Heidentum auf Island:Thor sei bei dir

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Vulkanlandschaft in Island

In Island, das Gletscher, Lava und Stürme ständig verformen, stellt man sich lieber mit allen Geistern gut.

(Foto: Martin M303 - Fotolia)

Die alten germanischen Götter finden in Island immer mehr Anhänger. Mit Spinnern und völkischem Denken haben sie aber nichts zu tun. Stattdessen liegt ihnen der Umweltschutz am Herzen.

Von Silke Bigalke, Reykjavik

Die Geschichte mit dem Gewitter sei wirklich wahr, sagt Hilmar Örn Hilmarsson, oberster "Gode" der Heiden in Island. Es war das schlimmste Unwetter seit vielen Jahren und toste ausgerechnet am jenem Tag über Reykjavík, als beim Justizminister ein besonderer Antrag einging: Er sollte die Heiden als Religionsgemeinschaft anerkennen.

Die isländische Ásatrú-Gemeinde war damals eine kleine Gruppe aus Autoren, Literaturliebhabern, Naturfreunden und Hippies. Ásatrú leitet sich ab von Asen, dem Geschlecht von Donnergott Thor und Göttervater Odin. Im Mai 1973 gelang ihren Anhängern in Reykjavík, was die wenigsten neuheidnischen Gruppen in Europa geschafft haben: Sie wurden staatlich anerkannt. In Island ist eine Ehe, geschlossen im Angesicht von Frigg, Odin, Thor und Freya, so gültig wie jede christliche.

Als jenes Gewitter tobt, ist Hilmar Örn Hilmarsson 14 Jahre alt und noch nicht religionsmündig, doch "ein sehr romantisches Kind", wie er sagt, und schon ganz vertieft in die Edda, die wichtigste Sammlung nordischer Götter- und Heldensagen. Er lernt, wie die Götter ins Universum traten, um das Chaos zu ordnen und die Welt aus dem Körper eines erschlagenen Riesen schufen, und wie der weise Odin auf seinem achtfüßigen Ross und den beiden Raben auf den Schultern über den Himmel reitet. Sofort an seinem 16. Geburtstag tritt Hilmarsson den Ásatrú bei, er wird Mitglied Nummer 36.

Schwer erklärbarer Glaube

Heute ist er "Allsherjargode", Chef und oberster Priester einer rasch wachsenden Gemeinde, die mit knapp 3000 Mitgliedern - etwa ein Prozent der Bevölkerung - größte nicht-christliche Religionsgemeinschaft Islands ist. Ihren Göttern bauen sie nun zum ersten Mal seit der Wikingerzeit einen "Hof", eine Art Tempel. Den 56-jährigen Allsherjargode schaudert, wenn er daran denkt, wen dieser Hof in Reykjavík alles anziehen wird. Interessenten aus aller Welt haben sich angemeldet. "Es ist ein Albtraum", sagt Hilmarsson. "Die Leute sehen uns als Rom des Nordens."

Vielen Heiden weltweit gilt Island nicht nur wegen der Edda als gelobtes Land. Weil das Heidentum staatlich anerkannt ist, erhalten die Ásatrú Steuergeld und Raum für ihre Zeremonien. Niemand wird schief angeschaut, der im Wikingergewand am Feuer steht und den Donnergott anruft. Doch ausländischen Gruppen gegenüber sind die Ásatrú sehr verschlossen. Sie wollen sich weder reinreden noch instrumentalisieren lassen. Vor allem fürchten sie Spinner, die das Heidentum als Religion der Germanen mit völkischen, rassistischen Ideen verbinden.

Auf den Rummel kann Hilmar Örn Hilmarsson, ein ruhiger Mann mit freundlichen Augen, weißem Bart und Norwegerpulli, gut verzichten. Bis ihr Götterhaus steht, ist das "Rom des Nordens" ein umgebautes Ladenlokal in Reykjavík: Tische, Stühle, weiße Tassen, ein ausgestopfter Rabe auf einem Schrank. Auf Fotos an der Wand sind Models kitschig als nordische Götter inszeniert. Du sollst dir kein Bild machen - das gilt hier nicht. Was die Menschen verbindet, sind diese Bilder von Thor mit dem Hammer, Odin mit dem Raben, der Göttin Hel im Totenreich. In Island wachsen Kinder mit den Figuren der Edda auf. Wer sie zu seiner Religion macht, kann schwer erklären, woran er eigentlich glaubt. Für den einen sind die Götter übermenschliche Wesen, für andere Naturgewalten oder Werte wie Gerechtigkeit, Weisheit, Schutz.

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