SZ-Serie "Ein Anruf bei...":Der Sandmann von Wangerooge

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Strand unter auf Wangerooge: Durch Stürme wird auf der niedersächsischen Insel jedes Jahr der Sand des geschätzten Badestrands auf die andere Seite der Insel gespült und muss wieder zurückgeholt werden. (Foto: Peter Kuchenbuch-Hanken/dpa)

Auf der ostfriesischen Insel stehen die Bewohner jedes Frühjahr nach der Sturmsaison vor demselben Problem: Ihr Strand ist weg. Hans Zientarski hat ihn jahrelang zurückgebracht.

Interview von Chiara Joos

Jahr für Jahr ist es das gleiche Spiel auf Wangerooge: Von starken Winterstürmen aufgepeitschte Wellen spülen den Sand vom Hauptbadestrand auf die Ostseite der Insel. Daher arbeiten jedes Frühjahr zehn Inselbewohner Tag und Nacht daran, den Badestrand für die Urlaubssaison mit Tausenden Kubikmetern Sand neu aufzuschütten. Sandfahrer Hans Zientarski, 74, hätte in diesem Jahr sein Jubiläum von 40 Jahren im Dienst gefeiert - wenn die deutsche Bürokratie nicht dazwischen gekommen wäre.

SZ: Herr Zientarski, wie sieht der Strand gerade aus?

Hans Zientarski: Moin. Der füllt sich langsam wieder. Dank der acht Lkw-Fahrer, die die vergangenen Wochen unterwegs waren. Das ist schon verrückt, dass der Strand immer wieder verschwindet. Aber dafür gibt es sie ja, die Sandfahrer. 39 Jahre lang hab' ich das auch gemacht.

Was bedeutet der Strand Ihnen denn?

Ich war da natürlich schon als Kind oft. Aus heutiger Sicht würde ich vor allem sagen: Der Strand bedeutet Geld. Wir Insulaner brauchen den zum Überleben. Ohne ihn können wir keine 1350 Strandkörbe aufstellen, so mancher Gast würde wegbleiben und der Tourismus damit fast zum Erliegen kommen.

Gehen Sie privat auch noch gerne an den Strand?

Das war für mich immer eher ein Arbeitsplatz. Aber ich habe dort auch lange Zeit Mädels fotografiert.

Wie bitte?

Ich habe einmal meiner damaligen Freundin ein teures Ballkleid gekauft. Leider ging die Beziehung in die Brüche, und ich stand ohne Freundin, aber mit Kleid da. Da riet mir 'ne Bekannte, das Kleid für Hochzeitsfotos zu vermieten. Deshalb habe ich das gemacht.

Und was haben Sie sonst so erlebt - als Sandfahrer?

Es gab mal 'nen fremden Polizisten, der als Vertretung auf der Insel war. Der hatte einen Anruf bekommen, weil jemand unsere nächtlichen Arbeiten am Badestrand für ein Autorennen gehalten hatte. Der stand dann da und hat mit seiner Taschenlampe herumgewedelt, bis er's kapiert hat. Immerhin bewegte er sich mehr als der Schäferhund, der einmal wie angeklebt vor meinem Lastwagen auf dem Sand lag.

Hans Zientarski, 74, bräuchte einen neuen Führerschein, um weiter Sand fahren zu dürfen. Darum hilft er jetzt lieber mit dem Besen aus. (Foto: privat)

Und haben Sie auch mal was gefunden, im Sand?

Klar. Einmal zum Beispiel haben mein Kollege und ich etwas Metallisches entdeckt. Das war eine nicht ganz ungefährliche Kartusche aus dem Zweiten Weltkrieg! Die haben wir dann an den Dünenrand gelegt und abholen lassen.

Haben Sie Angst, der Strand könnte irgendwann ganz verschwinden?

Die einen sagen so, die anderen sagen so. Ich mit meinen vielen Jahren Berufserfahrung bei der Wangerooger Kurverwaltung hab' schon so viele Sturmfluten mitbekommen. Was für mich neu ist: Die Stürme sind häufiger, aber nicht mehr so stark. Trotzdem verschwindet der Sand.

Und von wo holen Sie ihn dann?

Von der anderen Seite der Insel. Sand ist ein gefragtes Gut! Nicht nur der Tourismus, sondern auch das Schifffahrtsamt und der Küstenschutz benötigen ihn. Zum Beispiel für die Dünen, die aufgrund des steigenden Meeresspiegels ständig erodieren. Sie müssen sich mal vorstellen: Als ich noch Kind war, hier auf Wangerooge, da waren die Dünen noch so hoch und die Winter so kalt, dass man mit einem Schlitten fast ans Wasser fahren konnte. Seitdem hat sich klimatisch viel getan.

Und jetzt? Fahren Sie manchmal noch Sand hin und her?

Bis zum letzten Jahr habe ich das gemacht. Aber jetzt braucht man als Sandfahrer so 'nen 6000-Euro-Führerschein. Den mache ich nicht mehr. Dafür bin ich zu alt. Lieber helfe ich der Kurverwaltung, indem ich immer den Sand von der Promenade zurück auf den Strand kehre. Wie gesagt: Wir brauchen den Tourismus.

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