Im Frühherbst vor drei Jahren saß Johannes Tien alleine auf der leicht geschwungenen Wiese auf der Wackersberger Höhe. Zwei Klappstühle hatte er aufgestellt, dazwischen einen Campingtisch mit der Miniatur eines Naturhotels. Einen Namen für das 100-Betten-Haus hatte er schon: "Bergeblick" sollte es heißen. Was mit den Stühlen, dem Tisch und dem Modell im Kleinen begann, ist jetzt fertig: Das große Hotel mit seiner Holzpergolafassade, seinem ausgelagerten Sauna- und Wellnesshaus mit Pool und den drei Lodges wird an diesem Samstag, 5. August, eröffnet. Auf eine Eröffnungsfeier verzichtet Tien. "Die letzten Wochen waren dramatisch anstrengend", sagt er. Für ihn selbst, für seine Familie, für seine Mitarbeitenden. "Und jetzt auch noch eine große Feier? ... Nein."
So geht eher unspektakulär an den Start, was sich die Stadt mit dem mehr als einem Jahrzehnt alten Konzept "Neue Tölzer Hotelkultur" gewünscht, aber bis heute nicht bekommen hat: ein neues Hotel. Das Projekt an der Arzbacher Straße zerschlug sich, jenes an der Bockschützstraße kommt seit Jahren nicht voran. Nur Johannes Tien schaffte es. Warum? "Wir waren mutig", sagt er. Und manchmal helfe eben auch "ein bisschen Naivität". Überdies kam dem Vorhaben zupass, dass er als Investor, Bauherr und Betreiber über alles selbst entscheiden konnte, während Hotelkonzerne damit diverse Abteilungen und Unterabteilungen beschäftigen. "Uns reicht der kleine Flurfunk zwischen meiner Frau und mir", sagt Tien.
Einfaches Spiel hatte er in Bad Tölz mit seinem Naturhotel gleichwohl nicht. Sieben von 17 Stadträten stimmten seinerzeit gegen den Bebauungsplan, die wenigen Anwohner stemmten sich juristisch gegen die Pläne. Aber davon ließ er sich ebenso wenig irritieren wie von den Unwägbarkeiten eines solchen Bauwerks, das in Zeiten von Corona, Ukraine-Krieg und Inflation entstand. "Jeden Tag hat man ein Problem, das gelöst werden muss, weil es das Ganze zeitlich und finanziell auf den Kopf stellen kann", sagt er.
"Das sind alles Dinge, wo man ein unheimlich breites Kreuz haben muss."
Bestellte Türen oder Fenster kamen nicht wie eingeplant, manchem Handwerker musste er im Zwiegespräch ausreden, einen Angstpuffer in seine Kalkulation einzubauen, das Landratsamt forderte wegen der Entwässerung des 8400 Quadratmeter großen Grundstücks einen baubegleitenden Prüfsachverständigen, den er jedoch nicht finden konnte ... , und so fort. "Das sind alles Dinge, wo man ein unheimlich breites Kreuz haben muss", sagt Tien. Die Kosten von rund 20 Millionen Euro vermochte er trotz allem einzuhalten.
Hinzu kam die Suche nach geeignetem Personal. Mehr als 20 Mitarbeitende, darunter acht Vollzeitkräfte, sollen sich um die Besucher kümmern. Tien sieht seine Crew als eine "Bergeblick-Familie, die den Gast zu sich nach Hause einlädt". Damit die Beschäftigten auch zusammenpassen und ein Team bilden, hat er mit jedem von ihnen drei Gespräche geführt, jeweils eine Stunde lang.
Nach all diesen Reminiszenzen macht Tien das, was er sichtlich gerne tut: Er führt durchs Hotel. Und erzählt. Zum Beispiel davon, wie er mit seiner Frau in einer Nacht-und-Tag-und-Nachtaktion nach Belgien gefahren ist, um die Möbel auszusuchen, die Polsterbänke, die Sessel, die Tische. "Eine Monstertour" sei das gewesen, sagt er. Aber ihm sei es darum gegangen, dass auch das Mobiliar die Botschaft der Naturhotels vermittelt: ausspannen, zur Ruhe kommen, einmal für sich sein. Und die Natur genießen. Von der einen Seite mit unverstelltem Blick auf den Blomberg, von der anderen auf den nahen Stadtwald.
Das neue Hotel mit seiner großen Business-Lodge, seinen acht Suiten samt Jacuzzi-Badewanne, Day Bed und Balkonen, seinen Doppelzimmern, seinen kleinen, immer verschiedenen Saunen, seinen Infrarotkabinen, seinem Zimmer mit dem Wassermassagebett, seinem Day-Beauty-Kosmetikstudio, seinem Gym-Bereich und dem gebäudehohen Foyer mit modernen Hängelampen bietet vor allem eines: Rückzugsorte. "Ich hoffe, dass wir ein Zielpublikum bekommen, das sagt: Hey, hier ruhe ich mich mal aus", erklärt Tien. Aber dieses Klientel muss er für sich erst einmal generieren. Von Touristen, die sich in Tölz für 60, 70 Euro pro Nacht einquartieren, habe er nichts, sagt er. Seine Preise liegen schließlich etwa doppelt so hoch.
In diesem August ist das neue Naturhotel zu 40 Prozent ausgelastet. Das ist kein schlechter Wert für den Start. "Ich muss damit zufrieden sein", sagt Tien. "Aber ich bin nie zufrieden." Er sei froh, dass er mit einer großen Agentur in Brixen in Südtirol zusammenarbeite, die erfahren in der Hotellerie sei. Denn das Buchungsverhalten der Gäste habe sich stark verändert. Statt ein halbes oder ganzes Jahr wie früher kämen die Anfragen jetzt nur zehn bis 14 Tage vorher. Aber sie kommen. Aus München, aus dem Umland, vom Pharmakonzern Roche aus Penzberg für eine Tagung mit 20 Personen, sogar von einer britischen Anwaltskanzlei. Wichtig sei jedoch, wie die nächsten beiden Jahre verliefen, sagt Tien.
"Jeder muss mit anfassen und sich die Finger dreckig machen."
In den Tagen bis zur Eröffnung musste das ganze Team des Bergeblick-Hotels kräftig anpacken. Gardinen mussten aufgehängt, Möbel aufgestellt, Zimmer sauber gemacht werden. "Jeder muss mit anfassen und sich die Finger dreckig machen", sagt Tien. Und danach? "Auch ein Betreiber hat seine Herausforderungen." Er hoffe aber, dann einmal am Morgen aufzuwachen - "nicht mit tausend Gedanken im Kopf".