Südafrika:Eine Katastrophe mit Ansage

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Der Brand hat eine politische Debatte ausgelöst - über ein Problem, das längst bekannt war. (Foto: Luca Sola/AFP)

74 Menschen sterben bei einem Großbrand in Johannesburg. Das Gebäude gehört der Stadt - doch die gibt anderen die Schuld.

Von Paul Munzinger

Mindestens 74 Menschen sind in dem Feuer gestorben, das am Donnerstagmorgen in einem fünfstöckigen Gebäude in Südafrikas größter Stadt Johannesburg ausgebrochen war. Sie erstickten, verbrannten oder starben bei dem Versuch, sich durch einen Sprung aus dem Fenster zu retten. Und es deutet sich an, dass die Opferzahl weiter steigen könnte, Dutzende Schwerverletzte wurden in Krankenhäuser gebracht. Am Donnerstagabend besuchte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa den Unglücksort. Das Feuer sei ein "Weckruf", sagte er. "Wir müssen uns um die Wohnsituation in der Innenstadt kümmern."

Denn es ist kein normales Wohnhaus, das da in Flammen aufgegangen ist und für so viele Menschen zur Todesfalle wurde. Das fünfstöckige Gebäude an der 80 Albert Street im Stadtteil Marshalltown ist ein besetztes Haus, wie es sie in Johannesburg zu Hunderten gibt. Etwa 200 Familien lebten dort, weil sie sich nichts anderes leisten können. Manche sind arme Zuzügler aus anderen Teilen Südafrikas, andere illegale Immigranten aus Malawi, Simbabwe, Tansania und anderen afrikanischen Ländern. Miete zahlten sie nicht an die Eigentümer, sondern an die Gangs, die das Haus in ihre Gewalt gebracht haben. Sie sind die Besetzer, nicht die Bewohner.

Doch dass es eines "Weckrufs" bedurft hätte, um die besetzten Häuser als Problem zu erkennen, lässt sich nur schwerlich behaupten. Dass die Lebensbedingungen dort menschenunwürdig und hochgefährlich sind, ist lange bekannt. Oft teilen sich Dutzende Menschen die Räume, die mit Pappkartons oder Wellblech unterteilt werden. Weil es weder fließendes Wasser noch Strom gibt, heizen und kochen die Bewohner mit offenen Feuern oder zapfen illegal elektrische Leitungen an. Ein Kurzschluss an einer selbstgebauten Leitung war möglicherweise die Ursache für das Feuer am Donnerstag. Überlebende berichteten von kleineren Explosionen. Eine offizielle Brandursache gibt es bislang nicht.

Das Feuer in der Albert Street kostete 74 Menschen das Leben. (Foto: X/@odirileram/via Reuters)

Die besetzten Häuser verkörpern den Verfall der Innenstadt von Johannesburg. Während der Apartheid wurde die schwarze Mehrheit gezwungen, in den Townships außerhalb der Stadt zu wohnen. Das Haus in der Albert Street beheimatete in dieser Zeit eine Passbehörde, wo Schwarze sich Aufenthalte in der Innenstadt genehmigen lassen mussten. Nach der Apartheid strömten viele arme Menschen ins Zentrum von Johannesburg, die Kriminalität nahm zu, die Geschäfte verschwanden. Der Name des Viertels - Central Business District (CBD) - trifft auf die Gegenwart nicht mehr zu. Das Gebäude in der Albert Street wurde zu einem Frauenhaus, das 2017 aus Sicherheitsgründen auszog. Es folgten die Besetzer.

Die Stadt wehrt sich gegen Vorwürfe

Johannesburgs damaliger Bürgermeister Herman Mashaba legte wenig später einen Plan vor, um 500 besetzte Häuser mit der Hilfe von Investoren in Studentenwohnheime, Sozialwohnungen und Geschäftsräume zu verwandeln. Doch der Plan überlebte seinen Rücktritt nicht. Mashaba, inzwischen Chef der von ihm selbst gegründeten Splitterpartei Action SA, warf der Regierung Südafrikas am Donnerstag "fahrlässige Tötung" vor, weil sie über die Zustände in den besetzten Häusern Bescheid gewusst, aber nichts unternommen habe.

Vorwürfe richten sich nun vor allem an die Stadt Johannesburg. Denn ihr gehört das Gebäude in der Albert Street, sie überließ es nach dem Auszug des Frauenhauses den Besetzern. Kenny Kunene, ein Vertreter der Stadtregierung, wies die Vorwürfe zurück und benannte seinerseits Schuldige an der Katastrophe: erstens, illegale Immigranten und Ausländer, die die besetzen Häuser kontrollierten und verkommen ließen; zweitens, das Gesetz, das Räumungen von Häusern nur dann erlaubt, wenn es für die Bewohner alternative Wohnungen gibt; und drittens, Menschenrechtsorganisationen, die sich der Räumung von Häusern auf der Grundlage dieses Gesetzes entgegenstellten. Kunene forderte, das Gesetz zu ändern und die illegalen Hausbesetzer auszuweisen.

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