NSU-Prozess:Beate Zschäpe, die brave Hausfrau

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Im November 2011 explodierte hier alles. Zurück blieben im Haus in der Frühlingsstraße in Zwickau verwertbare DNA-Spuren, Waffen und Videos. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Vor der Tür zogen sie artig die Schuhe aus: Im NSU-Prozess zeigen Filmausschnitte den langweiligen Alltag der Terrorbande - die perfekte Tarnung für ihre Verbrechen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger, München

Es ist ein so langweiliges Haus. Nix los den ganzen Tag. Draußen fährt alle Viertelstunde mal ein einsames Auto vorbei, drinnen geht hin und wieder mal das Licht im Treppenhaus an. Und dann sieht man die Hausfrau aus dem ersten Stock einen Korb in den Hinterhof tragen und dort die Wäsche von der Leine abnehmen. Sie unterhält sich nett mit einer Nachbarin, ein kleiner weißer Hund springt um die beiden herum. Dann geht die Hausfrau wieder nach oben.

Die brave Hausfrau ist Beate Zschäpe. Die Frau, die seit zweieinhalb Jahren vor Gericht steht, angeklagt, an zehn Morden und 15 Raubüberfällen der Terrorbande NSU mitgewirkt zu haben - dadurch, dass sie ihren Männern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die perfekte Tarnung bot. Als nette Nachbarin, als umsichtige Hausfrau. Als jemand, der keinerlei Interesse auf die Wohnung des Trios in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau zog, weil es dort ja so furchtbar langweilig zuging.

Das Gericht als Kinosaal

Das Gericht ist an diesem Dienstag ein Kinosaal. An die Wände werden Videosequenzen projiziert, die aus einer sehr speziellen Quelle stammen: aus den Überwachungskameras, die der NSU selbst installiert hatte - zwischen den Plastikblumen in den Blumenkästen an ihrer Wohnung. Eine Kamera blickte auf die Frühlingsstraße, zwei in den Hinterhof und eine durch den Türspion ins Treppenhaus.

Und da sieht man abends um 19 Uhr Uwe Böhnhardt kommen, erst stellt er das Fahrrad in den Keller, dann kommt er herauf. In einer Jacke und mit Mütze auf dem kurz geschorenen Kopf. Seine abstehenden Ohren sind gut zu erkennen. Brav zieht er an der Tür die Schuhe aus.

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Ein anderes Mal empfangen Beate Zschäpe und ihre zwei Uwes einen Freund an der Wohnungstür. Es ist sechs Tage vor Weihnachten 2010, es geht zum Großeinkauf, man kann sich das gut vorstellen, sie zieht mit dem Besucher ab, der hat ein Auto, mit dem sie zum Supermarkt fahren. Später kommen sie wieder, stapfen mit den Einkäufen durch den Schnee hinterm Haus. Oben machen die Uwes auf und feudeln brav hinter Beate Zschäpe den Flur. Schneereste beseitigen.

Und dann ist da der 26. Oktober 2011. Vor dem Haus steht schon das große weiße Wohnmobil, mit dem Mundlos und Böhnhardt Anfang November losfahren werden - zu ihrem letzten Banküberfall. So haben sie es immer gemacht: Wohnmobil gemietet, in der Nähe eines Tatorts geparkt, dann mit den Rädern los zu Überfällen und Morden, danach die Räder im Wohnmobil verstaut und wieder nach Hause. Das hat immer geklappt, doch diesmal sollte alles anders sein.

Eine unbekannte Spur am Kinderschuh

Vor der Tür steht gleichsam schon ihr Sarg. Denn der Überfall in Eisenach geht schief, Mundlos und Böhnhardt werden verfolgt, legen in ihrem Wohnmobil Feuer und erschießen sich. Es ist der 4. November 2011. Kurz darauf geht auch ihre Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau in Flammen auf. Es zweifelt nach 238 Prozesstagen niemand mehr daran, dass Zschäpe die Wohnung in Brand gesetzt hat.

Viel verbrennt, doch nicht alles. Im Führerhaus des Wohnmobils finden die Fahnder neben zigtausend Euro auch einen Plüschteddy, einen Kinderschuh, eine Wasserpistole und eine Puppe. Überall daran die DNA von Mundlos und Böhnhardt, aber an dem Kinderschuh auch eine Spur, die niemandem zuzuordnen ist. Nebenklage-Vertreterin Antonia von der Behrens geht deswegen davon aus, dass im Umkreis des Trios ein Kind gespielt hat, und dazu müsse es auch Erwachsene geben. Sie schließt auf ein weiteres Unterstützerfeld des Trios, das noch nicht bekannt ist.

Auch in der Wohnung blieb viel unversehrt - und spricht im Prozess Bände. Zeitungsausschnitte, die für das Bekennervideo des NSU benutzt wurden - auf ihnen fanden sich Fingerabdrücke von Zschäpe. Der Tresor mit den Handschellen der getöteten Polizistin. Waffen. Zschäpe schaut ein wenig glasig auf die Bilder von ihrem früheren Hinterhof auf der Wand des Gerichtssaals. Es ist der Blick, den sie jahrelang hatte, wenn sie aus ihrem Küchenfenster schaute. Ein Blick auf ein paar Bäume, ein Stückchen Gras, einen Wäscheständer, Mülltonnen. Auf einem Video kommt ihre Freundin Susann E. mit ihren beiden Jungs zu Besuch - sie tollen im Garten. Der Vater der Jungs, André E., sitzt mit Zschäpe auf der Anklagebank. Und dann sieht sie ihre beiden Uwes, beide sehr groß, beide kahl rasiert, beide mit fast identischen Kapuzenpullis. Und sich selbst. Sie alle drei in ihrer alten Wohnung. In ihrem alten Leben.

Der Prozess geht weiter. Vergangene Woche hatten der Angeklagte Ralf Wohlleben und Zschäpe einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt. Am Montagabend schon wurde der Antrag abgelehnt.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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