Es ist nicht weniger als ein Erdbeben, das die römisch-katholische Kirche derzeit erlebt: Hunderte Opfer und Hunderte Täter von sexuellem Missbrauch sind bislang bundesweit bekannt geworden. Ein weiteres Gutachten im Erzbistum München und Freising mit 42 Fällen von Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger wird derzeit von der Münchner Staatsanwaltschaft untersucht, und die Geschehnisse belasten auch den emeritierten Papst Benedikt XVI. Welche Auswirkungen der Skandal auf den Landkreis hat, wie hier Gläubige mit dem Unrecht umgehen und welche Konsequenzen Kirchenvertreter daraus ziehen, sind Fragen, die intensiv diskutiert werden. Doch nicht alle Pfarrer im Landkreis beziehen bislang offiziell Stellung. Einige sprechen gar von einem "Maulkorb", der ihnen auferlegt sei, andere geben sich schier sprachlos oder verweisen bei Nachfrage auf die Einlassungen der Erzdiözese, die für diesen Donnerstag erwartet werden.
Manche Kirchenvertreter geben sich auskunftsfreudiger. Zwar sind Winfried Leyer, Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung (KAB) in Geretsried, keine Missbrauchsfälle in seinem Umfeld bekannt. Er plädiert jedoch für allgemeine Aufklärung. "Es ist doch offensichtlich, dass Fehlentscheidungen getroffen wurden", sagt er. "Dazu müssen alle stehen. Auch der ehemalige Papst", lautet seine Meinung. Jene, die an Missbräuchen beteiligt waren, müssten auch zu ihren Fehlern stehen: "Eine öffentliche Entschuldigung wäre sinnvoll." Das Verhältnis zur Kirche war aus seiner Sicht früher anders. "Die Menschen haben stark zur Kirche gestanden." Doch das habe sich geändert, nicht zuletzt durch die aufgedeckten Missbrauchsfälle und die Reaktionen der Kirche. "Auf die missbrauchten Menschen muss man zugehen. Da geht kein Weg dran vorbei." Leyer nennt etwa die Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch". "Hier muss man über Wiedergutmachung reden", wünscht sich der KAB-Vorsitzende. "Es gibt Fälle, da kehren die Menschen der Kirche den Rücken zu. Ich habe über die 400 Kirchenaustritte gelesen", sagt er. Die katholische Kirche müsse nun Demut zeigen. "Das kann man von kirchlichen Trägern auch erwarten, dass diese sagen, ,wir haben Fehler gemacht und es tut uns leid'", so Leyer. Zwar glaubt er nicht, dass sich der Missbrauchsskandal negativ auf Einrichtungen wie die KAB auswirken. "Aber wir sind eine Organisation im kirchlichen Umfeld und wir haben Nachwuchsprobleme", sagt er. "Die Zeiten sind vorbei, dass viele Leute einer Organisation oder einem Verein beitreten. Mit kirchennahen Organisationen möchten Menschen dann nichts mehr zutun haben", so Leyer weiter. Jedoch hänge jetzt viel davon ab, wie die Aufklärung verlaufe.
Auch Peter Priller, ehemals Tölzer Kaplan und heute ehrenamtlicher Vorsitzender der dortigen Alt-Katholiken, beobachtet den Skandal mit "Staunen und Trauer". Er verurteilt die Handlungen sowie die mangelnde Aufklärung, mahnt aber gleichzeitig zur Differenzierung. Selber schaue er "nicht mit Schadenfreude oder Häme" auf die Vorgänge seiner ehemaligen Kirche, die ihn im Jahr 1994 aufgrund seiner öffentlich gemachten homosexuellen Beziehung ausschloss. Vielmehr betrauere er den entstandenen Schaden, der nicht nur die Opfer treffe, sondern zu einem Ansehensverlust der gesamten Kirche sowie der "guten Anliegen des Christentums" führe.