Afghanistan-Einsatz:Angst vor der Wahrheit

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Außenminister Westerwelle fürchtet eine kritische Beurteilung der Lage in Afghanistan. Doch mit Schönfärberei riskiert die Bundesregierung den Rest an Zustimmung zum Einsatz.

Daniel Brössler

Die internationale Afghanistan-Politik folgt seit geraumer Zeit dem Prinzip Staudamm. Vielfältige Probleme lässt man hinter dem Damm zusammenfließen, bestehend aus dem zunehmenden Terror der Taliban, dem unveränderten Unvermögen der Regierung in Kabul und der wachsenden Ungeduld der Völker im Westen. Nun drohen sie mit großer Wucht das in Afghanistan seit 2001 Erreichte wegzuspülen: die Fortschritte für die Menschen in Teilen des Landes ebenso wie den Zugewinn an Sicherheit für den Westen, um den es ja nach den Terrorangriffen des 11. September ging. Soll der Damm nicht brechen, müssen vorsichtig Schleusen geöffnet werden.

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Wie schwierig diese Aufgabe ist, war am Auftritt von Außenminister Guido Westerwelle am Freitag im Bundestag abzulesen. Der Minister hat verkündet, dass nicht alles gut, aber eben auch nicht alles schlecht sei in Afghanistan. Er hat klargemacht, dass die Bundeswehr nicht einfach abziehen kann, aber auch versprochen, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode eine "Abzugsperspektive" geben wird. Er musste einräumen, wie wenig die afghanische Regierung zum Beispiel im Kampf gegen die Korruption erreicht hat, und brachte doch zum Ausdruck, wie sehr er auf ihre Versprechungen baut. Der Minister kann die triste Realität und die zunehmende Gewalt nicht leugnen und nährt doch hohe Erwartungen an die bald stattfindende Afghanistan-Konferenz in Kabul. Westerwelles Angst ist die des Schleusenwärters vor dem Wasser. Er fürchtet, dass eine zu kritische Lagebeurteilung der Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz den Rest geben würde. Die von ihm selbst versprochene "ehrliche Bestandsaufnahme" bleibt er deshalb schuldig.

Beeindrucken und vermutlich auch überzeugen würde indes nur schonungslose Offenheit. Westerwelle müsste die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass am Ende eines langjährigen Einsatzes unter dem Banner von Demokratie und Menschenrechten bestenfalls ein Verhandlungsfriede mit den Todfeinden dieser Werte, den Taliban, stehen wird. Er sollte auch nicht versuchen, durch die Schlagworte von der Übergabe der Sicherheitsverantwortung davon abzulenken, dass sich die Sicherheitslage in den umkämpften Gebieten des Landes in nächster Zeit erst einmal verschlechtern dürfte. Vor allem aber hätte er klar machen müssen, dass die Wirklichkeit der Konferenzen nur wenig zu tun hat mit der Realität im Land. Die geplante und von Westerwelle vorab hochgelobte Außenminister-Konferenz in Kabul kann davon keine Ausnahme bilden, solange das Überleben der Gäste nur durch aberwitzige Sicherheitsmaßnahmen gewährleistet werden kann.

Schönfärberei erhöht nicht die Akzeptanz des Einsatzes in Afghanistan, und sie schadet der Glaubwürdigkeit. Wenn die Bundesregierung sich nicht vorsieht, steigt der öffentliche Druck zum Abzug schneller, als ein verantwortbarer Rückzug in Sicht ist.

© SZ vom 10.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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