Buchpräsentation und Vortrag:Wie die Nazis im Oberland Fuß fassten

Buchpräsentation und Vortrag: Die Tölzer SA bei einem Aufmarsch in Bad Tölz 1931.

Die Tölzer SA bei einem Aufmarsch in Bad Tölz 1931.

(Foto: privat/oh)

Der Sammelband "Revolution und Reaktion" beleuchtet die Anfänge der NS-Bewegung aus einer ungewohnten geografischen Perspektive. Zwei der Autoren stellen die wichtigsten Forschungsergebnisse am Mittwoch in Bad Tölz vor.

Von Wolfgang Schäl, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Zeitspanne zwischen den Jahren 1919 bis 1923 gilt als ein guterforschtes Kapitel der deutschen Geschichte, sowohl was Gesamtdarstellungen der Weimarer Republik als auch deren lokale Aspekte betrifft. Umso erstaunlicher ist, dass eine Gruppe von Historikern jetzt einen 380 Seiten umfassenden, bei Allitera erschienenen Sammelband mit neun Beiträgen über diese bewegten Jahre zwischen den beiden Weltkriegen herausgegeben haben. Unter dem Titel "Revolution und Reaktion" widmen sich die Herausgeber und Autoren den Anfängen des Nationalsozialismus unter einem besonderen geografischen und kulturellen Blickwinkel: Sie verfolgen die Ereignisse im bayerischen Oberland, mithin in den heutigen Landkreisen Weilheim-Schongau, Bad Tölz-Wolfratshausen, Miesbach und Garmisch-Partenkirchen, damals verwaltet von jeweiligen "Bezirksämtern".

Dass Bayern in der politischen Entwicklung eine besondere Stellung eingenommen hat, ist aus Sicht der Autoren unter anderem auf die geografische Situation zurückzuführen; weder Industrie noch Tourismus seien ausreichend entwickelt gewesen, insbesondere im Tölzer Bereich. Historikerin Susanne Meinl hat in ihrem Aufsatz unter dem Titel "Wege übers Land" die "Entwicklung des frühen NSDAP-Netzwerks von München ins Oberland und das Isartal, 1918-1923" untersucht, eine "Spurensuche mit Lücken", wie sie schon im Untertitel ihres Beitrags einräumt. Meinl belegt anhand von frühen Mitgliederlisten, dass die Gründung und der Aufbau der NSDAP keine nur in den Städten sich vollziehende Entwicklung war, die "Bewegung" habe sich schon übers ganze Land ausgebreitet.

Buchpräsentation und Vortrag: Der im Allitera-Verlag erschienene Sammelband beleuchtet politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen der Jahre 1919 bis 1923 in den vier heutigen Landkreisen des Oberlands.

Der im Allitera-Verlag erschienene Sammelband beleuchtet politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen der Jahre 1919 bis 1923 in den vier heutigen Landkreisen des Oberlands.

(Foto: Allitera-Verlag/oh)

Meinl beschreibt die Situation so: "Angehörige der Eliten des untergegangenen Kaiserreichs, von Revolution und Räterepublik Abgestoßene und Enttäuschte, Nationalisten, Völkische und Antisemiten aller Schattierungen und einfach nur politisch Interessierte reisten nach München, um sich die neue Partei und ihren charismatischen Redner anzuschauen, ihm zuzuhören. Viele traten anschließend in ihren Heimatorten als Meinungsmacher auf."

Als einen der auffälligsten Multiplikatoren, Ideologen und NSDAP-Redner nennt Meinl in ihrem Aufsatz den aus aus der Oberpfalz stammenden Dietrich Eckart. Er war in den Mitgliederlisten der NSDAP nicht aufgeführt, was, wie Meinl vermutet, dessen "vielfach gebrochenem Lebensweg" geschuldet war. Er war Bohemien, Morphinist, Alkoholiker und hatte sich in den letzten Jahren des Kaiserreichs mit einer "arischen" Theaterfassung von Ibsens "Peer Gynt" einen Namen gemacht. Weitere Stücke mit völkischer Tendenz fielen dann durch.

Seine Sommerfrische verbrachte Eckart im Oberland, in Bichl, auch in Tölz und Miesbach hielt er sich Meinls Recherchen zufolge mehrfach auf. Wie Meinl herausgefunden hat, machte Eckart auf halber Strecke regelmäßig Station in Wolfratshausen, wo er Kontakte im Ausflugslokal von Kathi Kobus suchte. Auch der örtliche Bahnmeister der Lokalbahn AG, Anton Pessenbacher, sowie der Wolfratshauser Zeitungsverleger und Buchdruckereibesitzer Georg Schwankl zählten Meinl zufolge zu seinen Freunden. Dass dieser sich gemeinsam mit Eckart politisch betätigte, habe Schwankl drei Jahrzehnte später in einem Spruchkammerverfahren abgestritten.

Detailliert schildert Meinl die Bemühungen um die Verbreitung der rechten Ideologie. "Ende 1922 konnte die Führung der NSDAP mehr als zufrieden auf die Ergebnisse ihrer Agitation im Oberland blicken", so Meinls Resümee. Ortsgruppen und SA-Einheiten bestanden von Bayrischzell bis Murnau und von Sauerlach bis Wolfratshausen. Nun aber habe die Parteileitung die Expansionstaktik geändert, wie einem Polizeibericht aus dem Jahr 1920 zu entnehmen sei. "Die Parteileitung (der NSDAP) hat beschlossen, für die Folge nicht mehr wahllos Versammlungen an allen möglichen Orten abzuhalten, sondern vom gefestigten Hinterlande aus planmäßig die Aufklärung nach Norden und Westen vorzutragen. Der Sympathie und tatkräftigen Unterstützung des bayerischen Oberlandes ist man sich sicher. Das bewiesen die letzten Versammlungen in Tölz, Traunstein usw."

Buchpräsentation und Vortrag: Tölzer Nationalsozialisten im Jahr 1932.

Tölzer Nationalsozialisten im Jahr 1932.

(Foto: privat)

Eingehende Schilderungen widmet der Historiker Dietrich Grund den Bezirksämtern im Oberland, darunter jenen in Tölz und Wolfratshausen. Zum Tölzer Bezirksamt gehörte die Gemeinde Kochel, wo der Bau des Walchenseekraftwerks begonnen hatte und die Arbeiter sich auf die Seite der Kommunisten schlugen. Sie hatten Grunds Forschungen zufolge sogar schon Landhäuser beschlagnahmt und sich mit Waffen versorgt, wurden dann aber beim Versuch, die Räterepublik in Garmisch und Partenkirchen zu etablieren, von der dortigen Volkswehr zurückgeschlagen. Laut Grund starben bei der Auseinandersetzung vier Angreifer.

Was das Bezirksamt Wolfratshausen betrifft, hat sich im November 1918 ein Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat etabliert. Wie der Historiker Grund ausführt, bestimmte dieses Gremium vier Vertreter für den "Bezirksbauernrat", der im Wolfratshauser Humplbräu zusammentrat. 1919 wurde die Räterepublik ausgerufen. Der damalige Regierungspräsident für Oberbayern, Gustav Ritter von Kahr, berichtete damals, in der Stadt seien 18 bewaffnete Spartakisten erschienen und hätten Verhandlungen mit den Arbeiterräten der Marktgemeinde aufgenommen. Es habe in diesem Kontext eine Versammlung zur aktuellen Lage gegeben. Auf eine Zustimmung zur Räterepublik habe man sich aber nicht einigen können. Am 19. April 1919 hätten die Spartakisten die Marktgemeinde endgültig verlassen.

Ulrike Haerendel u.a. (Hg.): Revolution und Reaktion. Die Anfänge der NS-Bewegung im bayerischen Oberland, 400 Seite, 35 Euro, ISBN 978-3-96233-344-8. Am Mittwoch, 29. März, stellen die beiden Mitautoren Susanne Meinl und Michael Holzmann in der Vortragsreihe des Historischen Vereins Bad Tölz die wichtigsten Forschungsergebnisse zu den Anfängen der NS-Bewegung im bayerischen Oberland vor. Beginn im Historischen Sitzungssaal des Tölzer Stadtmuseums ist um 19.30 Uhr, Eintritt frei.

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