Was seine Leidenschaft für das Surfen betrifft, sagt Marcus Kastner, sei er ein "Spätberufener". Zwar ist er schon als Kind immer fasziniert von den Wellenreitern in Kalifornien, Australien oder Hawaii gewesen, die es damals noch äußerst selten im Fernsehen zu sehen gab. Als er das erste Mal selbst auf dem Brett stand, war er aber schon 31 Jahre alt.
Im Urlaub auf Fuerteventura hat er mit seiner Frau Stefanie einen Surfkurs gemacht. "Ich war von der ersten Minute total gepackt", sagt Kastner über die Erfahrung, auf dem Surfbrett durch die Wellen zu gleiten, angetrieben von der Kraft der Natur. Seitdem führt ihn jeder Urlaub nur noch da hin, wo die Brandung stimmt. Sie waren viel in Portugal und in Frankreich am Atlantik, erzählt seine Frau Stefanie. "Ohne Wellen geht's nicht." Auch ihre Kinder, der neunjährige Simon und die sechsjährige Maria, hätten inzwischen ihre Freude am Wellenreiten entdeckt.
Doch die Kastners reisen nicht nur der perfekten Welle hinterher. Jetzt haben sie es wohl geschafft, diese auch bald nach Hause zu holen - als Welle im Loisach-Kanal in Wolfratshausen. Der Stadtrat hat sich gerade mit großer Mehrheit für die Errichtung einer künstlichen Welle unterhalb des Kraftwerks an der Weidachmühle ausgesprochen und das nötige Geld bereitgestellt.
Surfen:Kalifornien, Hawaii, Wolfratshausen
Der Weg für die Welle an der Weidachmühle ist frei: Das Rathaus genehmigt 100 000 Euro. Auf die Initiatoren Stefanie und Marcus Kastner kommt viel Arbeit zu.
Der Wolfratshauser Wasserwirbel hat also gute Chancen, die erste eigens für Surfer geschaffene stehende Flusswelle in Bayern zu werden - finanziert aus Mitteln eines EU-Förderprogramms, der Stadt und aus Spenden.
Marcus und Stefanie Kastner stehen kurz vor der Verwirklichung ihres Traums, nach drei Jahren auf Werbetour, bei der sie viele Unterstützer gewonnen haben. Auf ihrer Facebook-Seite "Surfen in Wolfratshausen" sind zahlreiche Fotos zu sehen, die unter anderem den Kabarettisten Josef Brustmann und die Schauspieler Christian Tramitz und Helmfried von Lüttichau aus der Fernseh-Serie "Hubert und Staller" mit Surfbrett zeigen.
Sie erklären das Projekt auf ihrer Internetseite surfing-wolfratshausen.de. Die jungen Menschen an der Loisach, die auf inszenierten Fotos zu sehen sind, werden wohl bald zum wirklichen Stadtbild gehören.
"Das ist natürlich der Hammer", sagt Marcus Kastner. "Ich hätte nie gedacht, dass es so schnell so weit geht." Die Idee für die Welle hatte er schon kurz nachdem er mit seiner Familie 2010 zurück in seine Geburtsstadt Wolfratshausen gezogen war. Dass man zum Surfen nicht unbedingt einen Strand braucht, wusste er: In München ging er erst an der Floßlände in Thalkirchen surfen, und später auch auf der reißenden Eisbachwelle mit ihrem schmalen Wendekreis.
Dort entdeckte der heute 46-Jährige seine Leidenschaft für das so genannte "Riversurfing" - und schulte seinen Blick für gute Surf-Spots. In Wolfratshausen wurde ihm bei Fahren über die Weidacher Brücke schnell klar, dass dort, wo der Kanal auf einer natürlichen Rampe in den Fluss mündet, perfekte Bedingungen herrschen. "Vor der Einmündung in die Loisach gibt es ein Gefälle", sagt Kastner. "Das ist ideal."
Seine Frau hat das oft gehört. "Irgendwann hab ich gesagt: Jetzt erzählen wir es einfach der Stadt", sagt Stefanie Kastner. Bürgermeister und Stadtrat waren begeistert von dem Projekt und beschlossen, dass es unbedingt weiterverfolgt werden sollte. Noch im November 2013 war das Ehepaar Kastner auf dem ersten Flusswellenforum in München. Dort lernten sie Initiatoren ähnlicher Projekte aus Deutschland und Österreich kennen - und den gebürtigen Beuerberger Markus Aufleger.
Der Professor für Wasserbau an der Universität Innsbruck fertigte ein Machbarkeitsstudie für die Wolfratshauser Surfwelle an und entwickelte auch die technischen Pläne: Mit einer Stahlkonstruktion soll eine bis zu acht Meter breite Welle erzeugt werden, die steuerbar und so für Anfänger und Fortgeschrittene geeignet ist. Die Kosten werden auf insgesamt 320 000 Euro beziffert. Die Hälfte davon soll aus EU-Fördermitteln kommen, 100 000 Euro übernimmt die Stadt, und die restlichen 60 000 Euro wollen die Initiatoren aus Spenden und Crowdfunding akquirieren.
Das größte Problem aber war lange das Wasser. Denn um die Welle zu speisen, muss der Kraftwerkbetreiber den Fluss von seinen Turbinen wegleiten, womit wertvolle Wasserkraft verloren geht. Nach vielen Gesprächen haben sich die Initiatoren im Sommer mit der Betreibergesellschaft auf eine Lösung geeinigt: Pro Betriebsstunde der Welle soll nun ein Ausgleich von zehn Euro gezahlt werden. "Das war der letzte große Meilenstein", sagt Stefanie Kastner. Die Welle zu Hause ist praktisch zum Greifen nah - auch wenn die beiden noch viel Arbeit vor sich haben.
Zuerst wollen sie einen gemeinnützigen Verein gründen und im Vorstand die Aufgaben verteilen. Schließlich müssen noch viele offene Fragen beantwortet werden, etwa zu Parkplätzen, Toiletten - und zur Haftung. Die Rechtslage soll ein juristisches Gutachten klären. Gleichzeitig wollen Marcus und Stefanie Kastner Spender und Sponsoren gewinnen. Dafür hoffen sie auf den Aufwind, den das Fluss-Surfen derzeit überall im Land genießt. Stefanie Kastner sagt: "Riversurfing ist cool, jung, dynamisch und lässt sich gut vermarkten."
Die Resonanz ist mit dem Stadtratsbeschluss noch gestiegen, sagt Marcus Kastner. Es gebe eine Anfrage eines Münchner Gastronomen, sagt Marcus Kastner. Er selbst sähe es lieber, wenn der benachbarte Gasthof "Grüner Baum" einen guten, neuen Pächter bekommt. "Wir wollen das regional aufziehen." Denkbar sei auch ein Verleih, der Bretter, Neoprenanzüge und Surfkurse anbietet.
Er und seine Frau wollen das aber nicht übernehmen. Nicht nur, weil sie kaum Zeit hätten - er ist Tonassistent beim Film und sie arbeitet für ein Start-Up-Unternehmen, das in München Wasserstoffautos verleiht. "Wir wollen uns an der Welle nicht bereichern", erklärt Marcus Kastner. Es gehe darum, seiner Heimatstadt etwas Gutes zu tun: "Wenn die Welle kommt, wird sie Wolfratshausen nach vorne bringen - als einzigartige Attraktion fürs ganze Oberland." Keine stromfressende Indoor-Welle, wie es sie bei München in einer Halle geben soll. "Surfer", sagt Kastner, "wollen ihren Sport in der Natur ausüben."