Biennale di Stia:Millimeterarbeit für den Zusammenhalt

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Das kleinere der beiden Puzzle-Stücke in der Glut des Schmiedefeuers. (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Der Degerndorfer Metallgestalter Tom Carstens hat die Team-Weltmeisterschaft der Schmiede im italienischen Stia gewonnen. Sein Siegesobjekt sind zwei exakt ineinander passende Puzzleteile.

Interview: Benjamin Engel, Münsing

Das Siegerteam: Florian Upmann (li.), Tom Carstens (2. v. l.), Denni Ludwig und Roland Dirr (re.). (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Die europäische Biennale der Schmiedekunst im toskanischen Stia ist ein Treffpunkt von Handwerkern aus aller Welt. Anlässlich der alle zwei Jahre organisierten Schau treten Schmiede gegeneinander bei Weltmeisterschaften an. Im Team hat heuer erstmals der Degerndorfer Tom Carstens gemeinsam mit Florian Upmann aus Inzell, Denni Ludwig aus dem brandenburgischen Herzberg sowie Roland Dirr aus Ichenhausen den Wettbewerb gewonnen. Das heurige Thema: Connections, Verbindungen. Das Quartett schmiedete zwei exakt ineinander passende Puzzleteile. Dafür hatte das Team drei Stunden Zeit. Im Interview berichtet der 50-jährige Tom Carstens, was ihn immer wieder motiviert, nach Stia zu kommen und warum er beim Wettbewerb vier Liter Wasser trinken muss.

SZ: Herr Carstens, seit 1999 waren Sie insgesamt sechs Mal in Stia. Bei den Weltmeisterschaften sind Sie einmal dritter und zweimal Zweiter im Team geworden. Heuer haben Sie gewonnen. Ist es jetzt Zeit, den Wettbewerb sein zu lassen?

Tom Carstens: Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich wollte ich schon noch einmal wieder kommen. Aber jetzt? Ich werde das kurzfristig entscheiden. Aber heuer gab es die 25. Weltmeisterschaft in Stia und ich bin 50 Jahre alt geworden. Das trifft doch gut zusammen.

Und wie ist das Gefühl, gewonnen zu haben?

Das Puzzle umzusetzen, war von der Arbeit her höchst kompliziert. Wenn im Wettbewerb 16 Schmiedefeuer nebeneinander brennen, bekommst du fast keine Luft mehr. Das ist ein echt heftiger Hochleistungssport. Dass es mit dem Sieg geklappt hat, macht mit ganz schön happy. Wenn bei der Siegerehrung 3000 Leute auf der Piazza einem wie einem großen Konzertmeister applaudieren, ist das irre abgefahren. Das ist der absolute Wahnsinn.

Das Publikum auf der Piazza in Stia. (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Sie haben im Quartett gewonnen. Wer darf denn nun das Siegerobjekt mit nach Hause nehmen?

Die drei im Einzel- und Team-Wettbewerb erstplazierten Arbeiten bleiben alle in Stia. In einer Hall of Fame stehen alle prämierten Arbeiten aus den vergangenen 25 Jahren. Das ist handwerklich sehr interessant und schön gemacht. Die Objekte stehen in einer früheren Spinnerei mit hohen Räumen. Das ist eine besondere Atmosphäre.

"Das ist wie wenn man ein Kind in gute Obhut gibt."

Hätten Sie Ihr Werk nicht lieber bei sich?

Es ist immer wieder sehr schwer, sich zu trennen. Schließlich gibt man ja sein Baby weg. Andererseits bin ich auch sehr happy, dass es in diesem schönen Showroom in Stia bleiben darf. Das ist, wie wenn man ein Kind in gute Obhut gibt. Wir besuchen die Hall of Fame auch immer, wenn wir dort sind. Anfassen darf die Objekte eigentlich niemand. Heuer ist aber ein Ordner auf mich zugekommen, um zu fragen, ob er unsere Skulptur einmal berühren kann. Das war eine ganz liebe Geschichte.

Das fertige Siegesobjekt zum Thema Verbindungen. Das größere der beiden Puzzelstücke ist 37 Zentimeter hoch und 21 Zentimeter breit. (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Mit Ihrem Siegerobjekt scheinen Sie heuer wirklich einen Nerv getroffen zu haben. Wie kam es denn zur Idee, ein Puzzle umzusetzen?

Das Thema Verbindungen für die heurige Weltmeisterschaft war drei Wochen vorher bekannt. Wir haben uns dann schnell verständigt, dass wir das als Puzzle umsetzen wollen. Das haben wir im Team dann immer weiter verfeinert. Unsere Arbeit sollte eine Geschichte erzählen. Schließlich stand die Idee, ein kleines Puzzlestück zu schmieden, das auf ein größeres zuspringt. Das beugt sich ihm freundschaftlich entgegen. Die beiden Teile passen auf den Millimeter genau ineinander. Beide wollen sich wieder miteinander verbinden.

In der Welt scheinen sich derzeit viele Politik- und Gesellschaftssysteme konfrontativ gegenüberzustehen. Das Trennende scheint oft mehr im Fokus als das Einende.

Es war unglaublich zu beobachten, was unser fertiges Objekt alles auslöst. Da gab es ganz viele interessante Gedanken bis zur ganzen Welt, die zusammenstehen sollte.

Tom Carstens (li.) und Roland Dirr hochkonzentriert im Wettbewerb. (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Dafür muss in den drei Stunden des Wettbewerbs aber jeder Handgriff sitzen?

Wir arbeiten ja rein von Hand. Drei Stunden sind nicht sehr viel Zeit. Deswegen sollte jeder Hammerschlag passen. Wer welche Arbeit übernimmt - von den Zuschlägern bis zur Feuerführung - haben wir vor Wettbewerbsbeginn darum ganz genau festgelegt. Es heißt ja immer, hau drauf wie ein Schmied. Wir waren dieses Jahr besonders frech und es heuer ganz bewusst anders gemacht. Wir wollten zeigen, wie filigran sich schmieden lässt. Wir haben auch viel gefeilt und poliert.

Trainieren Sie eigentlich dafür, damit das alles so gut klappt?

Nein. Die schönsten Dinge sind nicht geplant. Die Themen- und Ideenfindung läuft über Whatsapp. Ich suche mir mein Team aus, in dem ich Kollegen anschreibe. Das muss ja auch vom Persönlichkeitstyp zusammenpassen. Das muss auch ohne Training funktionieren. Schließlich wollen wir ja Spontanität zulassen.

Und das funktioniert?

Am Tag des Wettbewerbs setzen wir uns noch einmal zusammen und schauen uns die Entwürfe und Zeichnungen gemeinsam an. Dann besprechen wir unsere Idee noch einmal intensiv. Es heißt ja so schön, dass Gestalten heißt zu entscheiden. Auf das Machen kommt es an.

"Jeder trinkt währenddessen locker vier Liter Wasser."

Sie haben von einem Hochleistungssport gesprochen, von der Gluthitze, die einem während des Wettbewerbs die Luft zum Atmen nimmt. Wie stehen Sie diese drei Stunden überhaupt durch?

Jeder trinkt währenddessen locker vier Liter Wasser. Das musst du auch machen, sonst dehydrierst du.

Warum tun Sie sich die Anstrengung und den Stress immer wieder an?

Das Schöne ist, dass du auf der Biennale Kollegen aus der ganzen Welt triffst, von der Tschechischen Republik bis nach Japan und den Vereinigten Staaten. Das ist die Faszination. Der wirkliche Reiz ist nicht der Wettkampf. Unter den Kollegen hältst du zusammen, setzt dich zusammen und redest miteinander.

Damit hat Tom Carstens im Team 2019 den zweiten Platz gewonnen: das Skizzenbuch zum Thema Leonardo da Vinci mit der Aufschrift "Progetti non rea lizzati" (Unverwirklichte Werke). (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)
Im Objekt ist ein Spiegel eingearbeitet. (Foto: Dieter Rex Stingl/oh)

Das klingt nach Klassentreffen-Atmosphäre.

Wo kriegst du schon so viele verschiedene Nationalitäten und Religiositäten gemeinsam unter einen Hut?. Das ist das Faszinierende bei der Biennale. Du bekommst Einladungen in andere Länder und triffst auf viele junge Menschen, die begeisterungsfähig sind. Mir ist wichtig, viel mit jungen Kollegen zusammenzukommen. Wir haben auch schon viele Anfragen von Handwerkern, die zum Arbeiten zu uns kommen wollen. Ich selbst war als junger Mensch auch viel weltweit unterwegs, habe alte Meister getroffen. Diese Begegnungen haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Das darf man eines Tages auch wieder zurückgeben.

"Ich verzichte lieber auf den Titel als auf einen guten Joke."

Seit 1999 waren Sie sechsmal bei den Weltmeisterschaften in Stia. Würden Sie Ihre Wettbewerbsideen heute anders umsetzen?

Zu seiner Zeit war jedes Stück genau richtig. Das sind Momentaufnahmen. Wir entwickeln uns weiter. Das Wichtigste ist, die Neugierde auf Neues nicht zu verlieren. 2007 war das Weltmeisterschaftsthema Licht und Schatten. Da haben wir die Mondfinsternis geschmiedet. 2009 ging es um Balance. Wir haben eine Weltkugel geschmiedet, deren oberen Hälfte sich bewegt. Die ließ sich drehen. Wenn die Enden aufeinanderschlugen, hat es einen Gongschlag gegeben. Zum Thema "Maskerade" von 2017 haben wir eine Marionette ohne Marionette geschmiedet.

Wie bitte?

Das war ein Marionettenkreuz. Und auf der Stahlbodenplatte gab es Fußspuren von einer Marionette, die wegläuft. Die Inschrift lautete "Bella ciao".

Das Lied der italienischen Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg und Hymne linker Bewegungen.

Damals gab es in Italien viel Aufregung um einen der Prozesse gegen den früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Da ist das womöglich nicht überall so gut angekommen. Unser Wettbewerbsobjekt kam unter die Top fünf, hat aber keinen Preis bekommen. Aber ich verzichte lieber auf einen Titel als auf einen guten Joke.

Die Jurybewertung

Zur Jury zählten Luc van der Castele, Zeevik Gottlieb, Christian Lanbacher und David Swift (Vorsitzender). Laut Tom Carstens habe Swift das Siegesobjekt folgendermaßen bewertet: Dieses Stück ist so simpel, aber so schwer herzustellen. Es hat eine so starke Ausstrahlung, die so viele Interpretationen zulässt, dass es kaum zu greifen ist.

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