verkündete ein neues Hilfspaket im Wert von 1,1 Milliarden Euro, unter anderem für Panzer- und Feldhaubitzen, Artilleriemunition und Flugabwehr.
Selenskij sprach von einem "wichtigen Tag für unsere Völker und Europa". Er sei sehr dankbar für Sicherheitszusagen. Zuletzt sei leider ein Rückgang der Unterstützung verzeichnet worden, sagte er in Anspielung auf vom US-Kongress blockierte Mittel für die Ukraine. Den russischen Machthaber Putin bezeichnete er als Personifizierung des seit knapp zwei Jahren andauernden Angriffskriegs. "Putin tötet immer", sagte er. Selenskij reiste weiter nach Paris, wo er bei einem Treffen mit Präsident Emmanuel Macron eine ähnliche Vereinbarung mit Frankreich unterschreiben wollte.
Russland:Das Leben von Putins größtem Kritiker
Seit der Jahrtausendwende hat sich Alexej Nawalny in der russischen Opposition engagiert. Ein Rückblick auf zwei Jahrzehnte, geprägt vom Kampf um Demokratie - und von unzähligen Angriffen und Gerichtsverfahren.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung betonte Kanzler Scholz, dass sich Deutschland gegen die Bedrohung aus Russland wappnen müsse. "Um genügend Munition und Waffen für die Landesverteidigung zur Verfügung zu haben, müssen wir die Verteidigungswirtschaft ausbauen", sagte er. Ziel müsse es sein, die Bundeswehr und die Nato so stark zu machen wie möglich. "Wir wollen so stark sein, dass niemand uns angreift", sagte er. Scholz bekräftigte, dass Deutschland das von allen Nato-Staaten vereinbarte Ziel einhalten werde, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden. Da das 100 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht sei, müsse das nötige Geld im Bundeshaushalt bereitgestellt werden.
Scholz wies Rufe nach einer eigenen nuklearen Bewaffnung Europas oder der Bundeswehr zurück, die befeuert wurden von Drohungen des mutmaßlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA, Donald Trump, Nato-Partnern den Schutz zu entziehen, wenn sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllen. "Von dieser Debatte halte ich gar nichts", sagte der Bundeskanzler. Im Fokus der Bemühungen müsse stehen, "unsere konventionelle Verteidigungskraft zu stärken". Der Krieg Russlands gegen die Ukraine finde mit konventionellen Waffensystemen statt.