Alexander van der Bellen gegen Norbert Hofer:Was Sie über die Präsidentenwahl in Österreich wissen müssen

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Wahlplakate in Wien (Foto: REUTERS)

Ein scheinbar endloser Wahlkampf zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer geht zu Ende. Wofür stehen die Kandidaten? Welche Chancen haben sie? Und wie viel Macht hat der österreichische Bundespräsident überhaupt?

Von Paul Munzinger, Wien

Welche Bedeutung hat die Wahl?

Formal gesehen entscheiden die Österreicher an diesem Sonntag, wer für die kommenden sechs Jahre als Staatsoberhaupt in der Wiener Hofburg residieren wird: Alexander Van der Bellen, Ex-Chef der Grünen, der als unabhängiger Bewerber antritt, oder Norbert Hofer, Vize-Parteichef der rechtsgerichteten FPÖ. Glaubt man der Wahlkampfrhetorik, dann geht es an diesem 4. Dezember um sehr viel mehr: um die Zukunft Österreichs, um das Schicksal Europas.

Van der Bellen hat in den vergangenen Monaten wiederholt von einer Richtungswahl gesprochen. Der emeritierte Ökonomieprofessor präsentiert sich als Garant eines liberalen, weltoffenen, dezidiert europäischen Landes. "Für das Ansehen Österreichs in der Welt", steht auf seinen Wahlplakaten. Ein Wahlsieg Hofers käme einem "Dammbruch in Europa" gleich, warnt der 72-Jährige. Das eigentliche Ziel der FPÖ sei nicht das Amt des Bundespräsidenten, sondern die "blaue Republik". Für die hat Van der Bellen den Begriff "Alpen-Mordor" geprägt, in Anspielung auf Tolkiens "Herr der Ringe".

Norbert Hofer, ein bekennender Burschenschafter, stellt sich selbst als geradlinigen Vertreter des "einfachen Volkes" dar. Sein Lieblingswort, wenn er über sich selbst spricht: "authentisch". Samtig lächelnd wettert er gegen das Establishment, warnt vor Zuwanderung und Überfremdung, verspricht Sicherheit und Arbeitsplätze. Mit 45 Jahren wäre er der jüngste Präsident der Zweiten Republik in Österreich.

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Wie mächtig ist der Bundespräsident in Österreich?

Die bisherigen Präsidenten haben ihr Amt in der Regel zurückhaltend ausgeübt, dem Bundespräsidenten in Deutschland vergleichbar. Doch anders als in Deutschland lag dies nicht an den Grenzen, die das Recht dem Amt setzt. Vielmehr folgten die Amtsinhaber darin einer ungeschriebenen Regel, die dem Staatsoberhaupt eine Form der freiwilligen Selbstkontrolle auferlegt.

Die österreichische Verfassung dagegen räumt dem Staatsoberhaupt eine Stellung ein, die über die eines reinen Repräsentanten deutlich hinausgeht. Zum einen stattet sie das Staatsoberhaupt mit großer Legitimation aus: als einziger Vertreter des Gesamtstaates wird es direkt gewählt. Zum anderen verfügt er über umfängliche Rechte - allen voran das Recht, die Regierung zu entlassen und einen Kanzler einzusetzen.

Es besteht also eine beachtliche Diskrepanz zwischen dem verfassungsrechtlichen Potential und der bisher üblichen Amtsführung. Eben darauf spielte Norbert Hofer mit seinem vielzitierten Satz an: "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist." Die Frage, wie die beiden Kandidaten ihr Amt ausüben würden, gehörte daher zu den meistdiskutierten des Wahlkampfs. Und Hofer wie Van der Bellen haben deutlich gemacht, dass sie nicht geneigt sind, an die Tradition der präsidentiellen Selbstbeschneidung anzuknüpfen.

Wieso wählen die Österreicher schon wieder?

Am 22. Mai gab es das Duell schon einmal, mit derselben personellen Besetzung. Van der Bellen gewann die Stichwahl hauchdünn, sein Vorsprung betrug exakt 30 863 Stimmen. Die FPÖ beanstandete formale Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlkarten und focht die Wahl an. Der Verfassungsgerichtshof gab ihr recht, auch wenn sich keine Hinweise auf Manipulationen feststellen ließen: Am 1. Juli ordnete das Gericht eine Wiederholung an.

Diese sollte eigentlich am 2. Oktober stattfinden, doch daraus wurde nichts. Schuld war das "technische Gebrechen" eines Klebers, wie der Innenminister in einer kabarettreifen Pressekonferenz referierte. Weil sich Briefumschläge für die Wahlkarten von selbst öffneten, wurde die Wahl erneut verschoben. Eine nachvollziehbare Entscheidung in einer Demokratie mit geheimen Wahlen, doch Österreich war blamiert.

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Welche Faktoren entscheiden über die Wählervorlieben?

Das Besondere diesmal: Anstelle von Umfragen mit den üblichen statistischen Unwägbarkeiten, stehen bei dieser Wahl die Erfahrungswerte einer erst vor wenigen Monaten abgehaltenen Wahl zur Verfügung. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die Österreicher je nach Geschlecht, Wohnort und Bildungsgrad enorm unterschiedlich abstimmten.

So wählten 73 Prozent der Österreicher mit Abitur Van der Bellen, bei jenen mit Hochschulabschluss waren es sogar 81 Prozent. Norbert Hofer konnte dagegen die Mehrheit der Arbeiter überzeugen. 86 Prozent von ihnen stimmten für den FPÖ-Kandidaten. Beträchtlich ist auch der Geschlechterfaktor: 60 Prozent der Frauen stimmten für Van der Bellen, bei den Unter-30-Jährigen waren es sogar zwei von drei. Umgekehrt wählten 60 Prozent der Männer Norbert Hofer.

Auffallend ist zudem das starke Stadt-Land-Gefälle. Van der Bellen verdankte seinen Sieg vor allem den Stadtbewohnern: In Wien, wo jeder fünfte Österreicher wohnt, holte der Wahl-Wiener mehr als 60 Prozent. Doch auf der Landkarte bildeten die Städte Inseln in einem sonst fast durchgängig FPÖ-blauen Meer. Der Großteil des Landes war fest in Hofer-Hand.

Was Van der Bellen und Hofer gemeinsam haben: eines ihrer wichtigsten Argumente im Wahlkampf heißt "Norbert Hofer". Jedem zweiten Van der Bellen-Wähler ging es im Mai in erster Linie darum, einen Sieg des FPÖ-Kandidaten zu verhindern. Für fast 70 Prozent der Hofer-Wähler wiederum war es mitentscheidend, dass der Kandidat ihnen sympathisch war; ebenso viele gaben an, dass der FPÖ-Politiker "die Sorgen von Menschen wie mir" verstehe.

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Welche Chancen haben die beiden Kandidaten auf den Sieg?

Die jüngsten Umfragen vor der Wahl sahen Hofer und Van der Bellen erneut gleichauf. Beide Männer umwarben im Schlussspurt deshalb vor allem die Nichtwähler (die Wahlbeteiligung lag im Mai bei 73 Prozent) und die zehn Prozent angeblich noch Unentschlossenen. Noch wichtiger als die Nichtwähler könnte es für die Kandidaten aber womöglich sein, ihre Wähler vom Mai noch einmal zu motivieren. In Österreich hat sich nach fast einem Jahr Dauerwahlkampf eine gewisse Müdigkeit breitgemacht. Vielleicht entscheidet am Ende die Frage, in welchem Lager der Wahl-Überdruss geringer ausfällt.

Welche Strategien verfolgten die Kandidaten im Wahlkampf?

Van der Bellen reagierte auf seine Schwäche auf dem Land mit einer Akzent-Verschiebung: Das Wort "Heimat" und die Farben Rot-Weiß-Rot erhielten im Sommer plötzlich eine Hauptrolle in seiner Kampagne. "Ich habe es nie eingesehen, warum wir das Monopol auf Heimat deutschtümelnden Burschenschaftlern überlassen sollen", sagte Van der Bellen, nachdem er sich - zum Spott seines Gegners - im Trachtenjanker beim Wandern und auf Volksfesten gezeigt hatte.

Hofer hat seit dem Sommer gezielt an der eigenen Weichzeichnung gearbeitet, um auch für eine breitere Mitte wählbar zu erscheinen. Er sei "vorsichtiger geworden", sagt er selbst. Zuletzt hatte er sich in den Debatten im Ton gemäßigt, von Alexander Van der Bellen musste er sich immer wieder anhören, er habe "Kreide gefressen". Für Polemik und schmutzige Angriffe im Wahlkampf war statt Hofer nun FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zuständig.

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Wer profitiert von dem überlangen Wahlkampf?

Seit Mai ist in der Welt einiges passiert, was auch die Wahl in Österreich beeinflusst. Im Juni votierte eine Mehrheit der Briten für den Brexit, plötzlich war auch ein möglicher "Öxit" in aller Munde. Die FPÖ kokettierte damit, bis sie erkennen musste, dass sie die EU-Skepsis der Österreicher überschätzt hatte. Sie änderte ihre Meinung. Hofer sagt nun, er wolle die EU von innen verbessern. Eine Volksabstimmung über einen Austritt hält er sich aber offen. Auch Van der Bellen sieht die EU in der Krise, stellt die Mitgliedschaft aber nicht in Frage. Im Gegenteil: Das Bekenntnis zu Europa gehört zu seinen zentralen Positionen, "mehr denn je" lautet einer seiner Wahlkampfslogans.

Das zweite große Thema, das die österreichische Zwischenwahlzeit beherrschte: der Erfolg Donald Trumps. Norbert Hofer mühte sich nach der Wahl, nicht zu viel Nähe aufkommen zu lassen - eine große Mehrheit der Österreicher sieht den US-Milliardär kritisch. Andererseits versuchte er, den Triumph Trumps zugleich als Blaupause des eigenen Erfolgs zu verkaufen. Schließlich sei er wie Trump "authentisch", zudem sei nun klar, dass Chefredakteure und Prominente keine Wahl entschieden.

Auf Rückenwind durch die Trump-Wahl hofft auch Van der Bellen. Er sprach von einem "heilsamen Schock"; mehr denn je müsse Europa zusammenrücken. Zugleich betonte er, dass viele Leute mit Recht Angst hätten angesichts der vielen Veränderungen und rief seine Anhänger auf, nicht "in unserer Blase" zu bleiben. Es gehe darum, auf die Menschen zuzugehen und ihre Beschwerden ernst zu nehmen.

Wann steht das Ergebnis fest?

Um 17 Uhr schließen am Sonntag die letzten Wahllokale, wenig später soll es eine erste Hochrechnung geben. Sicher ist das allerdings nicht. Sollte das Ergebnis knapp ausfallen, dann wird der Wahltag womöglich ohne Zahlen zu Ende gehen. Die Briefwahlstimmen werden am Montag ausgezählt. Ein offizielles Endergebnis wird daher in jedem Fall erst am Montag, womöglich sogar am Dienstag, veröffentlicht. Die spannende Frage wird dann sein, ob die FPÖ auch eine Niederlage Hofers akzeptieren würde. Der Kandidat selbst zumindest hat eine neuerliche Anfechtung ausgeschlossen.

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