Religiöse Kunst:Zu schön, um fromm zu sein

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Lippenstiftroter Hintergrund und betörend sanfter Blick: zu gewagt? (Foto: Alvaro Leflet/AFP)

In Andalusien sorgt das Karwoche-Plakat der "Semana Santa" wegen seiner erotischen Heiland-Darstellung für Aufregung. Wie rechtfertigt sich sein Schöpfer?

Von Martin Zips

Die christlichen Kirchen haben es ja auch nicht leicht dieser Tage. Zu dunkel, zu männlich, zu imperialistisch, zu kriminell - so lassen sich die Vorwürfe vielleicht zusammenfassen. Und wie findet man als jahrtausendealte Institution überhaupt noch Gehör, wenn alle nur ins Handy starren, zum Psychotherapeuten gehen oder über ihre Haustiere reden wollen?

In Sevilla erregt gerade das neue Plakat zur "Semana Santa", der für ihre religiösen Umzüge berühmten Karwoche, ein bisschen die Gemüter. Auf dem Plakat ist ein Jesus zu sehen, der es wohl auch auf Instagram oder Onlyfans zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hätte. "A ganz a hübscher Bua", so würde man in Bayern vielleicht sagen, und tatsächlich hat der Gottessohn hier vor lippenstiftrotem Hintergrund mit einem betörend sanften Blick, männlich-bärtigem Conchita-Wurst-Kinn, langen Haaren und einem sportlich muskulösem, eventuell sogar laserbehandelten Oberkörper etwas ausgesprochen Sinnliches. So sinnlich ist der Heiland, dass manche nun murren, das Plakat passe wohl eher zur "Gay Pride" als zur Prozession katholischer Bruderschaften im südlichen Andalusien. Nur Sevillas Bürgermeister José Luis Sanz ist ganz verzückt von der künstlerischen Arbeit, welche vom örtlichen Rat der Bruderschaften in Auftrag gegeben worden war. Aber klar, der Oberbürgermeister von München kritisiert auch nicht unbedingt das jährliche Motiv auf dem offiziellen Oktoberfest-Bierkrug.

Wer im Plakat etwas Sexuelles sehe, benötige Hilfe

Die Frage ist: Sind Erotik und Religion überhaupt ein Widerspruch? Der öffentlich angegriffene, international bekannte Plakatmaler Salustiano hätte ja einfach auf den Heiligen Sebastian von Guido Reni verweisen können, der ja auch sehr hübsch ist, auf die barbusige "Entrückung der heiligen Maria Magdalena" bei Francesco Cairo oder auf den vom Straßenkünstler Jorit Agoch an eine Hauswand gepinselten, unfassbar schönen San Gennaro in Neapel. Warum sollte sich nicht auch das fromme Auge gelegentlich erfreuen dürfen? Doch Salustiano präsentierte der nörgelnden Öffentlichkeit lieber seinen Sohn Horacio (auch er: hübsch) und erklärte, dieser habe ihm als Jesus Modell gesessen. Wer in seinem Plakat etwas Sexuelles sehe, der sei krank und benötige Hilfe.

Auf die andalusischen Psychotherapeuten dürfte in den kommenden Wochen noch einiges zukommen.

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