Geld und Finanzen in Bad Tölz-Wolfratshausen:"Was in fünf Jahren ist, ist ein großes Fragezeichen"

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Digitalisierung, Umstrukturierungen und die Pandemie: Die Gesellschaft steckt im Umbruch und mit ihr die Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen. Vorstandsvorsitzende Renate Waßmer spricht im Interview über die wirtschaftlichen Herausforderungen für das Haus und die Region.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Seit mehr als eineinhalb Jahren wirbelt ein Virus alles in der Welt durcheinander. Was zu Beginn noch sehr weit weg schien, schwappte dann doch nach Europa und schließlich bis in den Landkreis, ja sogar bis in jede noch so kleine Kommune. Ein lang anhaltender Ausnahmezustand, der einerseits die Gesundheit vieler, andererseits auch die Wirtschaft hart trifft. Und auch, wenn es sich derzeit wie eine Rückkehr zur Normalität anfühlen mag, die Unsicherheiten der pandemischen Entwicklungen bleiben. Viele wichtige wirtschaftliche Weichenstellungen in und für die Region gehen dabei über den Schreibtisch von Renate Waßmer: Sie ist einerseits Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen, zugleich ehrenamtlich Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Bad Tölz-Wolfratshausen und seit Juli auch Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. Im Interview spricht die 51-Jährige über die Herausforderungen der Wirtschaft in der Region - und in der Sparkasse selbst.

SZ: Frau Waßmer, die Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen will zehn Geschäftsstellen im Landkreis schließen. Fünf davon werden zu Selbstbedienungsstellen, Icking, Bad Heilbrunn, Gaißach, Jachenau und Walchensee werden ganz aufgegeben. Sind das Folgen von Corona?

Renate Waßmer: Da gibt es schon einen engen Bezug. Corona hat Entwicklungen, die wir vielleicht für die kommenden vier oder fünf Jahre erwartet hätten, katalysiert. Wir hatten ja im ersten Lockdown aus Sicherheitsgründen unsere kleineren Filialen geschlossen. Und haben dann gemerkt, dass die Kunden sehr gerne ausweichen auf Telefon, Videoberatung und Online-Banking. Unsere Telefon-Geschäftsstelle verzeichnet inzwischen jährlich fast 200 000 Anrufe. Parallel dazu gingen die Kartenzahlungen extrem nach oben, die kontaktlosen Zahlungen haben in den vergangenen drei Jahren "verachtfacht", allein von Kunden unserer Sparkasse. Knapp zwei Drittel unserer Kunden nutzen Online Banking - eine Verdoppelung innerhalb der vergangenen drei Jahre. Das hat alles einen solch extremen Schub gemacht, dadurch ging die Frequenz in den Geschäftsstellen noch mehr zurück und kam auch nicht wieder. Deshalb haben wir im vergangenen Spätsommer eine konkrete Erhebung gemacht, wie die Frequenz auf den einzelnen Filialen ist, der Umsatz bei den Geldautomaten, und aufgrund dieser Auswertung haben wir gesagt, wir stellen um und investieren früher als geplant in unsere großen sechs Beratungscenter und gründen ein neues digitales Beratungscenter. Statt 2022 sind wir also schon 2021 damit gestartet, ein Soft Opening quasi. Die Zahl "zehn" ist etwas zu relativieren. 92 Prozent aller Aktionen finden bereits heute schon dort statt, wo wir künftig mit den sechs Beratungs-Centern und drei personenbesetzten Geschäftsstellen und vielen SB-Filialen vertreten sind. Wir bleiben mit insgesamt 26 Standorten im Landkreis sehr präsent. 98 Prozent unserer Kunden werden innerhalb eines Radius von fünf Kilometern mit Bargeld versorgt

Wie sah denn der ursprüngliche Zeitplan aus?

Der Antritt war schon vor drei Jahren, wo wir schon einmal einen Veränderungsprozess hatten und dachten, das geht jetzt mal bis 2023/2024/2025. Aber das hat das Virus eben massiv beschleunigt.

Wie hat die Corona-Pandemie denn Sie als Haus und Ihre Kunden wirtschaftlich getroffen?

Intern, was Abläufe angeht. Wir haben sehr schnell Hygieneschutzmaßnahmen ergriffen, sind dann auch schnell mit Social Media an den Start gegangen, um Kontakt zu halten. Was Firmenkunden betrifft, da war viel Dialog da, vor allem im ersten Lockdown. Da ging es vor allem um die Mittelbeschaffungen zur Liquiditätshilfe. Ausfälle, also dass es mehr Insolvenzen gäbe, merken wir nicht. Das haben wir durchaus anders befürchtet, aber wir haben bislang keine spürbare Auswirkung durch Kunden, die aufgrund von Corona in eine Schieflage geraten wären. Unsere heimische Wirtschaft ist bisher gut durch die Krise gekommen.

Woran könnte das gelegen haben?

Wir sind im Landkreis, was die Wirtschaft angeht, sehr heterogen aufgestellt, also mit vielen Branchen. Mischkultur ist eben widerstandsfähiger als Monokultur und es gibt viele kleine Betriebe, weniger Großbetriebe. Diese Granularität macht stabil. Wobei ich nicht sicher bin, ob wir schon übern Berg sind - denn die Phase der Rückzahlungen der Mittel steht ja noch an. Spannend wird's auch dann, wenn es darum geht, eine Anschubfinanzierung zu finden. Aber, wenn nicht eine vierte, fünfte Welle kommt mit irgendwelchen Varianten, dann kommen wir ganz gut durch.

Im Interesse der Wirtschaft: Renate Waßmer im Gespräch mit Reinhold Krämmel, von dem sie den Vorsitz im Regionalausschuss der IHK übernommen hat. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sind die Umstrukturierungen der Sparkasse jetzt erst einmal abgeschlossen?

Was noch aussteht, ist die Sauerlacher Straße in Wolfratshausen. Da ist der Plan eher, dass wir ein Beratungs-Center neu bauen; vorstellbar für uns wäre auch außerhalb des Stadtkerns, wo wir gute Parkmöglichkeiten bieten können. Mit einer kleinen Servicefiliale für den täglichen Bedarf wollen wir aber auf jeden Fall im Herzen von Wolfratshausen bleiben. Und es laufen noch die Arbeiten am Beratungs-Center Geretsried in der Egerlandstraße. Da werden wir ja auch Wohnraum schaffen, was für die Region ja enorm wichtig ist, so wie wir es in Lenggries und in Geretsried in der Händelstraße gemacht haben.

Gab es gegen die Schließungen und Umwandlungen Proteste?

Natürlich gab es Reaktionen. In Gaißach hat der VdK sich gerührt und auch Bürgermeister Stefan Fadinger mit dem Gemeinderat - da sind wir im Gespräch. Und in Icking war es der Ortsverein der SPD, der gesagt hat, kann man das nicht anders lösen? Hier haben wir Ende September einen Termin, wo wir uns zusammensetzen. Uns ist wichtig, dass wir die Entscheidung noch einmal erläutern und erörtern. Wir sind vorher zu allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gegangen, um vor der Veröffentlichung unserer Pläne alle tangierten Gemeinden zu informieren. Aber es ist klar, man kriegt nicht alle Hintergründe in einen eineinhalbseitigen Brief rein. Das ist oft emotional, das ist mir klar. Unsere Filialen sind lieb gewonnen, man kennt sie seit Jahren oder Jahrzehnten, das erfordert Umstellung, ein Loslassen. Da sind wir aber im Dialog. Ansonsten nehmen wir es so wahr, dass es auch viel Verständnis gibt. Wir empfinden es auch als Bestätigung, dass unsere Kunden sagen, dass sie uns vermissen.

Gibt es denn die Möglichkeiten einer Lösung oder geht es im Dialog nur ums Erklären?

Da geht's ums Erklären. Transparenz schaffen, Lösungen aufzeigen - die es gibt. Beispielsweise wenn ältere Menschen nicht mobil sind oder kein Online-Banking machen wollen. Wir bieten etwa einen Bargeldservice für nicht mobile Menschen an, ein Bargeldtaxi, das das Geld kostenlos und auf unser Risiko bis zur Haustüre bringt.

Umstellungen, insbesondere digitaler Art, klingen oft nach der Frage, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei? Verlangt der Kunde wirklich nach mehr Digitalisierung oder wird ihm das aufgezwungen?

Das ist einfach eine gesellschaftliche Entwicklung, bei der andere Länder übrigens sehr viel weiter sind als wir, wenn ich da an Spanien oder Skandinavien denke. Wir bieten alle Möglichkeiten an. Aber wenn man merkt, dass die Bargeld-Verfügungen deutlich zurückgehen - und das merkt man auch an den Geldautomaten - und das auch nach Corona nicht mehr angestiegen ist, ist es auch unser öffentlicher Auftrag, zu sagen, dass wir die neuen Möglichkeiten für unsere Kunden bespielen.

Glauben Sie, dass die Neuausrichtung der Sparkasse vorerst abgeschlossen und tragfähig für die Zukunft ist oder müssen sich Kunden auf einen schleichenden Prozess der weiteren Veränderungen einstellen?

Heute fühlen wir uns angekommen mit der Lösung für Januar. Aber was in fünf oder zehn Jahren ist, ist ein großes Fragezeichen. Ich dachte vor drei Jahren auch, wir seien angekommen. Aber so, mit 26 Standorten im Landkreis, vereinzelt in Kooperation mit der Raiffeisenbank, da sind wir schon gut aufgestellt. Wohin die Reise noch gehen wird? Da ist hohe Dynamik drin, die auch andere Branchen betreffen wird. Und als Marktführer ist es unsere Aufgabe, Dynamik und Veränderungen aufzugreifen und unser Unternehmen zukunftsfest aufzustellen.

Im Netz aber hinterlässt man bei Transaktionen - anders als bei Bargeldzahlungen - immer Datenspuren, und Daten sind ja das neue Öl, heißt es.

Wir haben ja schon eine Fülle von Daten von unseren Kunden, da hat sich durch die neuen Bezahlungen nicht so viel geändert. Daten sind schon das neue Öl, das stimmt, deshalb gibt es die entsprechenden "payment service directives", gesetzliche Vorgaben, die nicht nur uns, sondern allen vorschreiben, wie man damit umzugehen hat. Und deshalb werben wir dafür, dass jeder genau prüft, wem er seine Daten zur Verfügung stellt. Wir spüren hier enormes Vertrauen unserer Kundinnen und Kunden.

© SZ vom 08.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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