Ostdeutschland:"Wir müssen hier weg"

AfD-Landtagswahlkampf in Spitzkunnersdorf

AfD-Landtagswahlkampf in Spitzkunnersdorf, Sachsen.

(Foto: dpa)

Durch die AfD-Erfolge fühlen sich Rassisten bestärkt. Zuwanderer erleben das täglich - auf der Straße, auf dem Spielplatz und an der Wohnungstür.

Von Jan Heidtmann und Ulrike Nimz

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ist die AfD dort so stark wie nie. Was heißt das für Menschen, die von Rassismus und Anfeindungen betroffen sind, für Geflüchtete, Studierende aus dem Ausland, Kinder von Migranten? Fünf Erfahrungsberichte aus dem Alltag im Osten Deutschlands.

Jibran Khalil, 30, ist vor sechs Jahren aus Pakistan nach Deutschland gekommen. Inzwischen hat er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und arbeitet beim Aktionsbündnis Brandenburg, das sich gegen Rechtsextremismus einsetzt.

Ostdeutschland: "Brandenburg ist zurzeit ein gefährliches Land für Flüchtlinge. Ich würde zum Beispiel nie allein einen Ausflug in die Lausitz machen", sagt Jibran Khalil aus Potsdam.

"Brandenburg ist zurzeit ein gefährliches Land für Flüchtlinge. Ich würde zum Beispiel nie allein einen Ausflug in die Lausitz machen", sagt Jibran Khalil aus Potsdam.

(Foto: Privat)

"Brandenburg ist zurzeit ein gefährliches Land für Flüchtlinge. Ich würde zum Beispiel nie allein einen Ausflug in die Lausitz machen. Die Zahlen zeigen, dass es da eine Menge Übergriffe auf Flüchtlinge gibt. Man weiß nie, wann oder woher die Attacken kommen. In Deutschland habe ich erst in Teltow gewohnt, dann im kleinen brandenburgischen Ort Michendorf und jetzt seit drei Jahren in Potsdam. Hier haben die Grünen bei den Wahlen gut gewonnen, ungefährlich ist es hier für jemanden wie mich trotzdem nicht.

Vor einem Jahr bin ich auf der Straße von einem Mann beleidigt worden. Er hat sich vor mich gestellt und mir gesagt, das sei hier das Land der Deutschen, ich hätte hier nichts verloren. Solche Sachen. Ich habe ihn dann angezeigt, und er ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Aber so etwas passiert immer wieder. Vor ein paar Monaten habe ich in der Mensa der Fachhochschule Potsdam ein paar Flyer ausgelegt. Auf einen Tisch, auf dem alle ihre Flyer auslegen. Da ist ein junger Mann aufgestanden, er hat die Flyer weggeschmissen und zu mir gesagt: 'Ich brauche die nicht und dich brauche ich auch nicht, hau ab von hier.' Wegen solcher Ereignisse habe ich vor ein paar Jahren begonnen, mich selber in der Flüchtlingshilfe und bei anderen zivilgesellschaftlichen Organisation zu engagieren. Während des Wahlkampfs war ich ziemlich viel unterwegs. Ich wollte mir auch anschauen, wie die AfD arbeitet.

Das Unheimlichste war da vielleicht ein Treffen in Cottbus. Björn Höcke und der AfD-Chef von Brandenburg, Andreas Kalbitz, sind da vor der Stadthalle aufgetreten. Das ist unfassbar, was die reden, richtig krass. Die reden von Messereinwanderung, von Remigration, die sind einfach gegen Menschenrechte. Asyl ist ein Menschenrecht. Und jetzt hat die AfD 15 Direktmandate gewonnen, das macht mir richtig Angst. Einmal, weil die auch von vielen jungen Leuten gewählt worden sind. Und weil die AfD ihre Strukturen im Land jetzt immer weiter ausbauen wird."

Oussama K., 27 Jahre alt, ist 2015 aus Marokko nach Deutschland gekommen und lebt als Geduldeter in Chemnitz.

"Ich bin in der Phase nach Deutschland gekommen, die sie hier Flüchtlingskrise nennen. Damals sind mir viele Dinge passiert, die ich gar nicht richtig begriffen habe, weil ich noch nicht so gut Deutsch sprach. Je besser ich die Sprache beherrschte, desto klarer wurde mir, wie schlecht die Stimmung in Sachsen ist. Ich denke, es hat damit zu tun, dass viele Menschen im Osten sich als Bürger zweiter Klasse fühlen. Und mit Neid. Sie glauben alles, was im Netz steht, denken, wir bekommen alles geschenkt, 1000 Euro im Monat. Ich versuche, diese Leute nicht mehr zu beachten. Es gibt ein Wort dafür: Frusttoleranz.

Die Ausschreitungen in Chemnitz haben mich nicht überrascht. Die Stadt hat schon lange ein Nazi-Problem. Ich war sehr enttäuscht, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gesagt hat, es habe in Chemnitz keinen Mob und keine Hetzjagden gegeben. Das hat er gemacht, um keine Wähler zu verlieren. Klar, er will Rechtsextremismus bekämpfen, aber warum erst jetzt? Die CDU ist 30 Jahre an der Macht. Ich lese viel Zeitung, schaue die 'Tagesschau'. Die AfD-Wähler fühlen sich jetzt noch stärker, schämen sich nicht mehr für ihre Gedanken. Aber mich stören die Hetzer gar nicht so sehr. Mich stört, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, nichts tun, um die Situation von Menschen wie mir zu verbessern. In Marokko war ich Restaurantfachmann und Reiseführer. In Deutschland wollte ich eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel machen, aber mit meinem Status ist das fast unmöglich.

Sachsen erlebe ich als gespaltenes Land. Ich habe das Gefühl, ich stehe zwischen den Fronten. Die einen sagen: Hau ab! Die anderen wollen helfen. Glücklicherweise sind sie in der Mehrheit. Ich habe in Chemnitz viele coole Menschen kennengelernt. Sie bleiben freiwillig dort, um den Rechten nicht die Stadt zu überlassen. Davor habe ich Hochachtung."

"Wir mussten vom Spielplatz flüchten"

Sofia Abdullahi, 32, ist in Iran geboren, ihre Eltern stammen aus Afghanistan. Seit sieben Jahren lebt sie in Görlitz.

"Anfangs war es hier sehr schön, die Menschen auf der Straße waren nett zu uns, in der Ausländerbehörde, im Jobcenter. Es gab nur drei ausländische Familien, inzwischen sind es mehr. Viele Menschen haben hier etwas gegen Ausländer, ich glaube, deswegen wählen sie die AfD. Seit zwei, drei Jahren hat sich für uns alles geändert. Die Menschen sind abweisend zu uns. Einmal haben eine Freundin und ich meine Schwester besucht, unsere Kinder haben im Garten gespielt. Ein Nachbar war auch da, er lebt allein mit einem großen, schwarzen Hund. Selbst ich als Erwachsene hatte Angst vor diesem Hund. Der Mann hat ihn einfach freigelassen, der Hund ist hinter den Kindern hergelaufen und hat gebellt. Ich habe ihre Schreie gehört und bin schnell raus zu ihnen. Danach habe ich lange geweint. Der Mann wusste, dass die Kinder Angst haben. Wir hatten uns schon öfter im Treppenhaus gesehen. Ich habe ihn gefragt, warum er das gemacht hat. Er hat viele Schimpfwörter gesagt, die ich nicht verstehe; aber 'Scheiße' versteht jeder.

Ich wohne seit sechs Jahren in derselben Wohnung. Man hat uns die Schuhe geklaut, nachts Sturm geklingelt, unsere Tür mit roter Farbe bemalt. Erst letzte Woche hat mich ein Mann auf der Straße wegen meines Kopftuchs beschimpft. Ich tue dann so, als würde ich nichts verstehen, und laufe weiter. Ich kann mit den Kindern nicht zum Spielplatz gehen, es gibt immer Probleme - deutsche Mütter auf der einen Seite, arabische Mütter auf der anderen. Seit zwei Jahren sage ich: Wir müssen hier weg. Meine Schwester ist vor einem Jahr von hier weggezogen nach München. Ich würde gern auch nach München, aber wir finden keine Wohnung dort. Alles ist sehr teuer. Meine Schwester sagt, die Menschen dort sind netter. Sie sind Ausländer gewöhnt."

Konrad Erben, 30, Student, ist in Jena geboren und aufgewachsen. Er engagiert sich unter anderem in der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland".

Ostdeutschland: "Wenn jemand zu mir sagt: Geh dahin, wo du hingehörst, dann frage ich - wohin denn? Jena ist meine Heimat, ich lebe hier gern und bleibe": Konrad Erben aus Jena.

"Wenn jemand zu mir sagt: Geh dahin, wo du hingehörst, dann frage ich - wohin denn? Jena ist meine Heimat, ich lebe hier gern und bleibe": Konrad Erben aus Jena.

(Foto: Privat)

"Das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hat mich betroffen gemacht, aber nicht überrascht. Ich befürchte, dass es Ende Oktober in Thüringen ähnlich ausgeht. Sollte die rot-rot-grüne Regierung keine Mehrheit bekommen, sind viele Demokratie- und Vielfaltsprojekte bedroht. Dabei sind sie bitter nötig. Jena war in den 90er-Jahren eine absolute Neonazihochburg. Der NSU ist hier entstanden. Ich bin unter anderem in Winzerla aufgewachsen, ein Plattenbaugebiet im Südwesten. Wir haben ganz in der Nähe des berüchtigten 'Winzerclubs' gewohnt, ein Jugendzentrum, wo Akteure des 'Thüringer Heimatschutzes' ein und aus gingen.

Meine Familie und ich haben damals ganz massive Gewalt und Drohungen erlebt. Einmal musste meine Mutter mit meiner zweijährigen Schwester und mir an der Hand von einem Spielplatz flüchten, weil Neonazis versucht haben, uns anzugreifen. So etwas prägt einen. Kein Kind sollte von einem Spielplatz wegrennen müssen. Heute sind diese Strukturen durch zivilgesellschaftliches und antifaschistisches Engagement zurückgedrängt, aber natürlich gibt es nach wie vor Rassismus im Alltag: Affengeräusche, In-die-Haare-Fassen, Angestarrtwerden. Das ist im Osten ein größeres Problem als in Berlin oder Hamburg, das zeigt die Forschung, das belegen Übergriffszahlen. Nicht, dass es in westdeutschen Großstädten nicht auch Diskriminierung und Ausgrenzung gibt, aber hier wird das offener gezeigt, das Problembewusstsein ist kleiner. Wenn jemand zu mir sagt: Geh dahin, wo du hingehörst, dann frage ich: Wohin denn? Jena ist meine Heimat, ich lebe hier grundsätzlich gern und bleibe. Auch aus Trotz.

Mit der AfD gibt es jetzt eine Partei, die menschenfeindliche Positionen in die Parlamente trägt. Ich glaube nicht, dass Dialog mit diesen Leuten etwas bringt. Dadurch signalisiert man nur, dass man ihre Positionen ernst nimmt. Ich muss, will und werde mit niemandem diskutieren, der mir abspricht, gleichwertig zu sein. Das ist meine Erwartung an alle Demokraten."

Youmna Fouad, 30, stammt aus Ägypten und ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden.

"Als ich meinen Eltern 2012 erzählte, dass ich nach Dresden ziehen will, sagten sie: Du bist verrückt. Drei Jahre zuvor war dort Marwa El-Sherbini in einem Gerichtssaal erstochen worden. Sie hat mit meiner Schwester Handball in der ägyptischen Nationalmannschaft gespielt. Ich habe Germanistik in Kairo studiert und bin nach Deutschland gekommen, um meinen Master und meinen Doktor zu machen. Seit 2015 engagiere ich mich in der Flüchtlingsarbeit, habe Vorträge gehalten, an der Volkshochschule und an der Polizeiakademie. Ein Polizeischüler hat mich gefragt, ob der Koran die Männer ermutige, die Frauen zu betatschen. Seit der Kölner Silvesternacht begegnen mir solche Vorurteile öfter; sie sind für mich nicht nachvollziehbar. Diese Männer haben das nicht gemacht, weil sie Muslime sind, sondern weil sie kriminell sind.

Als ich das Marwa-El-Sherbini-Stipendium bekam, hat mich der Dresdner Oberbürgermeister eine 'Brückenbauerin' genannt. Ich habe es versucht. Es werden um die 40 Veranstaltungen gewesen sein, an denen ich mit Menschen ins Gespräch gekommen bin. Kulinarisches Miteinander auf dem Altmarkt, Tee, orientalische Süßigkeiten, solche Sachen. Es gab Menschen, die aufgeschlossen waren, aber einige wollen nur ihr Programm abspulen.

Eine Freundin von mir wurde in der Straßenbahn getreten. Sie ist Masterstudentin, trägt kein Kopftuch, hat dunkle Haare, dunkle Haut. Als sie den Mann zur Rede stellen wollte, nannte er sie verrückt. Als sie ihn fotografieren wollte, hat er sie so fest geschlagen, dass ihre Brille kaputt ging. Sie hat die Polizei gerufen und mich dazugebeten, weil ich besser Deutsch spreche und die Polizei kaum Englisch. Der Beamte hat uns nicht ernst genommen, ist laut geworden, hat gesagt, alles sei ein Versehen gewesen. Man sah noch den Fußabdruck an ihrer weißen Jeans. Nichts ist passiert, nicht mal eine Geldstrafe. Trotzdem würde ich nie sagen, alle Dresdner sind Nazis. Ich habe auch schon mit AfD-Anhängern geredet, selbst die haben unterschiedliche Ansichten. Meine Dissertation läuft bis 2021. Ich habe für den Integrations- und Ausländerbeirat kandidiert. Ich will bleiben, etwas bewirken. Nichts wird besser, wenn wir alle wegziehen."

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