Am Morgen danach schleppt sich der Verkehr wie immer schwerfällig und laut durch Kairo. Auf dem zentralen Tahrir-Platz huschen die Fußgänger zwischen den Autoschlangen hinüber auf die andere Straßenseite, hupen sich Taxis an mögliche Fahrgäste heran, gehen Menschen zur Arbeit, bummeln Touristen. Nur das Großaufgebot an Bereitschaftspolizisten in Kampfanzügen, mit Helm, Schild und Schlagstock, erinnert an den Vortag. In den Seitenstraßen stehen Wasserwerfer und vergitterte Mannschaftswagen. In anderen Stadtteilen sammeln sich derweil wieder die ersten Demonstranten.
Mittwoch, Kairo am Tag danach. Mit den größten Demonstrationen seit dreißig Jahren haben die Ägypter ihrem seit 1981 regierenden Präsidenten Hosni Mubarak klargemacht, dass sie mehr von ihm erwarten als leere Reformversprechen, Arbeitslosigkeit, Korruption, Folter und Wahlfälschungen. Die Slogans der rund 15.000 Protestierer am Vortag auf dem Tahrir-Platz: "Mubarak, tritt endlich ab. Gestern Tunis, heute Kairo!"
Was am Dienstagmittag in Kairo und anderen ägyptischen Städten als friedlicher Protest begonnen hatte, endete mit Polizeigewalt - und mit mindestens sechs Toten bis zum Mittwochabend. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs knüppelten Bereitschaftspolizisten die noch immer Tausenden Demonstranten im Stadtzentrum Kairos auseinander.
"Gegen Mitternacht gingen Gerüchte um, dass der Innenminister befohlen habe, scharf zu schießen", sagt ein Teilnehmer. "Um fünf nach halb eins schossen die Polizisten große Mengen Tränengas. Sie setzten Wasserwerfer ein und gingen auf uns los." Der Mann hält seine blutverschmierten Hosen hoch: "Dann hat mich irgend etwas am Bein getroffen, wegen des Tränengases konnte ich nicht atmen. Um ein Haar hätten sie mich festgenommen." Zum Arzt gehen will der 56-Jährige nicht: "Alle, die sich behandeln lassen, werden verhaftet."
Angeregt durch die "Jasmin-Revolution" in Tunesien waren die Ägypter auf die Straße gezogen. Landesweit sollen es 90.000 gewesen sein. In Kairo zogen sie aus verschiedenen Stadtteilen ins Zentrum: Dort liegt das wichtigste Verwaltungsgebäude des Landes. Innenministerium und Parlament sind nah. Die Polizei setzte anfangs auf Deeskalation. Polizeioffiziere sagten gezwungen lächelnd: "Ägypten ist ein freies Land. Die Bürger können ihre Meinung sagen." Mit Meinungs- und Demonstrationsfreiheit war es jedoch vorbei, als die Demonstranten Richtung Parlament zogen. Es kam zu Straßenschlachten, bei denen nach Angaben des Innenministeriums ein Polizist starb. Auch in anderen Städten flammte der Protest auf. Drei Demonstranten starben durch Polizeigewalt.
Es herrscht Aufruhr in der arabischen Welt. Bei der Revolution in Tunesien hat Zine el-Abedine Ben Ali als einer der hartleibigsten Diktatoren der Region die Macht verloren. Nun bewegt sich auch Ägypten. In dem Touristenparadies lebt die Hälfte der Menschen an der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei zehn Prozent, die Inflation bei 12,8. In Wahrheit fehlen viel mehr Jobs, steigen die Preise immer weiter - als Folge von Mubaraks Wirtschaftsliberalisierung. Nur die Reichen und ein kleiner Teil der Mittelschicht profitieren. Die superreiche Oberschicht baut sich luxuriöse "Gated Communities" und schickt ihre Kinder zum Studieren in die USA.