Weihnachtstraditionen:Netflix sei mit euch

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Die Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Fürstenfeldbruck. (Foto: Johannes Simon)

Nur noch wenige Menschen wollen an Heiligabend in die Kirche gehen, man bleibt lieber zu Hause und schaut einen Film. Die Corona-Pandemie hat die Menschen offensichtlich vom Kirchgang entwöhnt.

Von Annette Zoch

Weihnachten ist ein Fest der Rituale: Wachskerzen oder Lichterkette? Bescherung vor dem Essen oder danach? Würstchen mit Kartoffelsalat oder lieber Gans mit Knödel? Koordinaten wie diese markieren für viele Menschen einen gelungenen Heiligabend. Ein Ritual allerdings scheint ins Wanken zu geraten: der Gottesdienst-Besuch.

In einer repräsentativen Umfrage der Bundeswehr-Universität Neubiberg gaben nur noch 15,4 Prozent der rund 1200 Befragten an, dass sie an Heiligabend in die Kirche gehen wollen. Im Vor-Pandemie-Jahr 2019 hatten immerhin noch 23,6 Prozent der Befragten den Kirchgang als fest eingeplante Heiligabend-Aktivität genannt.

"Die Pandemie hat viele Routinen verändert", sagt Studienleiter Philipp Rauschnabel. Das könnte auch für Weihnachten zutreffen: "Nach zwei Jahren Kontaktbeschränkungen und Verzicht haben viele Menschen womöglich gemerkt, dass sie an Heiligabend auch gut ohne Gottesdienst auskommen." Heiligabend sei ohnehin schon eng getaktet und stressig - dann würden viele lieber einen Film schauen, als sich in die Kirche zu setzen.

Weihnachtsfilme wie "Drei Nüsse für Aschenbrödel", "Kevin allein zu Haus" und "Der kleine Lord" gehören der Studie zufolge tatsächlich für knapp die Hälfte der Befragten fest zum Heiligabend dazu. Also Fernseher statt Altar und Krippe? Friede sei mit euch, Netflix aber auch?

Corona wirkt als Verstärker eines Trends, der nicht neu ist

Zumindest scheint eingetreten zu sein, was Kirchenvertreter schon zu Beginn der Corona-Beschränkungen für Gottesdienste befürchtet hatten: Viele Menschen haben sich offensichtlich den Kirchgang abgewöhnt. Corona wirkt dabei aber nur als Verstärker eines Trends, der nicht neu ist.

Die Liturgische Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat bereits 2019 eine Studie zum Kirchgang vorgelegt, wonach der klassische Sonntagsgottesdienst ohnehin nur noch wenige kirchengebundene Insider erreicht. Im Jahr 2022 besuchen laut dem gerade veröffentlichten Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung nur noch 14 Prozent der Menschen mindestens einmal im Monat einen Gottesdienst. Vor zehn Jahren war es immerhin noch jeder Fünfte.

Der Heiligabend aber galt stets als Ausnahme. Über "Weihnachtschristen", also all jene, die nur einmal im Jahr den Weg in die Kirche finden, wird schon lange nicht mehr gespottet. Vorbei sind die Zeiten, als sie von der Kanzel herab getadelt wurden für ihr Nichterscheinen im Rest des Kirchenjahrs. Die meisten Priester, Pfarrerinnen und Pfarrer lassen sich für Heiligabend besondere Gottesdienste einfallen, niedrigschwellige Angebote für Kirchenferne, sie legen sich bei ihren Predigten doppelt ins Zeug - schließlich ist Heiligabend der wichtigste Marketing-Tag des Jahres.

Umso dramatischer, wenn die Kirchen dann selbst an Weihnachten leer bleiben. Wie viele Menschen Weihnachtsgottesdienste im Fernsehen dem leibhaftigen Besuch in der Kirche vorziehen wollen, wurde in der Weihnachtsstudie nicht erhoben. Im Religionsmonitor bejahte übrigens eine große Mehrheit der Befragten die Aussage, man könne auch ohne Kirche weiterhin Christ sein. Religionsexpertin Yasemin El-Menouar sagt: "Die Gleichung ,religiös gleich kirchlich' gilt für sehr viele Menschen nicht mehr."

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