Festakt:Sticheln und streicheln

Lesezeit: 3 min

Die Gastgeber und der prominenteste Gast: die SZ-Chefredakteure Judith Wittwer und Wolfgang Krach mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Robert Haas)

Die SZ feiert ihren 77. Geburtstag im Münchner Gärtnerplatztheater. Außer der Festrednerin Angela Merkel kommen auch die Leserinnen und Leser mit brillanter Kritik an ihrer Zeitung zu Wort - und der Kabarettist Markus Söder.

Von Christian Mayer

Das geht ja schon mal ganz gut los. Zu Beginn dieses festlichen Abends im Münchner Gärtnerplatztheater haben die Leserinnen und Leser das Wort. All diejenigen, für die das Zeitungslesen ein Ritual ist, eine Notwendigkeit, ein Vergnügen, manchmal ein Ärgernis. Die große Feier zum 77. Geburtstag der SZ am Donnerstagabend mit vielen prominenten Gästen wäre ja überhaupt nicht möglich ohne kritische Resonanz - deshalb stehen die Redakteure Roman Deininger und Max Hägler jetzt auf der Bühne. Sie inszenieren eine Leserbrief-Revue, die zugleich eine Verneigung ist: Das durchaus meinungsstarke SZ-Publikum hat eben hohe Ansprüche, als Autor eines Artikels muss man stets darauf gefasst sein, dass jeder Fehler sofort registriert und angeprangert wird - die 50 000 Zuschriften, die die Redaktion jedes Jahr erreichen, sind ein heilsames Korrektiv.

Deininger und Hägler tragen die brillantesten Zurechtweisungen und humorvollsten Beiträge der SZ-Leser in gekürzter Form vor. Was schon etwas Überwindung erfordert, denn eine Eloge sieht anders aus: "Wenn man nichts zu sagen hat, dann muss man auch mal den Mut aufbringen, nichts zu schreiben", zitiert Deininger aus einem Brief.

50 000 Zuschriften gehen jedes Jahr in der SZ-Redaktion ein, die Redakteure Roman Deininger (links) und Max Hägler lesen einige besonders humorvolle Beiträge vor. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Und noch etwas kann man bei diesem Auftritt lernen: Dass gerade die kunstvoll komponierten Geschichten beim Publikum vollkommen unterschiedliche Reaktionen auslösen. Zum Beispiel stieß eine Seite-Drei-Geschichte über den bayerischen Ministerpräsidenten bei einem Leser auf erheblichen Unwillen, weil Markus Söder dort als "Hallodri" bezeichnet worden war. Ein anderer wiederum fand das Porträt, das sich auf dem Höhepunkt der Pandemie mit dem Krisenmanagement des Ministerpräsidenten befasste, höchst befremdlich und viel zu freundlich: Das sei ja die reinste Schönfärberei, hätte die Bayerische Staatskanzlei nicht besser verfassen können!

Klar, dass sich die Süddeutsche in ihrem Schnapszahljahr auch selbst feiert. Geschäftsführer Christian Wegner verweist in seiner Begrüßung darauf, dass die SZ noch nie so viele Abonnentinnen und Abonnenten hatte wie zurzeit, die gedruckte und die digitale Ausgabe zusammengenommen; trotz der in die Höhe schnellenden Papierpreise sei dies Anlass zur Hoffnung. Durch das zweistündige Programm führen die beiden Chefredakteure Judith Wittwer und Wolfgang Krach, musikalisch unterstützt durch das Staatstheater-Orchester unter der Leitung von Anthony Bramall. Die Ouvertüre zu Johann Strauss' "Fledermaus" hat schon fast etwas Programmatisches - grundsätzlich heiter, gelegentlich dramatisch, pointiert und schwungvoll.

Den Auftritt von Markus Söder schwungvoll zu nennen, wäre fast noch eine Untertreibung. Sein Grußwort, das kabarettistisch auswuchert und im Saal Heiterkeit auslöst, würzt der Ministerpräsident mit einer Vielzahl von präzise gesetzten Sticheleien. Zunächst lobt Söder die SZ für ihre Bescheidenheit, in einem solchen Rahmen zu feiern - bei 19 Grad, mit Energiesparlampen und veganem Essen in der bescheidenen Hütte am Gärtnerplatz. Ein perfektes Ambiente, schließlich sei ja auch das SZ-Hochhaus im Münchner Osten als "Tempel der Demut" bekannt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat einst selbst als Journalist beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet - was ihn aber nicht von präzise gesetzten Sticheleien abhält. (Foto: Robert Haas)

Allerdings könne die Süddeutsche durchaus etwas mehr bayerischen Patriotismus an den Tag legen. Was bei Markus Söder wohl heißen soll, mehr Liebe zur CSU, die lange Zeit nur eine wahre Opposition in Bayern habe fürchten müssen, nämlich die SZ. Allzu große Hoffnungen mache er sich in dieser Hinsicht jedoch nicht. Was aber vielleicht auch ganz gut sei. "Ohne die SZ wäre das Regieren in Bayern viel zu einfach", sagt der Redner und verspricht: "Wir werden alles dafür tun, dass euch nicht langweilig wird."

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hält eine Festrede, in der sie den großen Bogen von der Nachkriegszeit seit 1945 bis zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine schlägt. Bemerkenswert ist ihre Einschätzung, dass man die aggressiven Reden Putins nicht als Rhetorik der Einschüchterung deuten, sondern in ihrer Substanz ernst nehmen müsse. Und dass man ohne Russland den neu entflammten kalten Krieg nicht dauerhaft beenden könne. Lebhaft erzählt sie vom Glück der Wiedervereinigung, die zugleich der Ausgangspunkt ihrer politischen Karriere war, und von den nicht gerade einfachen Jahren als junge Bundesministerin für Frauen und Jugend - damals galt sie nicht nur bei den Redakteuren der SZ als "Kohls Mädchen". Der gegenseitige Respekt zwischen ihr und den Hauptstadt-Journalisten wuchs wohl mit den Jahren der Kanzlerschaft, jedenfalls klingt es für Merkels Verhältnisse fast schon liebevoll, wenn sie über ihre tägliche SZ-Lektüre spricht. Manchmal bleibe ihr auch ein einzelner Satz in Erinnerung - etwa jener aus einem Essay über die Kunst, eine Karriere stilvoll zu beenden ("Runter vom Platz"). Dass das Aufhören ein wichtiger Teil der Aufgabe sei, diese Erkenntnis habe sie 2019, als sie den CDU-Vorsitz keinesfalls leichtfertig abgab, sehr bewegt.

77 Jahre Süddeutsche Zeitung
:Ein Autogramm bitte, Frau Merkel!

Zahlreiche Gäste aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft feiern mit der Süddeutschen Zeitung ihr 77-jähriges Bestehen. Auf die Festrednerin kommen gleich bei ihrer Ankunft Passanten zu. Die Impressionen des Abends.

Bei Häppchen und Wein auf allen Stockwerken des Theaters trifft man anschließend viele Gäste, die von sich behaupten, mit der SZ aufgewachsen zu sein - der frühere BR-Intendant und ehemalige Sprecher der Bundeskanzlerin, Ulrich Wilhelm, etwa. Oder auch Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, der immerhin 65 von 77 SZ-Jahren als Leser erlebt hat. Die Kabarettistin Luise Kinseher wünscht sich an diesem Abend, "dass man in fünfzig Jahren auch noch sagen kann: Journalismus, wie ihn die SZ betreibt, ist ein Handwerk, das Wissen, Können und Empathie erfordert". Was dann natürlich auf gar keinen Fall fehlen darf: die Leserinnen und Leser, die ihrer SZ liebevoll verbunden sind. Und die jederzeit wortgewaltig protestieren, wenn sie etwas entdecken, was ihnen gar nicht passt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

77 Jahre SZ
:Das Wunder dieser Zeitung

Nach den Vorstellungen der US-Besatzungsoffiziere sollte die SZ so bekannt werden wie die "New York Times". Das ist vielleicht nicht ganz gelungen, aber mit ihren investigativen Geschichten sorgt sie heute weltweit für Aufmerksamkeit.

Von Wolfgang Krach

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: