Weihnachtsansprachen:Zehn Männer im Kerzenschein

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Christian Wulff ist in die Geschichte der Weihnachtsansprache eingegangen als der Mann, der den Tisch wegräumte. Aber Bundesadler und Tannenbaum durften bleiben. (Foto: Steffen Kugler/dpa)

Vor 50 Jahren gab es den großen Redentausch, seither hält immer der Bundespräsident die Weihnachtsansprache im Fernsehen, mal pathetisch, mal persönlich. Die Bilder gleichen sich - bis 2010 plötzlich der Schreibtisch verschwand.

Von Nico Fried, Berlin

Die erste Weihnachtsansprache, die der heutige Bundespräsident gesehen haben könnte, war die von 1962. Der kleine Frank-Walter Steinmeier stand kurz vor seinem siebten Geburtstag, als Konrad Adenauer erstmals nicht nur im Radio, sondern auch im Fernsehen zu seinen Landsleuten redete: "Die letzten Wochen, ja die letzten Monate vor diesem Weihnachtsfest waren erfüllt von großer Unruhe." Damit meinte der Kanzler die Kuba-Krise, in der die Welt im Oktober 1962 nur mit diplomatischem Geschick vor einem Atomkrieg bewahrt worden war.

In den Anfängen der Bundesrepublik richteten noch die Kanzler zu Weihnachten ihre Worte ans Volk. Hier Konrad Adenauer 1962, bei der ersten im Fernsehen übertragenen Ansprache. (Foto: ARD Mediathek/Screenshot: SZ)

Adenauers erste Weihnachtsansprache im Fernsehen war zugleich seine letzte, denn 1963 erfasste eine große Unruhe auch die CDU, weshalb sie ihn nach 14 Jahren durch Ludwig Erhard ersetzte. Adenauer hatte seine Ansprachen seit 1949 für regelrechte Predigten genutzt, in denen er seine Landsleute zur Besinnung aufforderte, "denn der Mensch soll bewusst leben, er soll sich Rechenschaft ablegen über die Höhen und die Tiefen des Weges, den er wandert" (1954). Er selbst sah sich nur gelegentlich veranlasst, Rechenschaft für politische Versäumnisse abzulegen, etwa zu Weihnachten 1956, als er die Verzögerung einer Rentenreform damit erklärte, dass "der zu ordnende Stoff sich als noch komplizierter erwiesen hat, als man annahm".

Dass Frank-Walter Steinmeier auch am ersten Weihnachtstag 2020 wieder zu den Bürgern spricht, verdankt das heutige Staatsoberhaupt seinem politischen Vorbild Willy Brandt. Der damalige Kanzler verständigte sich 1970 mit Bundespräsident Gustav Heinemann auf einen Tausch der Auftritte: Das Staatsoberhaupt bekam die Weihnachtsansprache, der Kanzler die Rede zum Jahreswechsel. "Gefühlvolle Deklamationen sind nicht meine Sache", sagte Brandt zur Begründung. "Verantwortliches politisches Handeln zwingt zum nüchternen Denken."

Zehn Präsidenten, 50 Ansprachen

Die Bundesrepublik hat seit 1949 zwölf Bundespräsidenten erlebt, zehn von ihnen hielten seit 1970 Weihnachtsansprachen. Die Fluktuation ist mithin doppelt so hoch wie unter den Kanzlern, deren fünf sich seit 1970 insgesamt 50 Neujahrsansprachen aufteilten. Den Grund dafür nur in der Begrenzung der Amtszeit des Staatsoberhaupts auf zweimal fünf Jahre zu suchen, führt in die Irre, da nur ein Bundespräsident - Richard von Weizsäcker - in dieser Periode die vollen zehn Jahre im Amt war.

Horst Köhler war der letzte Bundespräsident, der, wie hier im Jahr 2004, seine Weihnachtsansprache im Sitzen verlas. (Foto: Christian Thiel/Picture Alliance/dpa)

Adenauer hatte in seinen Ansprachen stets auch der "Deutschen in der Zone und in Berlin" gedacht, "wo die Menschen nur einen trüben Glanz des weihnachtlichen Lichtes kennen". Er sah im Kalten Krieg auch eine Auseinandersetzung zwischen Christentum und Atheistmus. Weizsäcker sprach an Weihnachten 1989 zu den Deutschen in beiden Staaten und enthob den Mauerfall jeglicher religiösen Deutung: "Was wir in diesen Tagen in Europa und in Deutschland miterleben, ist keine Botschaft des Himmels, sondern das Werk friedlicher und tapferer Menschen."

Derart bedeutsame Ereignisse hatten die Nachfolger nicht zu kommentieren. Von Horst Köhler ist zwar eine Fernsehansprache in Erinnerung geblieben, allerdings keine zu Weihnachten, sondern die Rede zur Auflösung des Bundestags 2005, die der damalige Bundespräsident in ein düsteres Bild der Lage kleidete.

Frank-Walter Steinmeier bei der Weihnachtsansprache im vergangenen Jahr. Er gab damals zu, dass auch ein Bundespräsident nicht auf alle Fragen eine salbungsvolle Antwort wisse. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Christian Wulff, als Modernisierer des Amtes angetreten, wandte sich als erster Bundespräsident im Stehen ans Volk und sagte: "Wissen Sie, was die meisten Kinder von ihren Eltern gern hätten? Mehr Zeit." Zumindest für seine Kinder ging dieser Wunsch alsbald in Erfüllung. Wulffs Nachfolger Joachim Gauck hatte es seit der Flüchtlingskrise 2015 mit einer politisch auseinanderdriftenden Gesellschaft zu tun. Das machte sich 2017 auch im Ergebnis der Bundestagswahl bemerkbar und führte dazu, dass Frank-Walter Steinmeier als erster Bundespräsident eine Weihnachtsansprache hielt, ohne vorher eine Regierung ernannt zu haben.

Der amtierende Bundespräsident markierte 2019 auch den größten Unterschied zu den Ansprachen früher Jahre. Nach einer Aufzählung von Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt sagte Steinmeier: "Vielleicht erwarten Sie, dass der Bundespräsident in einer Weihnachtsansprache auf all diese Fragen eine salbungsvolle Antwort gibt. Die Wahrheit ist: Das kann der Bundespräsident nicht." So ein Satz wäre Adenauer nicht in den Sinn gekommen.

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