Reaktionen auf des Kanzlers Machtwort:"Ist das alles?"

Lesezeit: 4 min

Soll jetzt doch bis April 2023 in Reserve bleiben: Das AKW Emsland in Lingen (Foto: Stephane Nitschke/Reuters)

Die Opposition kritisiert das Machtwort des Kanzlers im Atomstreit als Bankrotterklärung der Ampelregierung. Und auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik.

Von Claudia Koestler

Im Streit um die deutschen Atomkraftwerke wirkte die Ampelkoalition zuletzt wie in einem Mexican Standoff, einer Konstellation, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben scheint, ohne dass alle zu Schaden kommen. Nun aber hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seiner Richtlinienkompetenz per Brief einen Kompromiss vorgegeben: "Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen." Der Weiterbetrieb des AKWs Emsland war eine Forderung der FDP, die Begrenzung des Betriebes auf Mitte April 2023 eine Forderung der Grünen.

Stimmen aus der Ampelkoalition

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat Scholz' Position bereits akzeptiert: Die Ansage des Bundeskanzlers sei eine "unübliche Lösung einer verfahrenen Situation", sagt Habeck in einem Interview in den ARD-"Tagesthemen". In der Atomfrage, "die ja auch in der Bevölkerung hochemotional diskutiert wird, war es eben nicht möglich, zusammenzukommen", sagt Habeck über den Streit zwischen Grünen und FDP. Die Ansage von Scholz sei ein Vorschlag, "mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich leben kann". Der Kanzler sei "voll ins Risiko gegangen, und ich werbe dann dafür, dass wir jetzt diesen Weg auch gehen, weil alles andere staatspolitisch nicht verantwortlich wäre", so der Wirtschaftsminister.

Werben wird Habeck wohl auch müssen, denn andere Grüne stellen sich offen dagegen, so etwa der frühere Bundesumweltminister und erklärte Atomkraftgegner Jürgen Trittin. "Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht", sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Bundestagsfraktionen, die die Änderung des Atomgesetzes beschließen müssen, seien durch das Kanzler-Machtwort nicht in ihrer Entscheidung gebunden. Die Ampel sei einem "extremen Stresstest" ausgesetzt, da "getroffene Verabredungen, zum wiederholten Male im Übrigen, seitens der FDP nicht eingehalten" worden seien.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich äußert sich im Deutschlandfunk und verteidigt Scholz: "Es war notwendig, diese Entscheidung zu treffen." Die Reaktionen auf das Machtwort hätten gezeigt, dass die Autorität des Bundeskanzlers anerkannt werde. Trotz der Differenzen herrsche im Parlament zwischen den Fraktionen Vertrauen. Mützenich kritisiert in dem Interview allerdings auch Habeck: Dieser müsse nun endlich die Gaspreisbremse auf den Weg bringen.

Grünen-Chefin Ricarda Lang bringt noch einmal die Position ihrer Partei zum Ausdruck: "Das AKW Emsland ist für die Netzstabilität nicht erforderlich. Entsprechend halten wir den Weiterbetrieb für nicht notwendig", schreibt sie auf Twitter. "Der Kanzler hat nun von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Wir werden dazu Gespräche führen. Klar ist damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen Atomkraftwerke spätestens zum 15. April 2023 endgültig vom Netz gehen."

Der andere Teil der Grünen-Doppelspitze, Omid Nouripour, betont im RBB24-Inforadio, die Grünen hielten zwar fachlich nichts davon, neben den beiden süddeutschen AKWs auch den Meiler Emsland weiterlaufen zu lassen. Dieser liege im Energieüberschuss-Land Niedersachsen und sei für die Energiesicherheit in Deutschland nicht nötig. "Unter dem Strich ist das jetzt aber nicht Grund, eine große Diskussionskrise auszulösen."

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter rechnet mit einem positiven Votum seiner Fraktion zu einem geänderten Atomgesetz im Bundestag. "Ich glaube, am Ende wird man dem Ganzen zustimmen", sagte der frühere Bundestagsfraktionschef in der NTV-Sendung "Frühstart". Die Entscheidung von Scholz sei im Übrigen keine Niederlage für seine Partei. "Die FDP wollte unbedingt neue Brennelemente. Das kommt nicht."

Die Grüne Jugend ist hingegen entrüstet angesichts von Scholz' Machtwort. "Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht", sagte der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus. Die Entscheidung sei inhaltlich falsch, denn es gebe kein Problem mit der Stromversorgungssicherheit in Norddeutschland. "Ein Weiterbetrieb des AKW Emsland könnte dafür sorgen, dass die Stromnetze in Niedersachsen verstopfen und Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Das ist doch absurd", so Dzienus.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zeigt sich überrascht von der Entscheidung in Berlin, will sie aber umsetzen: "Wenn der Bund entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung zu der Überzeugung kommt, dass auch das AKW Emsland bis Mitte April gebraucht wird, werden wir in Niedersachsen die auf Landesebene dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. Entscheidend ist, dass der 15. April 2023 als spätestes endgültiges Ausstiegsdatum feststeht und keine neuen Brennstäbe gekauft werden."

Die FDP ist hingegen zufrieden mit der Ansage des Bundeskanzlers. Dass alle drei verbliebenen AKWs bis Mitte April 2023 weiterlaufen sollen, finde "die volle Unterstützung der Freien Demokraten", schreibt FDP-Chef Christian Lindner bei Twitter: "Es ist im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten." Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland sei ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz. Nun gehe es darum, die gesetzlichen Grundlagen zügig auf den Weg zu bringen. Lindner verspricht weiter, dass die Regierung "auch für den Winter 2023/2024 gemeinsam tragfähige Lösungen erarbeiten" werde.

Die Kritik der Opposition

Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag und CDU-Chef, bemängelt in der Welt: "Dieses Machtwort des Bundeskanzlers war wohl notwendig, um die Ampel auf Kurs zu bringen. Trotzdem greift diese Entscheidung zu kurz. Die deutschen Atomkraftwerke müssen - wie es die FDP gefordert hat - bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen."

Schärfer äußert sich CSU-Generalsekretär Martin Huber: "Das ist kein Kompromiss, sondern eine Bankrotterklärung der Ampel und der FDP", sagt er der Welt. Die Gefahr eines Blackouts bleibe bestehen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schreibt auf Twitter: "Ist das alles? Was für eine Enttäuschung. Das ist zwar eine Lösung im Ampelstreit, aber nicht für das Stromproblem in Deutschland." Und weiter: "Diese Koalition ist ein Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Grünen haben ihre Ideologie durchgesetzt und die FDP hat wieder einmal zu viel versprochen."

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) kritisiert, dass der Kanzler zu kurz gesprungen sei. Das Vertrauen in die Bundesregierung sei tief erschüttert. "Es glaubt auch niemand mehr, dass die Energieprobleme bis April so weit gelöst sind, dass wir keine Atomkraft mehr bräuchten. Wir müssen dringend zeitnah dafür sorgen, dass auch der Winter 2023/24 noch mit Atomstrom abgesichert wird."

Habecks Fazit

Danach gefragt, welchen Eindruck der Streit wohl bei den Deutschen gemacht habe, sagt der Wirtschaftsminister im "Tagesthemen"-Interview: "Wahrscheinlich keinen guten und genützt hat es auch nichts." Der Grünen-Politiker äußert die Hoffnung, dass die Koalition sich nun wieder mit anderen Dingen beschäftigen könne: "hoffentlich dann konstruktiver".

© SZ/dpa/zaa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundesregierung
:Das Machtwort des Kanzlers

Der Streit um die Atomkraftwerke stürzte die Ampel in die Krise. Jetzt versucht Olaf Scholz, die Ordnung wiederherzustellen. Doch dass er seine Richtlinienkompetenz einsetzen muss, verändert alles.

Von Michael Bauchmüller, Henrike Roßbach, Robert Roßmann und Mike Szymanski

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: