Drogenmissbrauch in den USA:Lebensrettendes Nasenspray aus der Zeitungsbox

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Manche Studenten haben das Nasenspray Narcan sogar im Rucksack dabei - neben Block, Stift und Taschenrechner. (Foto: Olivier Douliery/AFP)

Die Zahl der Drogentoten in den USA ist rasant gestiegen, doch es gibt ein Mittel, das bei einer Überdosis hilft. Universitäten und andere Organisationen lassen sich einiges einfallen, um es jederzeit verfügbar zu machen.

Von Kathrin Werner

Die bunten Boxen auf dem Gehweg gehörten einst zum Straßenbild jeder Stadt, in den USA noch mehr als in Deutschland. Man wirft eine Münze hinein und holt eine Zeitung oder Zeitschrift aus den bunten Kisten hinaus, je nach Ort unterscheiden sich die Farben. In New York zum Beispiel Rot für das Stadtmagazin Time Out. Grün für das Stellenanzeigenblättchen Employment Guide. Gelb für die New York Post.

Einst standen sie an jeder Ecke, oft ein Dutzend nebeneinander. Die Zeiten sind vorbei. Die Menschen kaufen immer weniger Print-Zeitungen - und wenn, dann meist nicht aus einem Zeitungsautomaten. Wohin also mit den alten Kästen, deren Befüllung sich längst nicht mehr lohnt und die schnell verdrecken?

Ein anderer trauriger Trend verschafft den fast überflüssig gewordenen Boxen jetzt neuen Nutzwert: der Drogenmissbrauch in den USA. Die Ferris State University in Michigan hat die alten Geräte säubern lassen und verteilt sie nun auf dem Campus und den umliegenden Kleinstädten. Statt eines Zeitungstitels steht nun auf der Seite des Automaten: "Naloxon rettet Leben". Das Nasenspray Narcan mit dem Wirkstoff Naloxon ist ein Gegengift für Menschen, die eine Überdosis Heroin, Fentanyl oder anderer Opioide genommen haben.

Wer eine Überdosis Opioide erwischt hat, dessen Leben kann mit dem Nasenspray gerettet werden

"Narcan rettet Leben, und das ist so wichtig wegen des steigendenden Opioid-Konsums", sagt Gail Bullard, der an der Ferris-State-Universität Gesundheitswirtschaft unterrichtet. "Unsere Gegend ist nicht immun." Der Staat Michigan stellt das Überdosis-Gegenmittel kostenlos Organisationen und Programmen zur Verfügung, die gegen die Opioid-Krise kämpfen. Das Nasenspray hilft Menschen mit Überdosis beim Atmen, macht aber nicht high und schadet Menschen nicht, die keine Opioide im Körper haben.

Laut jüngsten Zahlen ist die Zahl der Opioid-Drogentoten in den USA zuletzt rasant gestiegen auf mehr als 80 000 im Jahr 2021. Das liegt auch daran, dass vermeintlich harmlosere Mittel wie Kokain, Xanax oder Adderall mit Fentanyl verunreinigt sind. Manche College-Studierende nehmen Adderall, um ihre Konzentrationsfähigkeit zu stärken - und denken nicht im Entferntesten an eine mögliche Opioid-Überdosis. Studierende konsumieren eigentlich im Schnitt weniger Opioide, zumindest nicht absichtlich - zuletzt gab es trotzdem mehr Drogentote auf dem Campus.

Manche Eltern sind inzwischen so besorgt, dass sie ihre Kinder nur mit Narcan-Nasenspray losschicken an die Unis. Und eine zunehmende Zahl der Colleges hat Programme, bei denen man sich das Mittel kostenlos und anonym abholen kann. An der Santa Clara University in Kalifornien kann man es aus Automaten ziehen, in denen es sonst Schokoriegel gibt. Und an der Virginia Commonwealth University fährt Film-Professor John Freyer mit einem E-Lastenrad herum, seinem sogenannten Free Naloxone Bike, und verteilt Nasenspray und Informationen dazu, wann und wie man es anwendet. "Es bekommt eine Menge Aufmerksamkeit", sagt er. "Immer wenn ich damit herumfahre, fragen Menschen, was Naloxon ist. So kommt man ins Gespräch. Und der Sinn dieses Gesprächs ist, die Menschen fortzubilden."

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