Islamismus:Wie die Frauen in Afghanistan ihre Zukunft verlieren

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Frauen warten in Kabul auf Lebensmittel, die von einer humanitären Hilfsorganisation verteilt werden - bewacht von einem Taliban-Kämpfer. (Foto: Ebrahim Noroozi/dpa)

Vor zwei Jahren stürmten die Taliban Kabul, der Westen zog gedemütigt ab. Seitdem drehen die Islamisten die Uhren für die Frauen wieder zurück. Und die internationale Staatengemeinschaft findet keinen Weg, das zu ändern.

Von Tobias Matern

Die Taliban regieren Afghanistan zwei Jahre nach ihrem Sturm auf Kabul mit eiserner Hand. Es herrscht kein Krieg mehr am Hindukusch, aber ein großer Teil der Bevölkerung leidet. Auf internationaler Bühne ist das Regime isoliert. Allerdings hat das Interesse an Afghanistan im Westen seit dem Debakel vom 15. August 2021 immer weiter nachgelassen.

Der Krieg in der Ukraine absorbiert die Aufmerksamkeit. Auch finden die USA und die Europäer keinen Hebel, mit den Taliban so zu kooperieren, dass die Bevölkerung davon etwas hätte. Das Regime zeigt seinerseits wenig Interesse, sich der Welt zuzuwenden. Noch kein Land hat die Regierung in Kabul offiziell anerkannt, auch wenn es mit China, Indien und dem Nachbarland Pakistan einen Austausch und begrenzten Handel gibt.

Nach dem chaotischen Abzug 2021 waren sich westliche Diplomaten sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein werde, bis die Taliban zumindest eine begrenzte Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft eingehen würden. Dabei sollten unter anderem die eingefrorenen sieben Milliarden US-Dollar afghanisches Staatsvermögen als Verhandlungsmasse dienen: Geld gegen Konzessionen, so das westliche Kalkül, vor allem beim Thema Frauenrechte. Die Rechnung ist nicht aufgegangen.

"Der Umgang mit den Taliban gleicht einem Minenfeld."

Die Europaabgeordnete Hannah Neumann (Grüne) bereist das Land auch nach der Machtübernahme der Taliban. Sie attestiert der internationalen Staatengemeinschaft eine Afghanistanmüdigkeit: "Es gibt immer weniger Menschen, die noch über das Land und seine Zukunft nachdenken", sagt sie in einem Telefonat mit der SZ. "Der Umgang mit den Taliban gleicht einem Minenfeld, aber den Kopf in den Sand zu stecken, ist trotzdem keine Lösung."

Es sei wichtig, eine mögliche Ausweitung der finanziellen Hilfen für Afghanistan weiterhin an Prinzipien zu knüpfen. Begriffe wie "Gender-Apartheid" sind aus ihrer Sicht angemessen, um den Umgang der Taliban mit Frauen zu beschreiben. Gelder sollten in Projekte gehen, die der Diskriminierung von Afghaninnen etwas entgegensetzen: Wirtschaftsförderung für von Frauen geführte Unternehmen oder von Frauen geführte Gesundheitsstationen, die Frauen und Kinder versorgen, Radioprogramme mit Bildungsangeboten.

Taliban-Kämpfer besetzen am 15. August 2021 den Regierungspalast in Kabul. (Foto: Zabi Karimi/AP)

All das gebe es weiterhin und verdiene eine unbürokratische und flexible Unterstützung: "Wir dürfen uns als internationale Gemeinschaft nicht hinstellen und so tun, als wäre das alles nicht so schlimm oder als könnten wir gar nichts mehr tun", sagt Neumann.

Die Taliban genießen ihren Erfolg, die westlichen Armeen mit zeitweilig bis zu 150 000 am Hindukusch stationierten Soldaten und eine gewählte, aber auch extrem korrupte Regierung in die Knie gezwungen zu haben. In Kabul gibt es zwar einige Taliban, mit denen westliche Diplomaten reden können. Das eigentliche Machtzentrum um Hibatullah Achundsada, das geistliche Oberhaupt der Taliban, befindet sich aber in Kandahar. Er meidet die Öffentlichkeit. Als vor einigen Monaten die UN-Vizegeneralsekretärin Amina J. Mohammed dorthin reiste, traf sich niemand aus der Führungsriege der Taliban mit ihr - ein diplomatischer Affront.

Afghaninnen werden wieder aus dem öffentlichen Leben verbannt

Eine Anerkennung der Regierung in Kabul steht auch für Länder wie Pakistan - anders als während des ersten Taliban-Regimes (1996-2001) - nicht zur Debatte. Dafür ist vor allem die Diskriminierung von Frauen zu weitreichend: Afghaninnen werden wieder aus dem öffentlichen Leben verbannt, sollen ohne männlichen Begleiter nicht mehr das Haus verlassen, dürfen viele Jobs nicht mehr ausüben. Und Mädchen dürfen in den meisten Teilen des Landes offiziell nur noch bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen.

Die Taliban bauen indes Religionsschulen, um ihre islamistische Agenda voranzutreiben. "Für uns gibt es keinen Grund, optimistisch zu sein", sagt eine Frau aus einem Dorf in der Provinz Herat, die darum bittet, dass ihr Name nicht in der Zeitung genannt wird, aus Sorge vor Repressalien.

Viele kritische Aktivisten, liberale Politikerinnen und Journalisten haben das Land verlassen. Vereinzelte Demonstrationen von Frauen, etwa nach einem Dekret der Taliban, das den Betrieb von Schönheitssalons untersagt hat, wachsen sich nicht zu Massenprotesten aus. Es fehlt eine geeinte Opposition. Verschiedene Widerstandsgruppen operieren aus dem Ausland, aber sie erhalten mangels Erfolgsaussichten keine große Unterstützung.

Ein Laster transportiert die Ausstattung eines Schönheitssalons ab, nachdem solche Einrichtungen verboten wurden. (Foto: Wakil Kohsar/AFP)

Außerdem sitzt bei vielen Afghaninnen und Afghanen das Gefühl tief, die politische Elite, die während der 20 Jahre westlichen Einsatzes regiert hat, sei korrupt und unfähig gewesen. Das Vertrauen ins politische System, wie es der Westen gefördert hat, ist erschüttert.

Den Vereinten Nationen zufolge stehen harte Monate bevor

Um die aktuelle Lage der Menschen zu verbessern, sind nach wie vor zahlreiche Hilfsorganisationen in Afghanistan aktiv, etwa im Gesundheitssektor. Allerdings schauen die Taliban sich deren Aktivitäten sehr genau an: "Nach Angaben mehrerer UN-Beamter verschiedener Behörden haben die Taliban die meisten der von den UN verwalteten Hilfsprogramme infiltriert und beeinflusst", heißt es im jüngsten Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan. Auch der Mitarbeiter einer privaten Hilfsorganisation berichtete der SZ nach einem Gespräch mit Taliban-Offiziellen jüngst, wie gut die Islamisten über die Aktivitäten informiert waren.

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Aus Sicht der Vereinten Nationen stehen den Menschen am Hindukusch harte Monate bevor. Zwar stellt die internationale Staatengemeinschaft Millionen Menschen Nahrungsmittel zur Verfügung, trotzdem hätten mindestens 15 Millionen Afghaninnen und Afghanen nicht genug zu essen.

Bei aller Härte, mit der die Taliban das öffentliche Leben beeinflussen, eine Tatsache betonen auch dem Regime ansonsten kritisch gesinnte Menschen: Es herrscht kein Krieg mehr, die alltägliche Sorge vieler Familien, ob die Kinder unbeschadet zur Schule kommen, hat sich gelegt.

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