NS-Zeit im Oberland:Bad Tölz und der jüdische Hotelier

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1913 errichtete Julius Hellmann das Parkhotel in im Tölzer Kurviertel. An dieser Stelle steht heute das Seniorenheim "Haus am Park". (Foto: Privat/oh)

Julius Hellmann errichtete 1913 das Parkhotel im Kurviertel. Das mondäne Haus führte er mit Erfolg, bis es von den Nazis 1935 geschlossen wurde. Der Geschäftsmann und einige seiner Geschwister wurden im Holocaust ermordet, anderen Familienmitgliedern gelang die Flucht.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Bad Tölz wird gerne als eine anheimelnde Stadt am Fuße der Alpen beschrieben, mit Bergpanorama, Isar, Trachten, Bürgerhäusern. So ungefähr wurde sie vermutlich auch in einem Artikel geschildert, der vor mehr als 30 Jahren in der New York Times erschien. Ein allzu glattes Bild, befand Alfred Gutmann. Der 69-Jährige, der einen Teil seiner Kindheit in Bad Tölz verbracht hatte, setzte sich im November 1992 hin, schrieb einen Brief an die renommierte Zeitung und erklärte darin, die Stadt sei "eines der ersten Ziele von Hitlers ethnischer Säuberung" gewesen. Bad Tölz - das war auch eine Heimstatt der NSDAP und der SS. Und ein Opfer des Nazi-Terrors war sein Onkel: der Hotelier Julius Hellmann.

Der jüdische Geschäftsmann hatte 1913 das mehrstöckige Parkhotel an der Buchener Straße im Kurviertel erbaut - an jener Stelle, an der heute das Seniorenheim "Haus am Park" steht. Vieles war in dem mondänen Haus vom Modernsten. Elegantes Interieur, Doppelzimmer mit Kalt- und Warmwasser - was in jenen Tagen nicht selbstverständlich war -, Frühstücksterrasse, Ballsaal, Lift, eine Küche mit speziellen Gerichten für Gicht- und Diabeteskranke, ein Hotelauto, das die Gäste zu allen Zeiten zum und vom Bahnhof brachte. "Der Betrieb wird den verwöhntesten Ansprüchen gerecht", konstatierte der damalige Stadtchronist Freiherr Franz von Lobkowicz.

Das Parkhotel hatte noch eine Besonderheit: Es war auf die Bedürfnisse jüdischer Besucher zugeschnitten. So war an jedem Türrahmen eine Mesusa befestigt - ein Röhrchen, das einen Spruch aus der Thora auf Papier enthält. Das Haus, schreibt Lobkowicz, "übertrifft alle anderen Einrichtungen gleicher Art im Badeteil". Und es lief offenbar gut. Einer Statistik von 1918 zufolge logierten am 7. Juli 980 Gäste in Tölz, davon 102 "israelischen Glaubens". Acht Jahre später gelang es Hellmann sogar, den Komponisten Peter Kreuder als künstlerischen Leiter für sein Hotel zu engagieren.

Das Casino und der Ballsaal des Parkhotels in Bad Tölz. Das mondäne Haus war auf die Bedürfnisse jüdischer Gäste zugeschnitten. (Foto: Privat/oh)

All dies hat der Tölzer Journalist und Buchautor Christoph Schnitzer in akribischer Arbeit noch einmal von Grund auf recherchiert. Denn in seinem ersten Buch aus dem Jahr 1995, das sich mit der Nazi-Zeit in Bad Tölz befasst, hatte er noch geglaubt, dass Julius Hellmann am 8. Mai 1945 gestorben war - und Suizid begangen hatte. So stand es in den Restitutionsakten des Landgerichts München I von 1952, so berichteten es durchaus glaubhafte Zeitzeugen aus Tölz. Damals, so Schnitzer, sei er "davon ausgegangen, dass die Hellmanns als Besitzer des Tölzer Parkhotels keine unmittelbaren Opfer der Nazi-Herrschaft waren".

Der Journalist und Buchautor Christoph Schnitzer hat die Geschichte der Familie Hellmann akribisch erforscht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Waren sie doch. Das zeigte der Leserbrief von Alfred Gutmann, den Schnitzer fast drei Jahrzehnte später von einem Freund aus den USA erhalten und der ihn tief berührt hat. Julius Hellmann hatte am Tag des Kriegsendes seinem Leben nicht etwa selbst ein Ende gesetzt. Er war schon 1942 im Vernichtungslager Chelmno ermordet worden. Außer ihm wurden auch sein ältester Bruder Max und seine ältere Schwester Bertha im Holocaust umgebracht. Anderen Familienmitgliedern gelang die Flucht.

Die Hellmanns stammen aus dem unterfränkischen Marktbreit. Abraham Hellmann und seine Frau Regina betrieben dort eine Mazzenbäckerei, die ungesäuertes Brot fürs Pessachfest buk und die gesamte jüdische Bevölkerung in Nordbayern belieferte. Sie hatten neun Kinder. Sohn Max übernahm den Betrieb nach ihrem Tod; Julius war eines der jüngeren Geschwister. Der spätere Hotelier blieb unverheiratet, viel Persönliches ist über ihn nicht bekannt. In München führte er kurze Zeit das Café Hungaria an der Fürstenstraße - ohne Erfolg. Mit einer Menge Schulden kam er nach Bad Tölz, wo er sich mit 28 Jahren dennoch seinen Traum erfüllte: Er baute das Parkhotel. Wirtschaftlich lief der Betrieb gut, 1920 pachtete er sogar die Kurpension Hindenburg (Villa Berndi) und führte sie als "israelitisches Restaurant".

Fake News über jüdische Gäste in Tölz erschienen schon 1918

Allerdings zogen schon früh die bedrohlichen Wolken des Antisemitismus und Nationalsozialismus über Tölz auf. 1918 erschien in zwei bayerischen Zeitungen ein Bericht, wonach 583 von 600 Gästen in der Kurstadt jüdisch seien. In Wirklichkeit waren es nur rund zehn Prozent. Ein Tölzer merkte am Rande eines Zeitungsartikels mit diesen Fake News an: "Pfui Teufel! Kriegs-Ursache und Verlängerung: Grosscapital der Juden u. der Logenbrüder. Armes Bayern!"

Vier Jahre später berichtete die Tölzer Gendarmerie, dass am 15. August 1922 etwa 20 NSDAP-Anhänger durch das Badeteil zogen, "vaterländische Lieder" sangen und das antisemitische Erhardslied anstimmten: "Schmeisst die Juden raus!" Das grölten sie auch, als sie am Parkhotel vorbeigingen. Daraufhin geschah dem Bericht zufolge jedoch Ungewöhnliches: "Aus dem Parkhotel lief eine Anzahl Herren der Truppe nach, schlugen mit Stöcken auf die Demonstranten ein und ein Herr mit Zwicker beschimpfte sie: Lausbuben!" Das sei - wohlgemerkt - im Jahr 1922 gewesen, verdeutlicht Schnitzer. In Bad Tölz habe es damals schon eine NSDAP-Ortsgruppe gegeben, eine der frühesten überhaupt.

"Ziemliches Geschachere um das Hotel unter der Regie des Rathauses"

Es wurde schlimmer. 1934 flehte Julius Hellmann bei seinen ersten Versuchen, das Hotel zu verkaufen, den Tölzer Bürgermeister Anton Stollreither in einem Brief an, "ihn doch nicht in die Lage zu bringen, dass er mit seinen Geschwistern, die teilweise schon über 22 Jahre mit ihm im Hotel ohne jedes Entgelt tätig sind, ohne jeden Pfennig abziehen muss". Danach, so Schnitzer, habe es ein "ziemliches Geschachere um das Hotel unter der Regie des Rathauses" gegeben. Die Angebote von gut 300 000 Reichsmark waren allerdings deutlich zu gering. Im Mai 1934 befürwortete der Stadtrat einstimmig einen Antrag des Kurvereins, "dass es im Interesse des gesamten Badebetriebs dringend wünschenswert wäre, wenn das in jüdischem Besitz befindliche Parkhotel, welches in Bad Tölz das Judenhotel ist, in arische Hände übergehen würde".

Das Parkhotel wurde 1971 abgerissen. An seiner Stelle wurde 1978 das vom Roten Kreuz betriebene Seniorenheim "Haus am Park" errichtet. (Foto: Manfred Neubauer)

Doch es wurde noch schlimmer. In einem Brief an den bayerischen Wirtschaftsminister Hermann Esser rühmten Portier Max Burghardt und das Personal des Hotels das soziale Gefühl, das Julius Hellmann für jeden seiner Angestellten hatte. "Er sieht in ihm nicht nur sein Werkzeug, sondern seinen Mitarbeiter", heißt es darin. Die Antwort kam nicht von Esser, sondern von NSDAP-Kreisleiter Edward Bucherer: "Wer es in der heutigen Zeit noch für richtig hält, Juden zu unterstützen, darf sich nicht wundern, wenn er sich auch die Sympathie der übrigen Volksgenossen verscherzt." Das gleichnamige Café am Walchensee, dass Bucherer führte, wurde 1936 von Adolf Hitler besucht. Nach Kriegsende galt der ehemalige Kreisleiter bei der Entnazifizierung als minderbelastet, weil er "tolerant und gerecht" gegen politisch Verfolgte gewesen sei.

Nachdem der Verkauf des Parkhotels wegen der Hypotheken nicht recht gelingen mochte, ordnete das Bezirksamt im August 1935 die Schließung an. Dies, so Schnitzer, habe man "zynisch mit der Razzia und den Ausschreitungen der SA und SS gegen Julius Hellmann und seine jüdischen Gäste" begründet, die schließlich "vom Willen der Bevölkerung getragen" seien. Der Hotelier wurde gezwungen, sein Hotel an das Ehepaar Madlener vom benachbarten Haus Isarwinkel zu vermieten. Ohne jüdische Gäste war das Parkhotel jedoch unrentabel. 1937 erwarben Anton und Louise Reinhard das Anwesen für 350 000 Reichsmark. Dem jüdischen Eigentümer blieben davon nach Abzug von Steuern und Abgaben, nach der Verrechnung des Darlehens nicht einmal zehn Prozent. Während die Reinhards das Haus ein Jahr später an die NSDAP gewinnbringend verkauften, zog Julius Hellmann nach Hamburg.

Für den jüdischen Hotelier Julius Hellmann wird ein Gedenkstein vor dem Tölzer Stadtmuseum verlegt, ebenso für seine Geschwister Bertha und Max Hellmann. (Foto: Privat/oh)

Und dann kam es zum Schlimmsten. Der Hotelier sowie Max und Bertha Hellmann wurden 1941 ins Ghetto Lodz deportiert, von dort 1942 nach Chelmno gebracht und ermordet. Seine Schwester Mathilde starb 1942 an Herzschwäche im jüdischen Krankenhaus in Frankfurt. Seinem Bruder Bernhard gelang die Flucht mit dem Schiff über Japan in die USA. Seine Schwester Paula entkam mit ihren Kindern Alfred und Bernd ebenfalls in die USA. Sein Bruder Moritz, der nicht in Bad Tölz gearbeitet hatte, wurde mit seiner Frau Rahel und den Töchtern Julie und Regina im Vernichtungslager Sobibor umgebracht, nur ihr Sohn Norbert überlebte und floh in die Vereinigten Staaten.

"Der Schmerz um die geliebten Geschwister wird ewig bleiben."

Und das Parkhotel? Nach dem Krieg war es erst Lazarett, danach wurde es von den US-Streitkräften genutzt. 1960 kaufte das Ehepaar Jörg aus Landau das Haus. 1971 stand das ehemalige, inzwischen arg heruntergekommene Hotel plötzlich in Flammen, die Kripo sprach von Brandstiftung. Im selben Jahr wurde es abgerissen. Und die Hellmanns? Die Erben von Julius Hellmann bekamen 1952 zwar auf Beschluss des Landgerichts den Kaufpreis zugesprochen, sahen davon aber am Ende kaum etwas. Ein Jahr vor ihrem Tod schrieb Paula Gutmann, die Tochter des jüdischen Hoteliers, über den Abbruch des Hotels: "Hier sagt man: Forget about it! Ich will auch vergessen und dem Haus nicht nachtrauern, das sind schließlich nur Steine, aber der Schmerz um die geliebten Geschwister wird ewig bleiben."

Die Geschichte der Hellmanns soll in Bad Tölz allerdings nicht vergessen sein. In einem Vortrag, den er unlängst beim Historischen Verein im Tölzer Stadtmuseum hielt, kündigte Schnitzer an, dass drei sogenannte Ge(h)denksteine vor dem Museum in der Marktstraße an Julius, Bertha und Max Hellmann erinnern sollen. Hanna Sherak, Enkelin von Paula Gutmann, und Johnny Hellmann, Sohn von Norbert Hellmann, befürworteten diese Form der Erinnerung. Hannah Sherak habe geantwortet, so Schnitzer: "Eine wesentliche Verbesserung gegenüber den meisten Gedenkstätten besteht darin, dass sie sich ganz gezielt auf die Opfer und ihre Abwesenheit konzentrieren."

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