Theresa May:Brexit unter Ideologen

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Was Theresa May auch tut - immer riskiert sie nicht nur ihre Mehrheit im Parlament, sondern auch ihren eigenen Sturz, Neuwahlen und einen Machtwechsel. (Foto: Getty Images)

Die Verhandlungen zum EU-Austritt Großbritanniens befinden sich in der Sackgasse. Premierministerin May hat sich eingemauert. Ein Kompromiss könnte sie den Job kosten.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Ungewohnt freundliche Worte waren vor dem Salzburger Gipfeltreffen zwischen den Briten und der EU gewechselt worden: Brücken sollten gebaut, rote Linien aufgegeben, die Lage sollte "entdramatisiert" werden. Weiche Töne für einen weichen Brexit. Nach dem kurzen Aufritt in Salzburg aber, bei dem Theresa May um Mitternacht endlich ihr Programm vor den Regierungschefs präsentieren konnte, musste auch dem größten Optimisten klar sein: Da geht gar nichts.

Denn die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens basieren auf dem großen Missverständnis, dass mit technischen und organisatorischen Kompromissen, die mittlerweile seitenweise hin- und hergereicht werden, ein Deal möglich wäre. Tatsächlich aber sind die Gespräche deshalb in einer so fatalen Sackgasse, weil es nicht um pragmatische Lösungen, sondern um Ideologie geht. Das gilt vor allem für das Kernproblem, die Grenze auf der irischen Insel, aber es gilt auch darüber hinaus.

Premierministerin May müsste eigentlich gut mit den Vorschlägen leben können, die EU-Chef-Unterhändler Michel Barnier zuletzt gemacht hatte, um den sogenannten Backstop für die Briten annehmbarer zu machen. Danach würde Nordirland, anders als der Rest des Königreichs, in Zollunion und Binnenmarkt bleiben, wenn kein Austrittsvertrag zustande kommt. Barnier hat viele Ideen, wie man eine solche Lösung so ausgestalten könnte, dass sie im Post-Brexit-Alltag nicht zu Verwerfungen führen müsste.

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Doch May hat sich eingemauert. Sie sagt: Es kann keinen Deal geben, bei dem Nordirland anders behandelt wird als der Rest des Landes. Auch wenn das praktisch möglich wäre, würde es in der Lesart der britischen Regierung "das Ende der territorialen Integrität" Großbritanniens bedeuten. Aus dieser Haltung findet May nicht mehr hinaus.

Die Premierministerin war ohnehin mit einem ganzen Kanon nach Salzburg gefahren, den sie für nicht verhandelbar erklärte - daheim wie in Brüssel. Sie hat ein zweites Brexit-Referendum ausgeschlossen, obwohl die Zustimmung dafür wächst. Sie hat eine Verschiebung des Austrittstages auch für den Fall ausgeschlossen, dass bis 29. März 2019 keine Lösung vorliegt. Fresst oder sterbt, hat sie zudem signalisiert: Entweder mein Chequers-Plan (der im Wesentlichen ein Freihandelsabkommen und ein technisch hochkomplexes Zollsystem vorsieht), wird akzeptiert - oder wir gehen ohne Deal.

Auch das hat ideologische Gründe: Der Abschied von der EU bedeutet für die große Mehrheit der Tories, dass man sich von Brüssel kein Jota mehr diktieren lassen will. Diese Haltung wird zwar vorwiegend den radikalen Brexit-Fans zugeschrieben, aber sie ist auch May nicht fremd. Kontrolle zurückzugewinnen ist ihr Credo - über das Land. Und über die eigene Partei.

Theresa May ist eine Getriebene

Denn die Glaubenskrieger in Mays Partei sind mitschuldig, dass May sich eingemauert hat. Eine Gruppe behauptet, ein Austritt ohne Vertrag werde nicht wehtun. Die nächste glaubt, schon der Chequers-Plan, der EU-Standards für Güter vorsieht, bedeute eine Unterwerfung unter Brüssel. Die dritte warnt, nur eine Mitgliedschaft in der EU garantiere Wohlstand und Frieden.

Die Premierministerin ist daher auch eine Getriebene. Was sie auch tut - immer riskiert sie nicht nur ihre Mehrheit im Parlament, sondern auch ihren eigenen Sturz, Neuwahlen und einen Machtwechsel. Für die Tories ist das eine Horrorvision. Das Damoklesschwert hängt seit einem Jahr über der Regierung; das macht sie schwach - und die Vertreter radikaler Positionen stark. Auf dem Parteitag der Konservativen in zehn Tagen werden daher dieselben Kämpfe ausgefochten wie schon in den vergangenen Jahren. Die Tories haben nichts gelernt. Und Labour ist auch keine Hilfe: Die Partei von Jeremy Corbyn ist, kurz vor ihrem eigenen Parteitag, zu sehr mit sich und ihren ideologischen Kämpfen beschäftigt, als dass sie zu konstruktiven Beiträgen zum Brexit fähig wäre.

Die Lage ist verfahrener denn je

Wo sich May also bewegen könnte, will sie sich nicht bewegen. Oder darf sich nicht bewegen. Aber ohne eine Lösung - etwa für die zentrale Nordirland-Frage - gibt es keinen Austrittsvertrag. Ohne Austrittsvertrag gibt es keine politische Erklärung über die künftigen Beziehungen. Und keine Übergangsphase. Die Lage ist verfahrener denn je; hinter den Kulissen räumen das alle Beteiligten ein, die auf der Vorderbühne davon reden, eine Einigung sei "greifbar".

Mehrere Szenarien sind vorstellbar. Die EU könnte nachgeben, um ein Scheitern der Verhandlungen - auch im Eigeninteresse - zu verhindern. Das bedeutete, die britischen Vorschläge zu übernehmen, May zu stärken, aber auch eine Grenze in Irland zu akzeptieren und eigene Grundsätze aufzugeben. Oder: Die Briten müssen so viel Angst vor den Folgen eines ungeregelten Austritts bekommen, dass sie umkippen. Die dritte Alternative wäre die schlimmste: keine Annäherung. Kein Abkommen. Chaos in Großbritannien.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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