SZ-Kolumne "Mitten in ...":Meer geht nicht

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Ein SZ-Redakteur googelt in einem Restaurant in Südfrankreich die Speisekarte und bestellt allerlei Meeresfrüchte. Denkt er zumindest. Drei Anekdoten aus Deutschland und Europa.

Mitten in ... Bordeaux

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Nur etwa 45 Kilometer ist Bordeaux vom Atlantik entfernt, wieso aber gibt es hier in den Restaurants immer nur Burger und labbrigen Coq au Vin? Nirgendwo bezahlbare Spaghetti mit Meeresfrüchten. Doch dann: Das Restaurant mit der roten Markise! "Chouchoute de la mer" liest man auf der Karte. Wunderbar! Das Übersetzungsprogramm am Handy weiß: "Liebling des Meeres." Die Kellnerin grinst - wahrscheinlich wegen meiner fürchterlichen Aussprache. Egal, gleich kommt das Beste aus dem Ozean. Doch die Frau stellt mir einen Teller mit Sauerkraut und ein paar Muscheln auf den Tisch. "Chouchoute?", frage ich noch einmal. Die Kellnerin prustet los und zeigt auf das Schild. Sie sagt: "Choucroute de la mer, mon chouchou." Eine regionale Spezialität offenbar. Na, dann also Sauerkraut. So weit ist Südfrankreich irgendwie doch nicht von Bayern entfernt. Martin Zips

Mitten in ... Westerland

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Sylt in der Nachsaison: Die Flaneure an der Strandpromenade sind gesetzteren Alters, die Andenkenläden gut gefüllt mit allem, auf das sich "Moin!" drucken lässt, die Möwen kreisen gierigen Auges über wertvollen Matjesbrötchen. Vergeblich sucht man nach den Punks, die hier während der sommerlichen Neun-Euro-Ticket-Invasion ein ganz lüttes bisschen die Ruhe der gehobenen Kundschaft störten und erfolglos Christian Lindners Polterabend zu stürmen versuchten. Also wieder alles beim Alten auf der Insel? Nicht ganz! Steuerbord hinter der leeren Musikmuschel steht mit wasserfestem Filzstift auf die Betonbrüstung gekritzelt: "Queer Punx Unite!" Ein versonnener Gruß, der an die kurze anarchistische Phase Westerlands erinnern wird, bis der raue Nordseewind oder die fleißige Stadtreinigung ihn abgeschliffen haben. Alexander Menden

Mitten in ... Venedig

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Der Besuch der imposanten Ausstellung von Anselm Kiefer in Venedig ist mit einem Rundgang durch den Dogenpalast verbunden. Nach so viel Monumentalität - allein die Ausstellung bespielt schon 800 Quadratmeter - muten die berüchtigten Kerker umso beengender an. Vorbei an den Bleikammern unter dem Dach, in denen Casanova einst bei unerträglicher Hitze sein Dasein fristete, geht es hinab in die Pozzi. Gruselig, sich vorzustellen, wie bei Acqua alta die Häftlinge auf ihren Pritschen ausharrten, während das Wasser stieg und die Ratten sich schwimmend zu retten versuchten. Jenseits der Seufzerbrücke, im neueren Teil der Gefängnisse, sind die Zellen auch klein, aber wegen der hölzernen Wandverkleidung nicht gar so karg. Bei ihrem Anblick stupst eine Touristin ihren Mann an und kräht vergnügt: "Hier war First Class!" Evelyn Vogel

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