Kann ein vermasseltes Rezept das geopolitische Gleichgewicht ins Wanken bringen? Sicherlich nicht. Dennoch reichte das Instagram-Video eines französischen Gastronomen aus, um die ach so neutrale Schweiz ziemlich zu verärgern.
Alles begann am 1. Dezember. Der Gastronomie-Kritiker François-Régis Gaudry spazierte durch die Rue des Martyrs am Fuße des Montmartre, Pariser Norden. Er kaufte eine Flasche Wein, 1,5 Kilogramm Käse, Baguette. Eigentlich eine typisch französische Einkaufsliste, aber dieses Mal stand ein beliebtes Wintergericht auf dem Speiseplan: Käsefondue.
Gaudry zählt zu den wichtigsten Gastronomie-Journalisten Frankreichs, wenn er nicht gar der wichtigste ist. Er leitet seit mehr als zehn Jahren die Kochsendung "On va déguster" im staatlichen Radiosender France Inter. Jeden Sonntag um elf Uhr machen verlässlich zwei Millionen Franzosen das Radio an, um sich von Gaudrys Rezepten inspirieren zu lassen. Auch seine Kochbibeln dürfen in keinem Bücherregal fehlen, falls der Besitzer etwas auf seine Kochkünste hält.
Aber nicht nur im Radio hat der 48-Jährige eine treue Hörerschaft. Seit einigen Jahren betreibt er auch einen Instagramkanal, wo er das Video hochlud, das den Streit auslöste. Gaudry betritt darin die Fromagerie Chataigner, in der er sich von Käsehändler Augustin Monnier zu einer Moitié-Moitié überreden lässt: eine Hälfte Vacherin Fribourgeois, eine Hälfte Gruyère d'Alpage, etwas Weißwein, voilà. Doch manchmal ist das Einfache eben kompliziert, wird Gaudry später am Telefon sagen.
Denn was die Zuschauer am Ende des Videos zu Gesicht bekommen, ist eben kein cremiges Fondue. Stattdessen schwappt die Käsemasse in einem milchigen Sud herum. Ein Anfängerfehler, ähnlich wie klumpiger Schokopudding, der entsteht, wenn der Topf zu stark erhitzt wird. Der Käse trennt sich in seine Bestandteile: Fett und Eiweiß. Um das Risiko zu umgehen, gibt man zu Beginn einfach einen Teelöffel Kartoffel- oder Maisstärke hinzu. Gaudry sagt, das Fondue habe dennoch köstlich geschmeckt. Deswegen habe er das Video hochgeladen, das "bisschen Fett auf der Oberfläche" habe ihn zunächst nicht gestört.
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Doch kaum war das Rezept veröffentlicht, prasselten auch schon die ersten wütenden Kommentare herein. Vor allem in der französischsprachigen Schweiz war die Empörung groß. "1 Schweizer stirbt bei jedem Abruf", schrieb eine Userin, Food-Journalist Fabien Goubet sprach bei Blick.ch von einem "casus belli".
Gaudry sagt, mit einer derartigen Empörung habe er nicht gerechnet. Man habe ihm "französische Arroganz" vorgeworfen und dass er das kulinarische Erbe der Schweiz erniedrige. Viele seien ihm nach dem Video auf Instagram entfolgt. Der Gastronomie-Kritiker erklärt sich das so: "Die Schweizer haben ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Eigenheit ihrer Küche, ähnlich wie die Italiener, deswegen reagieren sie, als müssten sie ihre Identität verteidigen." Dagegen habe die französische Küche schon immer von den Einflüssen ihrer Nachbarn gelebt: Die Elsässer essen Sauerkraut und Flammkuchen, die Salade niçoise aus Nizza wird auch im benachbarten Ligurien zubereitet, und in Savoyen wird seit dem 18. Jahrhundert Käsefondue und Raclette serviert, was auch dem Alpentourismus zu verdanken sei.
Der französische Gastronomie-Kritiker jedenfalls hat sich inzwischen öffentlich entschuldigt und ist gerade vier Tage durch den Schweizer Kanton Freiburg, die Hochburg des Käsefondues, gereist. Zur Wiedergutmachung stellte er am Sonntag in seiner Sendung ein neues Fondue-Rezept vor, das die Franzosen und die Schweizer wieder miteinander "verschmelzen" soll. Zwei Schweizer Käsesorten, Mont-Vully Rouge und Vacherin Fribourgeois, und zwei französische, Emmentaler aus Savoyen und Comté, werden vermengt. Und diesmal kommen anfangs auch drei Esslöffel Speisestärke hinein, damit das Fondue ja nicht auseinanderfällt.