Rechtsextremismus:Angst vor der Märtyrerlegende

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Will sich zur Verbotsdiskussion nicht äußern: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), hier am Donnerstag in Schmalkalden. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Warum man in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen eher skeptisch auf ein AfD-Verbot blickt - trotz eindeutigen Verfassungsschutzurteils.

Von Iris Mayer, Leipzig

Wie kommen demokratische Parteien gegen die AfD an - oder sollte man besser fragen: Kommen sie überhaupt noch dagegen an? Diese Frage stellt sich in Sachsen und Thüringen besonders, denn am 1. September sind dort Landtagswahlen, drei Wochen später folgt Brandenburg. In allen Umfragen der vergangenen Monate führt die AfD mit weitem Abstand. Dazu kommt: In Thüringen, Sachsen-Anhalt und zuletzt in Sachsen hat der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Wenn also die Verfassungsschützer überzeugt sind, dass die AfD Positionen vertritt, die sich in "ziel- und zweckgerichteter Weise gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten" (Thüringen), fortdauernd gegen die politische Grundordnung agitiert, mit dem Ziel, die Demokratie als Ganzes herabzuwürdigen (Sachsen), oder ein "ethnokulturell homogenes Staatsvolk anstrebt und die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Religion fordert" (Sachsen-Anhalt) - warum hat das keine unmittelbaren Folgen?

Die Antwort darauf ist politisch, denn allein die Debatte um Für und Wider eines Verbotsantrages nutzt die AfD als Vorlage zur Opfer-Erzählung. Diese Woche startete sie eine Petition "Nein zu einem AfD-Verbot!" und forderte die "Rückkehr zu demokratischen Prinzipien!". Die Sorge vor einer erfolgreichen Märtyrerlegende ist es auch, die Spitzenpolitiker davon abhält, die Debatte zu forcieren.

"Man darf die nicht in einen Märtyrerstatus bringen."

"Verfassungsrechtlich nahezu aussichtslos und politisch problematisch", lautet das Urteil von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, müsse man politische Lösungen anbieten. So ähnlich formuliert es auch Sachsen-Anhalts CDU-Chef Sven Schulze. Er sagt der Süddeutschen Zeitung: "Ich bin nicht für einen Verbotsantrag, weil ich glaube, dass Parteien in der Lage sein müssen, sich in den jeweiligen Parlamenten miteinander auseinanderzusetzen." Natürlich sei es ein klares Zeichen, wie der Verfassungsschutz die AfD in Sachsen-Anhalt einschätze. Trotzdem zweifelt Schulze am Sinn eines Verbots: "Man muss auf eines aufpassen: Man darf die auch nicht in einen Märtyrerstatus bringen, sondern muss sie politisch mit Argumenten bekämpfen." Bei der letzten Landtagswahl sei der CDU genau das in Sachsen-Anhalt gelungen.

In Thüringen kann das die Linke von sich behaupten - für die vergangene Landtagswahl. Ministerpräsident Bodo Ramelow lässt aber ungewohnt wortkarg ausrichten, er wolle derzeit keine Aussagen zur Debatte beisteuern. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat mehrmals bekundet, dass man eine politische Strömung nicht mit Gerichten bekämpfen könne, sondern den Protesten den Nährboden entziehen müsse. In der Pflicht sieht Kretschmer vor allem die Ampelregierung in Berlin.

In der SPD ist die Sympathie, ein AfD-Verbot zumindest nicht auszuschließen, größer als bei der CDU. "Wir sollten die Chancen eines AfD-Verbots regelmäßig prüfen", sagte Sachsens SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping kürzlich dem Spiegel. "Die AfD ist stark, sie ist eine Gefahr für die Demokratie." Das sieht auch Thüringens Innenminister und SPD-Spitzenkandidat Georg Maier so, mahnt aber, ein Verbotsantrag müsse sehr gut vorbereitet und begründet sein. "Wenn wir eine Niederlage kassieren würden, wäre maximaler Schaden angerichtet, das wäre der GAU", sagte er der SZ unlängst.

Öffentlicher Schlagabtausch mit Höcke

In der Diskussion über den Entzug von Grundrechten nach Artikel 18 Grundgesetz überwiegt ebenfalls die Skepsis, auch wenn eine Petition im Fall von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf mehr als eine Million Unterschriften kommt. Madeleine Henfling, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion in Thüringen, begrüßte das im MDR zwar grundsätzlich: "Es ist gut, dass sich alle Gedanken machen, wie es möglich ist, gegen die AfD vorzugehen, auch gegen einzelne Akteure der AfD." Sie wies aber auch darauf hin, dass es keine Vorbilder gibt. "Auf Grundlage des Artikels 18 Grundgesetz ist noch niemandem beispielsweise das passive Wahlrecht entzogen worden."

Höcke selbst nutzte die Petition postwendend zur Verbrüderung mit Anhängern. "Sie sind nicht hinter mir her, sondern es geht um EUCH", schrieb er auf Telegram, "Ich stehe ihnen dabei nur im Weg." Da dürfte es Höcke nur gelegen kommen, dass sich Thüringens CDU-Chef Mario Voigt demnächst mit ihm zum öffentlichen Streitgespräch treffen will. Voigts Hoffnung: Wenn man Höcke ins Licht ziehe und sich in der Sache auseinandersetze, werde dessen Schwäche offenbar. Was zu beweisen wäre.

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