Urteil im SUV-Prozess:Gerade noch eine Bewährungsstrafe

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Am Unfallort in Berlin erinnern Blumen und Kerzen an die vier Menschen, die am 6. September 2019 starben, als ein Geschäftsmann wegen eines epileptischen Anfalls die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Der Fahrer, der mit seinem SUV 2019 in Berlin auf einen Bürgersteig raste und vier Menschen tötete, wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. Warum dem Gericht die Entscheidung nicht leicht fiel.

Von Verena Mayer, Berlin

Invalidenstraße in Berlin, September 2019: Ein Porsche Macan Turbo rast ungebremst mit 102 Kilometer pro Stunde auf den Bürgersteig, reißt mehrere Poller und einen Ampelmast um und trifft vier Menschen. Zwei Männer, ein kleiner Junge und seine Großmutter sterben noch am Unfallort. Es gibt wenige Straftaten, bei denen so klar ist, was genau passiert ist: Der Fahrer war durch einen epileptischen Anfall verkrampft und drückte das Gaspedal bis zum Boden durch. Seine Mutter, die neben ihm saß, versuchte vergeblich, sein Bein wegzuziehen.

Es gibt aber auch wenige Fälle, bei denen so schwer zu beurteilen ist, wie groß die Schuld des Angeklagten ist und wie er für seine Tat bestraft werden soll. Das Berliner Landgericht hat am Donnerstag nun wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs eine Strafe von zwei Jahren verhängt, ausgesetzt zur Bewährung, und ging damit über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Der Vorsitzende Richter sagt in der Urteilsbegründung, diese Entscheidung sei der Kammer äußerst schwer gefallen.

Denn im Prozess gegen den Unternehmer Michael M. war nicht alles so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erschien. Fest steht, dass Michael M. im Mai 2019, also vier Monate vor dem Unfall, einen epileptischen Anfall erlitt und in die Notaufnahme musste. Danach wurde er mit einem Epilepsiemedikament behandelt, im August wurde schließlich ein Gehirntumor entfernt, der als mögliche Ursache für den Anfall in Frage kam. Sowohl Epilepsie als auch eine Gehirn-OP sind Gründe, warum man nicht Auto fahren darf oder seine Fahrtauglichkeit ärztlich überprüfen lassen muss. Der 45-jährige Michael M. setzte sich trotzdem immer wieder ans Steuer. An jenem Septemberabend war er mit seiner Familie unterwegs zu einem Restaurant.

Widersprüchliche Aussagen von den Ärzten

M. habe dies einerseits getan, weil er "das Risiko eines weiteren Anfalls unterschätzt habe", sagt der Vorsitzende Richter. Andererseits habe sich im Prozess aber auch herausgestellt, dass seine behandelnden Ärzte ihn auf das Risiko seiner Erkrankung nicht eindeutig genug hingewiesen hätten. So hieß es in einem Arztbrief, M. müsse drei Monate lang anfallsfrei sein, bis er wieder fahren dürfe. Ein anderer Arzt sagte, er solle nach seiner Tumor-Operation vier Wochen lang vorsichtig sein. Dennoch sei M. einer bewussten Fahrlässigkeit schuldig, befindet der Richter. Denn er sei als Verkehrsteilnehmer nicht nur verpflichtet, seine Fahrtauglichkeit zu prüfen, bevor er sich ans Steuer setze. Sondern er sei als intelligenter Mann auch in der Lage, sich genau zu informieren, und hätte dies gerade bei widersprüchlichen Aussagen von Ärzten auch tun müssen.

Der Angeklagte (links) neben seiner Anwältin und seinem Anwalt am Tag der Urteilsverkündung vor dem Berliner Landgericht. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Die Kammer habe lange überlegt, ob M. für seine Tat ins Gefängnis müsse, sagt der Richter. Dass M. "gerade noch" eine Bewährungsstrafe erhalte, liege an den mildernden Umständen. So habe sich M. vor Gericht ausführlich geäußert und zugestimmt, die Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, was dazu führte, dass das Geschehen fast lückenlos aufgeklärt werden konnte. Auch habe er bis zur Tat keine Verkehrsdelikte begangen und von sich aus bereits eine hohe Summe an die Angehörigen der Opfer gezahlt.

Und noch eines ist ungewöhnlich: Sowohl die Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage als auch der Verteidiger des Angeklagten sind mit dem Urteil zufrieden. Der Verteidiger, weil ein gewisses Versagen der Ärzte anerkannt worden sei, die Nebenklage, weil das Gericht die Verantwortung für den Tod von vier Menschen eindeutig dem Fahrer zuordnete. Zufrieden sei man auch mit der Entscheidung des Gerichts, Michael M. die Fahrerlaubnis aus "charakterlichen Gründen" zu entziehen, sagt ein Anwalt der Nebenklage. Den Angehörigen sei es wichtig zu wissen, dass so etwas nicht noch einmal passieren könne. M.s Verteidiger sagt jedoch, dass M. sowieso auf absehbare Zeit in kein Auto mehr steigen werde.

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