Äthiopien:"Zu sterben ist unser aller Pflicht"

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In einem Hospital in Mekele, Tigray, versuchen Mediziner Menschen zu helfen, die aufgrund der Blockade durch Äthiopien an Unterernährung leiden. (Foto: AP)

Wegen des Vormarschs der Tigray-Rebellen verhängt Äthiopiens Präsident den Notstand.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Man werde den Feind mit "unserem Blut und unseren Knochen" begraben, sagte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed am Mittwoch. "Sehr tief" werde das Grab sein, in dem die Gegner bald liegen würden. Vor zwei Jahren hatte Abiy Ahmed den Friedensnobelpreis erhalten, weil er Frieden mit dem Erzfeind Eritrea schloss, mittlerweile wird seine Kriegsrhetorik fast im Wochenrhythmus immer radikaler. Was wohl vor allem auf die zunehmend ausweglose Lage hindeutet, in der sich die einstige Friedenshoffnung mittlerweile befindet.

Abiy sprach am Mittwoch ein Jahr nachdem seine Armee einen Angriff auf die widerspenstige Region Tigray begonnen hatte. Eine kurze Militäraktion zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung sollte es werde, hatte Abiy damals angekündigt. Heraus kam ein Bürgerkrieg, der bisher vermutlich Zehntausenden Menschen das Leben gekostet hat, Hunderttausende sind auf der Flucht, Millionen stark unterernährt. Abiys Armee wurde mehrfach im Feld geschlagen, ihre Kommandostruktur zerfällt, die Kämpfer der Befreiungsfront von Tigray (TPLF) haben am Wochenende zwei Großstädte erobert und sollen nun überlegen, auf die Hauptstadt Addis Abeba zu marschieren, um die Regierung zu stürzen.

Abiy ließ mittlerweile den Notstand ausrufen, was ihm erlaubt, Medien zu verbieten, Kritiker zu inhaftieren und alle Männer über 18 Jahren einzuziehen. "Für Äthiopien zu sterben ist unser aller Pflicht", sagte Abiy. Er ruft mal wieder die finale Schlacht aus, was seine Lage bisher regelmäßig verschlechtert hat. Äthiopien droht zu kollabieren, die internationale Reaktion ist bisher verhalten, zwar verurteilte US-Präsident Joe Biden den Krieg und drohte Sanktionen an, ansonsten herrscht aber weitgehend Ratlosigkeit, wie der Konflikt zu beenden ist.

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Begonnen hatte er bereits kurz nach dem Amtsantritt von Abiy im Frühjahr 2018, zuvor war Äthiopien 27 Jahre lang von einer Einheitspartei regiert worden, die unter Kontrolle der TPLF und der Volksgruppe der Tigray stand. Die machen lediglich sechs Prozent der Bevölkerung im 110-Millionen-Einwohner Land aus, dominierten aber Politik und Wirtschaft. Das autoritäre Regime der TPLF erreichte ein stabiles Wirtschaftswachstum, war aber für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Nach jahrelangen Protesten vor allem junger Oromo, wurde mit Abiy zum ersten Mal ein Vertreter der größten Volksgruppe Ministerpräsident.

Er schloss Frieden mit Eritrea, entließ politische Gefangene und ließ die Opposition wieder zu. Mit den entmachteten Tigray gelang aber kein Friedensschluss, sie verloren ihre Ämter und Reichtümer, zogen sich in ihre Region im Norden zurück und sabotierten Abiys Reformen. Der Ministerpräsident wiederum tat wenig zur Deeskalation, verbündete sich mit dem einstigen Erzfeind Eritrea, um die Tigray zu entmachten und die TPLF zu vernichten.

Nur ist bisher das Gegenteil eingetreten, die TPLF marschiert womöglich auf Addis Abeba zu, dessen Einwohner aufgerufen wurden, zu den Waffen zu greifen. Eine Rebellengruppe aus Abiys Region Oromia hat sich mit der TPLF verbündet. "Der Ausnahmezustand wird das Regime nicht vor dem Kollaps retten", sagte ein TPLF-Sprecher. Ob die Rebellen aber tatsächlich auf Addis Abeba zumarschieren werden, ist umstritten.

Ein UN-Bericht zählt mehrere Massaker mit Hunderten Toten

Es wäre einerseits eine Art Wiederholung der Geschichte: Bereits 1991 hatte die TPLF die Hauptstadt erobert und damit das ganze Land. Nur war ihr damaliger Feldzug bei fast allen anderen Bevölkerungsgruppen populär, er richtete sich gegen eine kommunistische Diktatur. Diesmal liegen die Dinge anders. Die einstigen Befreier der TPLF errichteten nach 1991 ihre eigene Diktatur und sind in weiten Teilen der Bevölkerung verhasst. Abiys Vernichtungsfeldzug ist bei vielen Äthiopiern durchaus populär. Zumindest Teile der TPLF-Führung sollen deshalb dafür plädieren, den Vormarsch zu begrenzen. Andererseits ist jeder Geländegewinn ein Faustpfand für künftige Verhandlungen. Die bisher aber nicht absehbar sind, jede Seite radikalisiert sich. Am ehesten noch könnte Abiy das Geld ausgehen, die Inflation liegt bei mehr als 30 Prozent, der Krieg kostet Milliarden, die Sanktionen der USA könnten den aufstrebenden Exportsektor beschädigen.

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Auf die ersten Sanktionsdrohungen im September hatte Abiy noch wütend mit der Ausweisung von sieben UN-Diplomaten reagiert. Dieses Mal ist der Ton ein anderer, man bedauere die Ankündigung der USA und werde Menschenrechtsverletzungen sorgfältig untersuchen, teilte das Handelsministerium mit.

Die UN stellten am Mittwoch, ein schon länger geplanter Termin, ihren ersten Bericht zur humanitären Lage während des Konflikts vor, der in Zusammenarbeit mit der Äthiopischen Menschrechtskommission erstellt wurde, die eine staatliche Gründung ist, aber nach eigenen Angaben unabhängig arbeitet. "Alle am Tigray-Konflikt beteiligten Parteien haben gegen die internationalen Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht und das Flüchtlingsrecht verstoßen. Einige dieser Verstöße können Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen", sagte die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet. Die UN-Ermittler führen in ihrem Bericht mehrere Massaker mit Hunderten Toten auf, die sowohl von Abiy und seinen Verbündeten begangen wurden als auch von der TPLF.

Der Bericht selbst legt sich nicht fest, wessen Seite die meisten Verbrechen begangen hat. Bei der Vorstellung sagte Bachelet aber, die Mehrzahl der in der Untersuchung beschriebenen Verbrechen sei von der äthiopischen Armee und den Verbündeten aus Eritrea begangen worden. Allerdings decke die Untersuchung nur einen Zeitraum bis Juni 2021 ab. Danach habe es eine Zunahme von Vergehen der TPLF gegeben. Ministerpräsident Abiy sagte, er akzeptiere den Bericht trotz einiger "ernsthafter Vorbehalte" und kündigte an, dass eine zivil-militärische Taskforce eingerichtet werde, um alle Anschuldigungen zu untersuchen. Für einen kurzen Moment klang er tatsächlich wie ein Friedenobelpreisträger.

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