Kolumbien:Entführung eines Fußballervaters

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Luis Díaz ist in Kolumbien ein Nationalheld, er stammt aus einfachen Verhältnissen und hat in der Premier League Karriere gemacht. (Foto: Daniel Munoz/AFP)

Erst im August hat die kolumbianische Regierung einen Waffenstillstand mit der Rebellengruppe ELN geschlossen und die Geburt einer neuen Welt verkündet. Doch nun hat die Guerilla den Vater von FC-Liverpool-Star Luis Díaz verschleppt.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Einerseits ist da die Hoffnung, dass der ganze Horror bald vorbei sein könnte: Eine Woche ist vergangen, seit die Eltern des kolumbianischen Nationalspielers und FC-Liverpool-Stürmers Luis Díaz entführt wurden. An einer Tankstelle im Norden Kolumbiens hatten bewaffnete Männer sie am Samstag abgefangen und in ein Auto gezwungen. Diaz' Mutter konnte kurz darauf befreit werden, der Vater aber blieb in der Hand der Entführer. Soldaten und Polizisten einer Spezialeinheit durchkämmen seitdem den Dschungel in der Umgebung und durchsuchen Häuser. Eine Belohnung wurde ausgesetzt, und Fifa-Präsident Gianni Infantino sandte "Unterstützung und Gebete". Vergeblich. Keine Spur von Díaz' Vater.

Am Donnerstag, immerhin, gab die kolumbianische Regierung dann bekannt, eine im Land aktive linke Guerillagruppe, die Nationale Befreiungsarmee Ejército de Liberación Nacional, kurz ELN, sei vermutlich für die Entführung verantwortlich. Und kurz darauf tauchte dann auch noch ein Audiomitschnitt auf, in dem ein hochrangiger Vertreter des ELN die Tat bestätigte und versprach, man werde "den Vater von Herrn Díaz" wieder freilassen, "so schnell wie möglich". Es klang, als habe man selbst unterschätzt, wie hoch die Wellen in dem Fall schlagen würden.

Denn tatsächlich ist Luis Díaz in Kolumbien ein Nationalheld: Er stammt aus Barrancas im Norden des Landes, aus einfachen Verhältnissen. Seine Familie gehört dem Volk der Wayuu an, als Jugendlicher spielte Díaz darum für das kolumbianische Team bei der Südamerika-Meisterschaft der indigenen Völker. Scouts erkannten sein Talent, es begann eine steile Karriere, Klubs buhlten um den jungen Kolumbianer, boten millionenschwere Ablösesummen.

Luis Díaz im Trikot des FC Liverpool. Trainer Jürgen Klopp hatte ihn wegen der Entführung seines Vaters zuletzt pausieren lassen. (Foto: Oli Scarff/AFP)

Heute spielt Díaz in der englischen Premier League, beim FC Liverpool, dazu noch in der Nationalmannschaft seiner Heimat. Der 26-Jährige gilt als große Hoffnung des kolumbianischen Fußballs, ein Idol, auch darum ist die Anteilnahme an der Entführung so groß.

Gleichzeitig aber lässt der Fall im Land auch alte Traumata wieder wach werden. Seit mehr als einem halben Jahrhundert tobt in Kolumbien ein brutaler Bürgerkrieg. Millionen wurden aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben, Hunderttausende starben, erschossen, zerhackt, gehängt, erschlagen, ein großes, grausames Gemetzel, an dem die Armee und die Polizei ebenso beteiligt waren wie rechte Paramilitärs, linke Guerillas und kriminelle Banden. Teilweise sind die Übergänge zwischen den Gruppen ohnehin fließend, und viele finanzieren sich über den Anbau und Handel mit Drogen, illegalen Bergbau, Schmuggel, Schutzgelderpressung oder eben Entführungen.

Teilweise wurde so viele Menschen verschleppt, dass von einer regelrechten "Industrie" die Rede war. Prominente Politiker wurden genauso gekidnappt wie Journalisten und Touristinnen, Ärztinnen und Angestellte, Lehrer und Studentinnen, Väter, Mütter, Jugendliche und Kinder. Manche Opfer blieben für Wochen in der Hand ihrer Entführer, andere für Monate oder Jahre. Viele tauchten auch nie wieder auf.

Allein die Farc, lange eine der größten Rebellengruppen im Land, hat eingestanden, mehr als 21 000 Menschen verschleppt zu haben. Nach langen Verhandlungen unterzeichneten die Guerilla und die damalige kolumbianische Regierung 2016 einen Friedensvertrag, ein Großteil der Kämpfer legte die Waffen nieder und versuchte, sich wieder ins zivile Leben zu integrieren. Splittergruppen der Farc blieben aber weiterhin aktiv, ebenso wie andere Guerillaorganisationen, allen voran ebenjener ELN, der nun für die Entführung der Eltern von Fußballstar Luis Díaz verantwortlich gemacht wird.

In Barrancas im Norden des Landes demonstrieren Menschen für die Freilassung von Diaz' Vater. In der Mitte seine Mutter Cilenis Marulanda, die zunächst auch entführt worden war. (Foto: Leonardo Carrillo/AP)

Erst im August war auch mit dem ELN ein Waffenstillstand in Kraft getreten. Die linke kolumbianische Regierung, die ihren Wählern einen "Paz total", einen totalen Frieden, versprochen hat, feierte die Waffenruhe als großen Erfolg. Und Präsident Gustavo Petro - selbst einmal Mitglied einer linken Guerilla - flog für die Unterzeichnung des Vertrags sogar eigens nach Havanna. "Hier wird eine neue Welt geboren", sagte er.

Schon damals aber gab es Zweifel. Der Vertrag mit dem ELN war schwammig formuliert, und die Guerilla-Gruppe distanzierte sich nur halbherzig vom Konzept der Entführungen, die sie selbst als "Einbehaltung" bezeichnet. Dazu ist der ELN auch dezentral organisiert, in lokalen Gruppen, die viel Autonomie haben.

Wenn prominente Mitglieder des ELN nun also die Freilassung von Luis Díaz' Vater versprechen, ist das zwar ein Hoffnungsschimmer - mehr aber auch nicht. Und selbst wenn der Fußballer und seine Eltern wiedervereint sind, wird der Fall Kolumbien auch weiterhin beschäftigen, zeigt er doch: Der Frieden im Land ist brüchig.

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