Luxemburg:Arm im reichsten Land der Welt

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Laut der neuen Polizeiverordnung dürfen Obdachlose in der Innenstadt zwischen 7 und 22 Uhr nicht mehr um Geld bitten. (Foto: Yelizaveta Tomashevska/mauritius images / Alamy Stock)

Betteln ist in Luxemburg-Stadt seit Freitag verboten. Kurz vor Weihnachten gerät die neue rechts-liberale Regierung in heftige Kritik.

Von Léonardo Kahn, München

Eigentlich ist die Weihnachtszeit für Politiker die beste Gelegenheit im Jahr, sich als besonders menschenfreundlich zu zeigen. Doch die neue rechts-liberale Regierung in Luxemburg verzichtet auf den Fototermin in der Suppenküche und verhängt stattdessen ein De-facto-Bettelverbot in der Hauptstadt. Im reichsten Land der Welt.

Laut einer neuen Polizeiverordnung dürfen Obdachlose in der Innenstadt zwischen 7 und 22 Uhr nicht mehr um Geld bitten. Die Stadt Luxemburg und das Innenministerium wollen nach eigener Aussage "Bandenkriminalität" bekämpfen. Dabei ist bandenmäßiges Betteln im luxemburgischen Strafgesetzbuch bereits verboten. Die neue Verordnung hingegen untersagt jede Form des Bettelns.

Der Einfluss organisierter Gruppen auf luxemburgische Bettler ist empirisch nicht belegt. Überhaupt ist die Studienlage über das Leben auf der Straße dünn. Im vergangenen Jahr zählte das Familienministerium 197 Obdachlose in Luxemburg-Stadt. Das ist wenig: In der gleich großen Stadt Ulm etwa leben laut der Caritas doppelt so viele Menschen ohne Wohnsitz.

Trotzdem stimmte der luxemburgische Stadtrat vor den Kommunalwahlen im Juni 2023 für ein Bettelverbot. Die damalige Innenministerin Taina Bofferding kippte die geplante Verordnung aufgrund von Menschenrechtserwägungen. Gegen ihr Veto legte der Stadtrat Widerspruch ein, die Sache ging vor das Verwaltungsgericht.

Das Warten auf ein Urteil fand durch den Regierungswechsel ein frühzeitiges Ende. Die Koalition aus Grünen, Liberalen und Sozialisten wurde im Oktober abgewählt, im Großherzogtum regieren seit einigen Wochen Christsoziale und Liberale. Der sozialistischen Innenministerin folgte der Konservative Léon Gloden. Die Aufhebung des Vetos seiner Vorgängerin gehörte zu seinen ersten Amtshandlungen.

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Für die ehemalige Innenministerin Bofferding betreibt die Regierung "Symbolpolitik" und stellt Bettler unter "Generalverdacht", wie sie der SZ mitteilt. Die Obdachlosenhilfe Stëmm vun der Strooss spricht zynisch von einem "tollen Weihnachtsgeschenk", und selbst die Tageszeitung Luxemburger Wort, die der regierenden Partei CSV nahesteht, bezeichnet das Verbot als "fragwürdig und unausgegoren". Zudem scheint es bei der Umsetzung des Verbots Unklarheiten zu geben: In der Verordnung sind keine Sanktionen festgelegt.

Innenminister Léon Gloden reagiert gelassen auf die Kritik. Gloden ist Rechtsanwalt, war vor seinem Amt der bestverdienende Abgeordnete im Parlament mit Nebenverdiensten in Höhe von 20 000 Euro monatlich. Im Telefonat mit der SZ betonte er seinen juristischen Hintergrund und zweifelte an, dass seine Vorgängerin sich die fraglichen Beschlüsse, etwa das Lacatus-Urteil, überhaupt durchgelesen hatte. Kritiker würden sich mit der Materie schlicht nicht auskennen. Da er in der Forderung des Stadtrats keine Rechtswidrigkeit erkenne, sei es seine Pflicht als Innenminister, den demokratischen Prozess zu respektieren.

Zu den Kritikern gehört auch die Beratende Menschenrechtskommission. Das staatliche Gremium nannte in einem Positionspapier vom Montag sieben Gründe, weshalb das Verbot menschenrechtswidrig sei.

Der Minister betont, die Angelegenheit juristisch und nicht moralisch zu betrachten, und weist darauf hin, er werde in der Stadt immer von denselben Bettlern bedrängt. Er hoffe, das Problem könne durch die neue Verordnung bekämpft werden.

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