AfD:Oberster Verfassungsschützer übt heftige Kritik

Lesezeit: 3 min

Thomas Haldenwang ist Jurist und seit fast fünf Jahren Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. (Foto: Michael Kappeler/DPA)

Thomas Haldenwang legt sich wieder mit der AfD an: Sie stelle die freiheitliche demokratische Grundordnung infrage. Führende SPD-Kräfte sehen eher die Politik in der Pflicht, den Aufstieg der Populisten zu stoppen.

Nach der Europawahl-Versammlung der AfD hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, seine Einschätzungen zu der Partei bekräftigt. "In einer Reihe von Äußerungen kommt ein ethnisches Volksverständnis zum Ausdruck, etwa indem der 'große Austausch' beschworen wird", sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio. "Solche Äußerungen bieten Anhaltspunkte dafür, dass hier die Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes für bestimmte Bevölkerungsgruppen infrage gestellt wird."

Ähnliches hatte Haldenwang bereits nach dem ersten Teil der Parteiveranstaltung vor rund einer Woche gesagt. AfD-Chef Tino Chrupalla hatte daraufhin geantwortet: "Wir vertreten hier ganz klar das Grundgesetz und Herr Haldenwang steht außerhalb genau dieses Gesetzes."

Haldenwang hatte zunächst eine "Stillhaltezusage" geben müssen

Haldenwang sprach davon, dass "diverse Wahlbewerber rechtsextremistische Verschwörungstheorien" geäußert hätten. Dagegen wehrte sich die Partei vor Gericht per Eilantrag und verlangte Unterlassung. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verpflichtete sich daraufhin in einer "Stillhaltezusage", kritische Äußerungen während der AfD-Europawahl-Versammlung am vergangenen Wochenende zu unterlassen. Zu den Gründen sagte Haldenwang der ARD: "Bei der Abgabe einer Stillhaltezusage handelt es sich um ein übliches Vorgehen in derartigen Eilverfahren, um dem Gericht hinreichend Zeit für eine sachgerechte Prüfung und Entscheidung zu geben."

Haldenwang sprach außerdem davon, durch das Informieren der Öffentlichkeit seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. "Dies dient als Mittel einer wehrhaften Demokratie dem Zweck, die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Verhaltensweisen zu unterrichten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. So kann solchen Bestrebungen rechtzeitig im Wege gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung begegnet werden." Ein Parteitag der AfD hatte an den vergangenen beiden Wochenenden in Magdeburg die Kandidaten für die Europawahl 2024 bestimmt und das Wahlprogramm beschlossen.

Der Berliner SPD-Chef Saleh plädiert dafür, sich um AfD-Wähler zu bemühen

Vor allem SPD-Politiker machen sich derweil Gedanken, wie der derzeitige AfD-Höhenflug in den Umfragen womöglich gestoppt werden könnte. Die Herangehensweise ist dabei unterschiedlich. Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh plädiert dafür, sich um AfD-Wähler zu bemühen und sie nicht auszugrenzen. "Die Menschen, die jetzt die AfD wählen, haben vorher zum großen Teil demokratische Parteien gewählt. Es bringt nichts, mit dem Finger auf sie zu zeigen, wir müssen sie zurückholen", sagte der Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Ich spreche hier für alle demokratischen Parteien."

Das sei durch gute Arbeit und eine Politik möglich, die das Vertrauen der Menschen in demokratische Prozesse stärke. "Damit machen wir es den Rechtsextremen schwer, die Menschen mit ihren plumpen Parolen zu erreichen." "Demokratische Parteien haben die Aufgabe, der gesamten Bevölkerung zu signalisieren: Wir tun alles Machbare, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt, dass niemand Angst haben muss, unverschuldet sozial abzusteigen", sagte Saleh. "Und man muss auf der anderen Seite zeigen, dass man keine Probleme ignoriert und in der Lage ist, die Menschen zu schützen."

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht angesichts des Umfragehochs der AfD die anderen Parteien in der Pflicht. "Grundsätzlich gilt: Wenn die AfD wieder schwächer werden soll, müssen die anderen Parteien besser werden", sagte der SPD-Politiker der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Martin Schulz rät dazu, die Angst vor dem sozialen Abstieg ernster zu nehmen

Die demokratischen Parteien weltweit sollten aus Sicht des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) die Angst der Menschen vor einem sozialen Abstieg ernster nehmen. "In dem Moment, in dem die Politik diese Angst durch konkretes Handeln abmildert, können wir Menschen davor schützen, blind Populisten zu folgen", sagte Schulz dem digitalen Medienhaus Table.Media in einem Interview.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Wahlsiege der AfD bei bevorstehenden Landtagswahlen in Deutschland erwartet Schulz nicht. Die AfD liege "real bei zehn bis zwölf Prozent", und diese Wähler werde sie behalten. "Aber ihr Höhenflug wird nicht anhalten", sagte der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung. Am Ende einer Legislaturperiode zögen die Wähler Bilanz und fragten sich, wer das Land in den nächsten Jahren führen soll. "Und Bilanz und Perspektive hängen zusammen. Du kriegst für eine gute Bilanz kein Lob, aber gegebenenfalls einen Vertrauensvorschuss für die nächste Zeit. Deshalb ist die Regierung gut beraten, die Nerven zu behalten", sagte Schulz.

Der aktuelle Höhenflug der AfD sei vorbei, wenn die Ampelkoalition im Bund zu einem kohärenteren Regierungshandeln kommt. "Das allerdings den Grünen und der FDP beizubringen, scheint mir relativ schwierig", räumte Schulz ein.

© SZ/dpa/epd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAfD
:Mein neues Zuhause

Klar war sie in der SPD, als Arbeiterkind aus Essen. Jetzt ist Julia Wortmann AfD-Mitglied, auch wegen deren Familienpolitik, sagt sie. Was die Partei ihr genau anbietet? Keine Ahnung. Aber wer sagt denn, dass es hier um Inhalte geht.

Von Josef Wirnshofer (Text) und Lorenz Mehrlich (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: