SZ-Kolumne "Alles Gute":Beste Stunde

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(Foto: Steffen Mackert)

Nach sechs Wochen Ausgangssperre durften in Spanien am Sonntag viele Kinder zum ersten Mal wieder vor die Tür. Nur: Was genau macht man, wenn dafür nur eine Stunde Zeit ist?

Von Silke Wichert

Wohin? Das war ja nicht irgendein Spaziergang, den wir hier seit Tagen planten, sondern eine Art Resozialisierung. Über sechs Wochen war es Kindern in Spanien nicht gestattet, vor die Tür zu gehen. Und mit "nicht vor die Tür gehen" war keineswegs nicht mit Freunden spielen oder nicht zum Spielplatz gehen gemeint, sondern wirklich zu Hause bleiben.

Bisherige Bilanz mit zwei Jungs im Alter von fast sieben und acht Jahren mitten im Zentrum von Barcelona: eine kaputte Lampe, die Zimmerpalme steckt nur noch in einem halben Terrakottatopf, ansonsten ist die Verfassung erstaunlich gut. Keiner wird je wieder sagen, er wäre lieber Einzelkind.

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Am Sonntag war nun zum ersten Mal Ausgang erlaubt. Eine Stunde, maximal einen Kilometer von der Wohnung entfernt, nur ein Erwachsener pro Kind oder Kindern. In den Gruppenchats wurde die Nachricht mit großer Erleichterung gefeiert, die Zeitung El Periódico veröffentlichte ein "Helden-Diplom" zum Ausdrucken für das erfolgreiche Absitzen der Quarantäne. Fast schon Realsatire, aber irgendwie auch rührend.

Wo also hin? Während wir noch mit Google Maps versuchten zu tricksen, ob es nicht doch einen kürzeren Weg zum Strand gibt, hatte der Sechsjährige längst entschieden: zum Fußballplatz. Die Antwort "Der ist aber zu" zählte nicht. Zumindest muss doch geguckt werden, ob er noch da ist. Als Uhrzeit wurde 13 Uhr angesetzt, eine Stunde vor der spanischen Hauptessenszeit.

Ausnahmsweise ging es eben nicht darum, den Massen zu entkommen, wir wollten, im Gegenteil, möglichst viele Menschen sehen. Gleich an der ersten Ecke kam uns ein anderes Kind entgegen, ein Grinsen wie unter Komplizen. Die Flaniermeile Passeig Sant Joan vor dem Arc de Triomf war fast so gut gefüllt wie an einem normalen Sonntag, Kinder rannten, lachten, schoben ungelenk Mundschutze zurecht.

Der Fußballplatz war dann glücklicherweise noch da, aber kaum waren wir angekommen, mussten wir schon zurück. Wieder zu Hause: sieben Minuten überzogen. Wir beschlossen, das niemandem zu sagen und sie auch auf keinen Fall an einem anderen Tag wieder einzusparen.

Der Nachbar fragte später, nur halb im Scherz, ob er sich eins der Kinder mal für eine Stunde ausleihen könne, weil er mit seinem Hund ja nur dreimal fünf Minuten rausdarf. Bislang haben immer wir ihn beneidet.

In jeder Krise passiert auch Gutes, selbst wenn man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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