Ausstellung:Im Angesicht des Todes

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Die Wunderkammer Olbricht mit ihren Objekten zur Vergänglichkeit versetzt in Staunen - derzeit im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt.

Von Evelyn Vogel, Ingolstadt

Ihre Zeit ist abgelaufen. Und doch warten sie ganz hinten im Eck darauf, dass ihre Zeit kommt: Zwei Skelette aus Buchsbaum geschnitzt, genannt das "Paar Tödlein". Ziemlich lässig, mit überkreuzten Beinen, den Kopf auf die Hand gestützt, lehnen sie an hohen Baumstümpfen. Nähert man sich ihnen, erwachen die 35 Zentimeter hohen Figuren zum Leben, beginnen sich in ihren Vitrinen zu drehen und sorgen dank einer raffinierten Ausleuchtung der Sonderausstellung "Vergänglichkeit" im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt dafür, dass an der Wand ein lebensgroßes Schattenspiel entsteht. Ein Totentanz par excellence. Und ein Thema, das jedem Besucher während der Pandemie näher rückte, als einem lieb sein konnte.

Die Tödlein waren die ersten Objekte, die der Arzt Thomas Olbricht vor bald 20 Jahren auf der Tefaf, der Messe für Alte Kunst in Maastricht, bei Georg Laue, dem Kunsthändler aus München, erwarb und zum Liebhaber von Kunstkammern wurde. Laue blieb beratend an der Seite Olbrichts, baute für diesen eine Wunderkammer auf und richtete sie schließlich 2010 kuratorisch im "me Collectors Room" in Berlin ein.

In früheren Zeiten waren Kunstkammern und Naturalienkabinette nicht kostbare exotische Sammlungen, an denen sich nur ihre Eigentümer ergötzten. Diese zeigten sie auch stolz interessierten Gästen. Bald waren die derartige Sammlungen so sehr talk of town, dass es zum guten Ton gehörte, die Sehenswürdigkeiten im Rahmen einer "Kavaliers- oder Bildungstour", wie das damals hieß, aufzusuchen. Ähnlich erging es einem Anfang der 2010er Jahren in Berlin: Auch wenn man aus ganz anderen Gründen die Stadt besuchte, fragte man sich bald, was es denn mit dieser Wunderkammer Olbricht im "me Collectors Room" inmitten von Galerien für zeitgenössische Kunst, gleich neben den "Kunstwerken" auf sich hatte. Und kam irgendwann nicht mehr umhin, ihr einen Besuch abzustatten - staunend die Zeit vergessend. 2020 hat der "me Collectors Room" geschlossen und Olbricht hat 37 Stücke auf Reisen geschickt, bevor seine gesamte Sammlung im Herbst in die Dauerausstellung des Folkwang Museums in Essen integriert wird.

Doch noch sind die ausgewählten Stücke in Ingolstadt zu sehen. Und es ist keine Frage, dass sie thematisch hervorragend zu den Vanitas- und Memento-Mori-Objekten passen, über die das Haus verfügt. Der Ausstellungsrundgang beginnt mit Objekten, die das Vergehen der Zeit darstellen. Da sind Sanduhren oder der wirklich beeindruckende "Chronos" aus dem 17. Jahrhundert. Er, der Vater der Zeit, ist dargestellt mit Flügeln, in der einen Hand einen Totenschädel, in der anderen eine Sense. Ein schönes, nur 25 Zentimeter großes Stück aus Buchsbaum geschnitzt.

Doch nicht nur symbolische und metaphorische Vergänglichkeits-Objekte werden gezeigt, so die mehrseitigen Renaissance-Wendeköpfe aus Elfenbein. Zwei extrem naturalistische Stücke sind der alte Mann und die alte Frau, beide um 1530 in Süddeutschland entstanden und aus Birnen- und Buchsbaumholz geschnitzt. Sie sitzt nackt mit verschränkten Armen. Die ausgemergelte Figur, die hängenden Brüste, die faltige Haut am Bauch - da ist nichts geschönt, nichts metaphorisch überhöht. Das gilt auch für den Leichnam des alten Mannes, den man ihr in der Vitrine ausgestreckt zu Füßen gelegt hat, als ob sie um ihn trauern würde.

Auch einige anatomisch geprägte Stücke sind zu sehen, die sich thematisch eng an die Inhalte des Medizinhistorischen Museums anlehnen, worauf Direktorin Marion Ruisinger besonderen Wert legte. Ergänzend wurde aber in der Mitte des Raums ein Tisch aufgebaut, auf dem eine kleine, aber feine Auswahl an typischen Wunderkammerobjekten zu sehen sind. Hier treffen Artificalia, aus kostbaren Materialien gearbeitete Objekte, auf kunstvoll gefasste Naturalia, sagenumwobenen Exotica und raffinierte Scientifica, die einfach nur zum Staunen anregen sollen. Das Prachtstück ist ein Kabinettschrank mit Hausaltar und Apotheke aus Augsburg, der um 1610 aus Ebenholz mit gravierten Elfenbeinintarsien, Silber, Messing, Bronze sowie verschiedenen exotischen und einheimischen Hölzern gearbeitet wurde. Ein 52 Zentimeter hoher Tabernakel der Kräuter- und Heilkunst mit unzähligen Schubladen und Döschen. Und auch ein Symbol dafür, dass der Mensch sich schon immer gegen die Vergänglichkeit gestemmt hat. Wenn auch vergebens.

Vergänglichkeit, die Wunderkammer Olbricht zu Gast im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt, bis 12. September. Katalog (16 Euro) erhältlich im Museumsshop und unter dmm@ingolstadt.de

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