Geburtshilfe:"Cytotec hat zahlreiche mütterliche Todesfälle verursacht"

Dr. Peter Husslein, Leiter der Universitäts-Frauenklinik in Wien

Dr. Peter Husslein ist Professor für Geburtshilfe und Leiter der Universitäts-Frauenklinik Wien.

(Foto: Felicitas Matern/privat)

Ärzte verwenden in der Geburtshilfe ein für diesen Zweck nicht zugelassenes Medikament - es ist effektiv und billig. Peter Husslein, Professor für Geburtshilfe, erklärt, welche Folgen das für Frauen und Kinder haben kann.

Interview von Katrin Langhans

Die Tablette Cytotec hat sechs Ecken, sie ist billig und in der Geburtshilfe nicht zugelassen. Trotzdem verwendet jede zweite Klinik in Deutschland das Medikament, um Geburten einzuleiten. Peter Husslein, Professor für Geburtshilfe und Leiter der Universitäts-Frauenklinik Wien, erklärt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, warum das möglich ist, welche Nebenwirkungen das Medikament hat und warum er selbst Cytotec in seiner Klinik verbietet.

Es gibt in Deutschland zugelassene Präparate zur Geburtseinleitung, aber jede zweite Klinik in Deutschland verwendet zur Geburtseinleitung Cytotec, ein Magenschutzmedikament, das in der Geburtshilfe gar nicht zugelassen ist. Können Sie sich das erklären?

Peter Husslein: Cytotec hat zahlreiche mütterliche Todesfälle verursacht. Es gibt für mich keinen Grund der Welt, warum ich ein gefährliches nicht registriertes Medikament anwenden sollte.

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Warum machen Ärzte es dann?

Das passiert aus Kostengründen und das ist wirklich inakzeptabel und unethisch. In der Onkologie wird viel Geld in die Lebensverlängerung von ein paar Monaten gesteckt und in der Geburtshilfe ist man bereit, gefährliche Präparate zu nehmen, nur weil sie billiger sind. Das ist für mich völlig unverständlich. In meiner Klinik bekommen Frauen kein Cytotec.

Wieso können Ärzte überhaupt ein Mittel verschreiben, das nicht zugelassen ist?

Das ist grundsätzlich in der Therapiefreiheit der Ärzte möglich. Für seltene Krankheiten gibt es nicht immer eine gute Therapie, weil es sich für Pharmakonzerne finanziell nicht lohnt, ein Mittel auf den Markt zu bringen, das nur einer Hand voll Leute hilft. Ich kann dann als Arzt die Entscheidung treffen, im sogenannten Off-Label-Use ein Medikament anzuwenden, das für einen anderen Zweck zugelassen ist, wenn ich glaube, dass es der Patientin hilft.

Aber für die Geburtseinleitung gibt es ja zugelassene Medikamente.

Das ist ja das Absurde. Patienten werden auch nicht immer fair aufgeklärt. Im Aufklärungsgespräch müssen Ärzte streng genommen sagen: Ich schlage vor, dass Sie ein Medikament nehmen, das nicht zugelassen ist, es ist effektiver und aggressiver als die Alternativen und hat deswegen aber auch mehr schlimme Nebenwirkungen. Das würde ja keine Frau unterschreiben.

Welche Risiken hat Cytotec?

Jeder Arzt, der sich mit Cytotec beschäftigt hat, weiß dass das Risiko besteht, dass im Einzelfall die Gebärmutter der Frau bei der Geburt reißen kann, weil das Medikament so starke Wehen auslöst. Und man weiß auch von Wehenstürmen, die das Kind gefährden können. Das sind extrem schnell aufeinander folgende Wehen, das Kind kann dann unter Umständen einen Sauerstoffmangel erleiden. Und das passiert viel häufiger bei Cytotec.

Wie geht es einem Kind beim Wehensturm?

Das kommt ganz darauf an, es ist nicht jedes Mal eine Katastrophe. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn ich Ihnen den Mund zuhalte, dann hängt es davon ab, wie lange und wie fest ich zudrücke, ob es für Sie nur unangenehm ist oder ob es ihnen irgendwann richtig schlecht geht.

Was für Folgen kann das haben, wenn der Sauerstoff zu lange ausbleibt?

Wenn das Klinikpersonal nicht schnell genug reagiert, kann das Kind einen Gehirnschaden davon tragen. Das passiert zum Glück selten, aber warum soll ich das Risiko eingehen, wenn ich Medikamente habe, die getestet wurden und sicherer sind.

Klinikleiter sagen oft, wir haben die Komplikationen von Cytotec im Griff, wenn ein Wehensturm eintritt und die Herztöne des Kindes abfallen, dann machen wir einfach schnell einen Notkaiserschnitt.

Das ist doch ein vollkommen unsinniges Argument; warum soll ich ohne jeden ersichtlichen Vorteil, das Risiko einer Akutsituation eingehen? Ich hab gerade eine Stellungnahme zu einem Fall als forensischer Gutachter verfasst, die Frau ist nach der Gabe von Cytotec gestorben, da hat man jedenfalls nicht schnell genug reagiert.

Wir haben in den vergangenen Wochen viele Fälle zusammen getragen, in denen Kinder in Frankreich, Deutschland, Dänemark und den USA mit Gehirnschäden zur Welt kamen oder Frauen und Kinder verstorben sind nach der Gabe von Cytotec.

Ja, da gibt's viele Fälle, die sind den Ärzten alle bekannt und es ist mir ein vollkommenes Rätsel, warum es weiter verwendet wird.

Es ist sehr effektiv, sagen Ärzte.

Ja, Cytotec ist aggressiver und ich kann mit Cytotec eine Einleitung durchpeitschen, die ich vielleicht mit dem anderen Präparat nicht durchpeitschen könnte. Es wirkt, ich komme unter Umständen schneller zu einer vaginalen Geburt. Aber der Preis ist zu hoch. Immer wieder kommt es zu gefährlichen Herztonveränderungen der Kinder, sodass ich einen Akutkaiserschnitt machen muss, es gibt das Risiko des Gebärmuterrisses, die Frau muss dann notoperiert werden. Es ist ein weitgehend unkontrollierbares Medikament und es gibt viel zu wenig Untersuchungen zu der Wirkung von Cytotec bei der Geburtseinleitung. Niemand kann das außer Diskussion stellen.

Welche Fragen sollte eine Frau den Ärzten stellen, wenn es heißt, die Geburt muss eingeleitet werden?

Die erste Frage sollte sein: Ist die Einleitung überhaupt nötig? Oder ist nicht vielleicht ein Kaiserschnitt besser? Was sind die Vor- und Nachteile? Wenn man der Einleitung zustimmt, sollte man ganz klar sagen, man will mit einem zugelassenen Medikament eingeleitet werden.

Viele Frauen haben berichtet, dass man sie gar nicht aufgeklärt hat. Sie wussten nicht, dass man Ihnen ein Magenmedikament zur Einleitung gibt.

Das geht gar nicht. Eine Frau muss ihre Einwilligung geben, der Arzt darf ein nicht zugelassenes Medikament nur anwenden, wenn die Patientin es ihm gestattet. Und dafür muss er sie zuerst über die Risiken und auch die Alternativen aufklären. Wenn das nicht passiert, hat die Frau bei einer Klage gegen den Arzt oder das Spital gute Chancen, den Prozess zu gewinnen.

Trotz der im Text beschriebenen Risiken verteidigen Fachverbände und Geburtskliniken die Verwendung von Cytotec. Warum, lesen Sie hier:

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