Pegida:Die Demokratie darf nicht alles erdulden

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Es ist unverständlich, wie viel die Polizei in Dresden durchgehen lässt. (Foto: REUTERS)

Vandalismus lockt weitere Vandalen an, das ist derzeit bei Pegida zu besichtigen. Die Polizei muss härter gegen rechtsradikale Straftäter vorgehen, sonst werden diese die politische Kultur nach Belieben demolieren.

Kommentar von Tanjev Schultz

Vandalismus lockt weitere Vandalen an, das kennt man aus sozialpsychologischen Experimenten. Stehen demolierte Autos in der Gegend herum, kommen Leute und klauen die Radkappen. Gibt es irgendwo eine wilde Müllkippe, trauen sich immer mehr Menschen, ihren Dreck dort abzuladen.

In der politischen Kultur funktioniert es manchmal ähnlich. Sind die Zäune der Zivilität erst eingerissen, trampeln Fanatiker und Extremisten dreist und furchtlos durch die politische Landschaft. In Dresden ist dieser politische Vandalismus bei Pegida zu besichtigen. Und auch die Polizei schaut zu.

Der Rechtsstaat hält viel aus, er muss viel aushalten - aber eines darf er auf keinen Fall zulassen: dass Volksverhetzer ihn verlachen. Deshalb ist es unverständlich, wie viel die Polizei in Dresden laufen lässt. Ungehindert tragen Demonstranten einen Galgen mit den Namen von Politikern herum, ungehindert bedauert ein Redner, die Konzentrationslager seien ja leider außer Betrieb. Das ist nicht nur ein Fall für den Staatsanwalt. Es ist auch ein Fall für die Polizei, die bereits an Ort und Stelle eingreifen müsste.

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Journalisten werden bedroht und getreten

Sachsen muss schneller und härter gegen rechtsradikale Straftäter vorgehen, sonst werden diese die politische Kultur nach Belieben demolieren. Zu dieser politischen Kultur gehört auch die freie Presse, die von Pegida-Demonstranten als "Lügenpresse" oder "Judenpresse" verhöhnt wird. Journalisten werden bedroht, geschubst und getreten. In diesem Beruf sollte man zwar bestimmt nicht weinerlich sein; aber abgesehen davon, dass Gewalttaten niemals toleriert werden dürfen, geht es auch um die Grundlagen dieses Staates. Wer ständig mit der Deutschlandfahne wedelt, sollte wissen, dass man damit die Pressefreiheit nicht einwickeln und ersticken kann. Schwarz, Rot, Gold: Das sind eigentlich die Farben, hinter denen sich Freunde der Freiheit versammeln sollten - nicht die Pöbler, die von Pogromen träumen.

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Die wehrhafte Demokratie ist oft beschworen worden, wenn es um echte oder vermeintliche Verfassungsfeinde im linken Lager ging. Die Polizei hat früher immer wieder hart zugegriffen und zugeschlagen, wenn sie bei Anti-Atom-Protesten oder Friedensdemos den Befehl bekam, eine Versammlung oder eine Blockade aufzulösen. Nun kann sich niemand wünschen, dass Beamte die Pegida-Bewegung brutal von der Straße prügeln. Deeskalation ist auch in Dresden notwendig und einem Rechtsstaat angemessen. Doch dazu gehört eben auch, eine weitere Eskalation des Hasses und der Hetze zu unterbinden. Wenn die Organisatoren von Pegida das nicht selbst schaffen (oder nicht schaffen wollen), muss es der Staat tun, notfalls sogar mit dem Verbot oder der Auflösung einer Demonstration. Die Demokratie darf nicht alles erdulden.

Kein Tag, an dem nicht ein Flüchtlingsheim attackiert wird

All jene, die besorgt sind, die Flüchtlinge könnten das hiesige Rechts- und Wertesystem bedrohen, müssten viel besorgter sein über die ständigen Angriffe von Neonazis. Es vergeht ja kein Tag in Deutschland, an dem nicht irgendwo ein Flüchtlingsheim attackiert wird, beschmiert, in Brand gesetzt, mit Steinen beworfen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo ein rechter Gewalttäter zuschlägt oder zusticht. Zu Recht hat nach dem Attentat auf Henriette Reker in Köln der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen. Was aber ist mit den vielen anderen Anschlägen, die nicht nur einer einzelnen Person oder einem einzelnen Gebäude gelten, sondern dem - bei Rechtsextremisten verhassten - "System"?

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Seit einem Jahr gehen die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" montags auf die Straße. Wirklich jeden Montag? Hat sich die Bewegung radikalisiert? Und wie sieht es mit Verbindungen in die etablierte Politik aus?

Das Entsetzen war groß, als die rechte Terrorbande NSU entdeckt wurde. In einem langwierigen Prozess werden derzeit die Hintergründe aufgearbeitet. Das reicht aber nicht. Denn der alltägliche Neonazi-Terror geht weiter, auch ohne NSU. Zwar lassen sich viele Taten, juristisch gesehen, nicht als Verbrechen einer terroristischen Vereinigung fassen, aber für die vielen Opfer rechter Gewalt sind solche Differenzierungen kein Trost. Für sie ist und bleibt es: rechter Terror.

Staat zeigt sich seit Jahren als schwach und verzagt

Im Kampf dagegen erweist sich der Staat seit Jahren als schwach und verzagt. Es genügt nicht, eine Sonderkommission zu gründen, wenn gerade wieder etwas Spektakuläres passiert ist. Der Staatsschutz muss der rechten Szene dauerhaft nachsetzen - und dabei die Fehler der Vergangenheit vermeiden, als diese Szene durch V-Leute eher gepäppelt als kontrolliert und bekämpft worden ist. Es würde jedenfalls nicht helfen, wenn man nun die Hetzer von Pegida auch noch belohnt, indem man sie als Informanten anwirbt und aus der Staatskasse versorgt.

Bei Pegida laufen sicherlich auch Menschen mit, denen jede Gewalt ein Gräuel ist. Sie müssten spätestens jetzt auf Abstand gehen. Sie müssten zeigen, dass sie doch keine politischen Vandalen sind.

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Von Ulrike Nimz und Cornelius Pollmer
© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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