Clankriminalität:Und kein Wort zur Polizei

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Nach einer Massenschlägerei am 17. Juni in Essen bewachen Polizisten mutmaßliche Teilnehmer. Es war dort mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Libanesen gekommen. Nun scheint es einen Friedensgipfel gegeben zu haben. (Foto: Markus Gayk/dpa)

Im Ruhrgebiet sind zuletzt Streitigkeiten zwischen libanesischen und syrischen Familien eskaliert. Jetzt soll es in Duisburg einen Friedensgipfel gegeben haben. Die Polizei freut das aber ganz und gar nicht.

Von Christoph Koopmann

Männer in Anzügen und traditionellen arabischen Gewändern stehen sich gegenüber, schütteln sich die Hände. Die Stimmung, so wirkt es in dem zehnsekündigen Clip, ist versöhnlich. Hochgeladen hat dieses Video am Donnerstagabend das ARD-Magazin "Kontraste" auf Twitter. Demnach zeigt es Szenen eines Friedensschlusses zwischen Mitgliedern einer libanesischen und einer syrischen Großfamilie, vollzogen in einer Eventlocation in Duisburg. Die Familien hatten in den vergangenen Wochen Aufregung in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus ausgelöst. Drohungen, Überfälle, Schlägereien: Von einem "Clankrieg" war die Rede - und jetzt von "Paralleljustiz".

Denn wie "Kontraste" berichtet, hat am Donnerstag in dem Konflikt ein sogenannter Friedensrichter vermittelt. Die reguläre deutsche Justiz? Spielte keine Rolle. Zunächst aber eine kurze Rückblende: Vor zwei Wochen hatten freitagabends offenbar Dutzende Männer aus der libanesischen Familie ein syrisches Restaurant überfallen, zum Teil bewaffnet mit Baseballschlägern oder Dachlatten. Schon kurz vorher hatte es in Castrop-Rauxel eine Massenschlägerei gegeben, wohl nach einem Streit zwischen zwei Elfjährigen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) berichtete im Landtag, es gebe Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen. Polizei und Staatsanwaltschaft legen sich da zwar nicht fest, sie sind aber in Alarmbereitschaft.

Denn in den Tagen danach hat es offenbar weitere Fastzusammenstöße gegeben: Vor einem Krankenhaus in Bottrop, in dem ein Familienmitglied behandelt wurde, versammelten sich 80 Libanesen - wohl aus Sorge vor einem Anschlag der Kontrahenten. Auch die Polizei Essen berichtete, sie habe "offensichtlich" weitere Auseinandersetzungen unterbinden können, nannte aber keine Details. Die Beamten patrouillierten verstärkt durch die Innenstadt und andere Viertel, kontrollierten Dutzende Personen, die sie dem Milieu zuordnen, fanden dabei unter anderem eine Machete.

Früh stellten die Behörden klar, eine "Paralleljustiz", also zum Beispiel Rache durch Schläge oder Ähnliches, dulde man nicht. Gleichzeitig gab es Hinweise, dass schon kurz nach den Schlägereien Friedensverhandlungen geführt wurden. Der WDR berichtete über ein Video, auf dem 30 bis 40 Männer zu sehen seien, die in einem Wohnzimmer auf Arabisch verhandelt hätten. Die Essener Polizei, die eigens eine Ermittlungskommission eingerichtet hat, hatte Hinweise, dass in einer Moschee Verhandlungen unter Leitung eines "Friedensrichters" stattgefunden hätten. Sie mahnte: "Mit dem Einsetzen solcher 'Friedensrichter' wird der Rechtsstaat wissentlich missachtet und das rechtstaatliche Ermittlungsverfahren massiv erschwert."

Dass kriminelle Teile arabisch- und türkischstämmiger Familienverbünde ihre Streitigkeiten am liebsten untereinander regeln, stört Ermittler seit Jahren. Ein sogenannter Friedensrichter wird häufig bestellt, um noch blutigere Eskalationen zu verhindern. Dafür kommen etwa Imame infrage, die von beiden Parteien als Vermittler akzeptiert werden. Wer am Donnerstag den vermeintlichen Friedensschluss in Duisburg vermittelt hat, ermitteln die Fahnder noch. Ein Sprecher der Polizei Essen sagte der Süddeutschen Zeitung, die Ermittler hätten zu spät von den Verhandlungen erfahren. Gegen 19.30 Uhr am Donnerstag hätten Beamte einen verdächtigen Autofahrer kontrolliert, der berichtete, um 17 Uhr habe es dieses Treffen in Duisburg gegeben.

Was da genau besprochen wurde, versuchen die Ermittler nun herauszufinden. Klar sei aber, sagte der Polizeisprecher: Hätte man von dem Treffen gewusst, hätte man es zu verhindern versucht. Nicht nur, weil sich zwei rivalisierende Gruppen verabredet haben und das schnell mal eskalieren kann (wie man in den vergangenen Wochen sehen konnte). Sondern auch, weil bei solchen Friedensverhandlungen in der Regel noch etwas vereinbart werde: Kein Wort zur Polizei. Eine Reporterin von "Kontraste" berichtete nach dem Treffen in Duisburg, die Teilnehmer hätten sich bei den deutschen Behörden für die Ausschreitungen entschuldigt - und sie sollten weiter ermitteln.

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