Stilkritik: Lecker:Lecker op de Schnüss!

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(Foto: Cien X Cien Studio/imago/Addictive Stock)

Eine Autorin aus dem Westen baut in ihren DDR-Roman das Wort "lecker" ein. Ist das schon Sprachkolonisation?

Von Alexander Menden

Im vergangenen Januar beschwerte sich die Nachbarin eines Kölner Hotels über dessen Werbung, die "Blootwoosch, Kölsch, un e lecker Mädche" anpries. Das suggeriere, dass man dort nicht nur Blutwurst und Kölsch, sondern auch "junge Mädchen" bekomme, was sexistisch und diskriminierend sei. Das entfesselte eine kurze, lokale Debatte über Brauchtumspflege - es handelte sich um ein Zitat aus einem Karnevalslied der Höhner von 1978 - sowie über das richtige Verständnis des Wortes "lecker".

Jetzt widerfährt jenem Wort erneut gesteigerte Aufmerksamkeit. Charlotte Gneuß aus Baden-Württemberg hat es in ihrem Roman "Gittersee" verwendet, der in der DDR spielt. "Absolut ungewöhnlich" für den DDR-Sprachgebrauch nennt das Ingo Schulze, ostdeutscher Schriftstellerkollege von Gneuß, den der Verlag um einen internen Faktencheck gebeten hatte. Sprachkolonisation des Ostens durch ein Westwort, suggeriert die Debatte.

Dazu ist erst mal festzuhalten, dass es sich beim Wort "lecker" in den meisten Gegenden des deutschen Sprachgebiets jenseits des Rheinlands, des Ruhrgebiets und ein paar Teilen Norddeutschlands um einen linguistischen Import handelt. Wer etwa in Bayern ein Fleischpflanzerl in der Semmel lobt, indem er sagt: "Das ist aber lecker!", wird ähnlich verachtende Blicke ernten wie vorher schon bei der Bestellung des "Frikadellenbrötchens".

Nirgends wohl deckt "lecker" als Adjektiv und Adverb ein breiteres Bedeutungsspektrum ab als im Rheinland. Schon der Düsseldorfer Heinrich Heine ließ den Vater Rhein in seinem Spottepos "Deutschland, ein Wintermärchen" klagen, er habe Steine schlucken müssen, die "nicht lecker" geschmeckt hätten. Und natürlich meint man damit auch im Rheinland "schmackhaft" .

Doch das eingangs zitierte "lecker Mädche" bezeichnet im dortigen Sprachgebrauch eine attraktive Frau jeden Alters - wobei die Gleichsetzung mit Wurst und Bier höchst diskutabel bleibt. "Lecker" kann zudem schlicht "in hohem Maße" heißen. "He drinne es et äwwe lecker wärm" bedeutet: "Hier drin ist es aber sehr warm." Damit ist nicht mal ein Werturteil verbunden. Man kann sich auch "lecker op de Schnüss läje", also heftig aufs Gesicht fallen oder "lecker verloofe", also sich total verirren.

Jedenfalls lässt sich am Streit über Wörter wie "lecker" schön der unerschütterliche Regionalgeist deutscher Muttersprachler ablesen. Obwohl in vielen Gegenden der wirkliche Dialekt immer weiter einer Art "Hochdeutsch mit Knubbeln" (noch so ein rheinischer Ausdruck) weicht, ist es ganz leicht, sich als "Zugroasten" beziehungsweise "Immi" zu outen: Wer in Kiel "Grüß Gott!" sagt oder in Passau "Moin!", der signalisiert: Ich bin nicht von hier. Wer sich aber grundsätzlich über deren Verwendung beschwert, weiß einfach die Vielfalt der deutschen Sprache nicht zu schätzen.

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