NS-Zeit im Oberland:"Tölz war Täterland"

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Familie Sherak: Melanie Chitwood, Raphael Sherak, Hannah Sherak, Benjamin Sherak und Naomi Brauner (von links). (Foto: Manfred Neubauer)

Drei Gedenksteine erinnern jetzt vor dem Stadtmuseum an den jüdischen Hotelier Julius Hellmann und seine beiden Geschwister Max und Bertha, die im Holocaust ermordet wurden. Zum Festakt reisen die Nachkommen der jüdischen Familie aus den USA an.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Dreißig Gedenksteine sind in das Kopfsteinpflaster vor dem Tölzer Stadtmuseum eingelassen. Sie tragen die Namen von Opfern des Nazi-Regimes, die einst in Bad Tölz gelebt haben: Juden und Widerständler, vor allem aber geistig behinderte Menschen und psychisch Kranke, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Nun kommen drei neue Steine hinzu. Sie erinnern an den jüdischen Geschäftsmann Julius Hellmann, der 1913 das Parkhotel im Kurviertel baute und bis 1934 führte, an seinen Bruder Max und seine Schwester Bertha, die im Holocaust umgebracht wurden.

Zu dem Festakt am Samstag reiste Hannah Sherak mit ihrer Familie aus den USA an. Die Enkelin von Paula Gutmann, Schwester des ermordeten Hoteliers, hielt im Historischen Sitzungssaal des Stadtmuseums mehrere Schwarz-Weiß-Fotos hoch. Die Porträtaufnahmen zeigen Familienmitglieder, die der Nazi-Verfolgung entkamen. Ihr sei es wichtig, nicht nur an die Ermordeten zu erinnern, sondern auch an die Überlebenden, sagte Hannah Sherak. Und noch eine Botschaft hatte sie mitgebracht: "Die Lektion aus dem Holocaust ist nicht nur, die Juden zu schützen, sondern jeden zu schützen, der diskriminiert wird." Eigentlich hatte sie gar keine Rede halten und nur still neben ihren Söhnen Benjamin und Raphael sitzen wollen, die von ihren Frauen Naomi Brauner und Melanie Chitwood begleitet wurden. Aber dann konnte sie doch nicht anders. Auch wegen des aktuellen "rise of fascism", wie sie sagte, in Europa und in den USA.

1913 errichtete Julius Hellmann das Parkhotel in im Tölzer Kurviertel. An dieser Stelle steht heute das Seniorenheim "Haus am Park". (Foto: Privat/oh)

In Bad Tölz hatte der Journalist und Buchautor Christoph Schnitzer die Geschichte der Hellmanns jahrelang recherchiert. Das Parkhotel im Kurviertel habe ihn seit seiner Kindheit, als er in dem damals bereits verfallenen Gebäude spielte, nicht mehr losgelassen, sagte er. Bei seinen Nachforschungen habe es dann "bemerkenswerte Fügungen des Schicksals" gegeben. Eine davon: 2022 erhielt er über einen Freund den Leserbrief, den Alfred Gutmann, Vater von Hannah Sherak, vor mehr als 30 Jahren an die New York Times geschickt hatte. Darin kritisierte der Neffe von Julius Hellmann einen beschönigenden Artikel der renommierten Zeitung über Bad Tölz. Und er rückte Schnitzer zufolge darin einiges zurecht. "Tölz war keine Insel, Tölz war Täterland."

Der Tölzer Journalist und Buchautor Christoph Schnitzer hat die Geschichte der Familie Hellmann recherchiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Die andere Überraschung: Hannah Sherak, die Tochter des Leserbriefschreibers, wollte mit 69 Jahren ihre Familiengeschichte erforschen und hatte sich deshalb 2023 bei der Tölzer Tourist-Info gemeldet. Ihre E-Mail wurde an Schnitzer weitergeleitet. "Und plötzlich fallen die Dominosteine, einer nach dem anderen", sagte der Tölzer Journalist und Autor. "Nun kennen wir die Geschichte des Parkhotels und der Hellmann-Familie."

Ihre Rückkehr erfreue ihn außerordentlich, sagte Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) in seiner Rede. "Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass eine Familie mit Tölzer Wurzeln zurück in die alte Heimat kommt. Wir wissen aber alle, dass es in Ihrem Fall nicht selbstverständlich ist." Mehner erinnerte an die Nazi-Zeit, als Millionen Menschen umgebracht wurden, Juden vor allem, auch Behinderte, Priester, Andersdenkende. Er sprach "von Ausgrenzung, Hass, Krieg und Tod", die diese Jahre unter dem NS-Regime geprägt hätten.

In der Schule habe er gelernt, wie all dies habe passieren können, dass dies nie wieder passieren dürfe. "Wer realistisch ist, muss aber heute feststellen, dass wir aktiv für Frieden und Demokratie kämpfen müssen", sagte der Bürgermeister. In vielen Ländern spüre man eine Polarisierung der Gesellschaft. Es gebe Angriffe auf Menschen und Meinungen, Grundfesten wie die Demokratie würden infrage gestellt. Wichtig seien Diskussionen und die Fähigkeit zum Zuhören. Denn Offenheit, so Mehner, sei "ein ganz wichtiger Schlüssel zu einer demokratischen Gesellschaft".

Tölzer Gymnasiasten haben einen Kurzfilm über die NS-Zeit gedreht

Einen Kurzfilm über einen Mitläufer in der Nazi-Zeit haben Kilian Widmann, Avira Hägele, Moritz Gehr und Sara Schott in einem Praxis-Seminar am Tölzer Gabriel-von-Seidl-Gymnasium gedreht. Das Gedenken an die schreckliche Vergangenheit sei "auch für unsere Generation sehr wichtig", sagte Avira Hägele. Für Regisseur Widmann bemühten sich Bad Tölz und das Gymnasium weiterhin, eine Gedenkkultur aufrechtzuerhalten, die eine Aufarbeitung all der Geschehnisse umfasse. Drehbuchautor Gehr lernte bei der Arbeit an dem Kurzfilm, dass "die Verbrechen nicht nur weit draußen in der Welt stattfanden, sondern hier in Tölz, begangen von Tölzern".

Die Gedenksteine für Bertha Hellmann, Max Moses Hellmann und Julius Hellmann. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit der Reise nach Bad Tölz hätten Hannah Sherak und ihre Söhne einen "schmerzlichen Weg in die Familiengeschichte" auf sich genommen, sagte Zweiter Bürgermeister Michael Lindmair (FWG). Für Tölz sei es "ein dunkler Weg in die Stadtgeschichte". Die Nazis hätten versucht, nicht nur Leben auszulöschen, sondern auch die Erinnerungen an diese Leben zu tilgen. Die drei Gedenksteine seien mehr als nur ein symbolischer Akt, so Lindmair. Sie forderten dazu auf, sich jeden Tag für Toleranz, Mitgefühl und Respekt einzusetzen, jeden Tag gegen alle Formen der Diskriminierung und des Hasses zu kämpfen. "Die drei Gedenksteine sind in das Herz unserer Stadt eingeschrieben."

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NS-Zeit im Oberland
:Bad Tölz und der jüdische Hotelier

Julius Hellmann errichtete 1913 das Parkhotel im Kurviertel. Das mondäne Haus führte er mit Erfolg, bis es von den Nazis 1935 geschlossen wurde. Der Geschäftsmann und einige seiner Geschwister wurden im Holocaust ermordet, anderen Familienmitgliedern gelang die Flucht.

Von Klaus Schieder

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