Junge Politik in Geretsried:"Man muss da schon reinwollen"

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Die beiden Youngsters im Geretsrieder Stadtrat, Felix Leipold und Peter Curtius, erzählen im SZ-Gespräch, wie sie den üblichen Politik-Stil erleben und wie sie sich für junge Leute einsetzen wollen

Von Felicitas Amler

Der eine ist 21 Jahre alt, der andere 23: Felix Leipold (Freie Wähler) und Peter Curtius (Grüne) sind die Jüngsten im neuen Geretsrieder Stadtrat. Wie erleben sie die politische Arbeit, was wollen sie anders machen, was erwarten sie von der Stadt? Die SZ hat die beiden befragt.

SZ: Herr Leipold, Herr Curtius, Sie waren beide Mitglieder des ersten Jugendrats der Stadt Geretsried. Der tagte stets unter Aufsicht von Erwachsenen - der Jugendreferentin des Stadtrats und der Stadtjugendpflegerin. Jetzt sind Sie beide Stadträte - fühlen Sie sich emanzipiert?

Felix Leipold: Jugendrat war eine super Erfahrung, aber jetzt trägt man natürlich viel mehr Verantwortung.

Peter Curtius: Es war schon ein relativ großer Schritt zum Stadtrat hin. Der Jugendrat hatte viel pädagogische Ansätze. In der konstituierenden Sitzung hat man gesehen, es weht ein anderer Wind. Aber ich bin auch stolz, Teil des Stadtrats zu sein.

Wie haben Sie die konstituierende Sitzung erlebt? War es eine bereichernde neue Erfahrung oder eher ein mühseliges Geschacher um Posten?

Curtius: Es werden ja vorher Gespräche unter den Fraktionen geführt, da ist schon einiges geklärt. Aber für uns beide, ganz jung, frisch dabei, in der letzten Reihe - es war schon aufregend.

Leipold: Es war unterhaltsam, würde ich sagen. Man hat gemerkt, dass es doch darum ging, seine Fraktion so gut wie möglich dastehen zu lassen. Ich kannte den Stadtrat nur aus den ein, zwei Sitzungen, die ich als Jugendrat besucht habe, oder vom Weihnachtsessen und der Gartensoiree. Aber da herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Dann ging's rund, als Sonja Frank zur Zweiten Bürgermeisterin gewählt und Hans Hopfner damit abgewählt war. Da war die Stimmung bei manchen am Tiefpunkt. Wir saßen in der letzten Reihe und haben uns gefragt, was geht denn jetzt ab?

Aber Sie wussten, dass Hopfner nicht mehr zum Zweiten Bürgermeister gewählt würde. Es hat ja offenbar eine Absprache zwischen CSU und Freien Wählern gegeben.

Leipold: Ich sag's mal so, dass wir damit gerechnet haben. Aber man weiß natürlich nie. Ich war nervös, als ausgezählt wurde.

Herr Curtius, Sie haben als Jugendreferent kandidiert, Ihre Fraktion hatte Sie vorgeschlagen. Warum haben Sie das abgelehnt?

Curtius: Es war ein Missverständnis. Ich wollte das gar nicht. Wir hatten vorher besprochen, dass Felix das macht. Da haben leider in der Fraktionssitzung nicht alle aufgepasst. Das war dann schon blöd. Wir waren gerade frisch vereidigt. Und der Bürgermeister hat das natürlich schnell durchgetaktet. Dann wurde ich vorgeschlagen, und ich wurde nicht einmal gefragt, ob ich es machen möchte, und ich habe nicht schnell genug geschaltet. Ich habe dem Felix die Stimme gegeben.

Warum wollten Sie, dass er es wird?

Curtius: Weil er sehr in der Jugendszene drin ist, auch mit dem "Saftladen" und dem "Ein-Stein". Es hat uns beide sehr überrascht, dass ich vorgeschlagen wurde.

Leipold: Das war der Moment der Sitzung, den ich im Nachhinein gern ausblende. Es war für mich ganz schlimm. Wir arbeiten ja zusammen.

Bei der Konstituierung geht es viel um Parteienproporz. Hat Sie das abgeschreckt?

Curtius: Mich hat das genervt. Fraktionsübergreifend. Und was ich ganz schlimm fand, wenn jemand vorgeschlagen war, hat ein Parteifreund eine Laudatio gehalten, wie der geeignet ist. Das fand ich überzogen.

Welches Feedback bekommen Sie als junge Kollegen von anderen Stadträten?

Curtius: Ich glaube, viele denken, dass wir neu sind und nicht wissen, wie wir die Sache angehen sollen. Es gibt ja einen großen Altersunterschied.

Es gab in Geretsried noch nie so junge Stadträte.

Curtius: Nein. Es waren alle sehr nett und hilfsbereit. Aber man muss schon zeigen, dass man was liefert und nicht nur der Junge ist, der alles abnickt. So sehe ich mich nicht.

Es heißt, Parteipolitik verharre zu sehr in alten Mustern. Dies sei für junge Leute nicht attraktiv. Erleben Sie das auch so?

Curtius: Ich kann nachvollziehen, dass viele junge Leute darauf keine Lust haben. Das ist das ganz politische Drumherum. Es wird einem nicht sonderlich schmackhaft gemacht. Man muss da schon reinwollen.

Was könnte eine Partei anders machen?

Curtius: Was bei den Grünen und auch bei den Freien Wählern gut geklappt hat: dass man jungen Leuten eine Möglichkeit gibt, vorne zu kandidieren. Dass man ihnen das Vertrauen gibt. Und die Jugendorganisationen fördert. Die Grüne Jugend wurde 2015 gegründet. Wenn man schaut, wer da dabei ist und wer jetzt im Landkreis Mandate hat, das ist schon eine hohe Schnittmenge.

Sie sind jetzt Mitglieder einer politischen Gruppierung oder Partei. Schränkt das die Freiheit, Ideen zu entwickeln, ein oder befruchtet es Ihre Gedanken?

Curtius: Ich fühle mich nicht eingeschränkt. Man kann immer Vorschläge einbringen, die werden diskutiert. Ich kann mich frei entfalten.

Leipold: Die Freien Wähler sind sehr aufgeschlossen für neue Ideen. Bei uns herrscht auch kein Fraktionszwang.

Sie haben noch keinen erlebt.

Leipold: Es gibt auch keinen. Ich habe gesagt, ich gehe dahin, weil ich frei sein möchte in meinen Entscheidungen. Damit haben die Freien Wähler ja auch geworben.

Welche Erfahrungen aus dem Jugendrat wollen Sie in den Stadtrat einbringen?

Leipold: Ich habe die Erfahrung mitgenommen, dass Sachen nicht von heute auf morgen passieren.

Curtius: Das stimmt, ja.

Leipold: Ich habe das gesehen mit dieser Busverbindung nach Bad Tölz. Das hat am Ende eineinhalb Jahre gedauert. Also, man kann nicht sagen, ich bringe einen Vorschlag, und morgen ist der durch.

Ist das vielleicht etwas, was junge Leute abschreckt, in die Politik zu gehen?

Leipold: Ich denke schon. Obwohl ich gemerkt habe, dadurch dass Peter und ich kandidiert haben, wurde in meinem Freundes- und Bekanntenkreis so viel wie nie über Politik gesprochen. Leute, von denen ich dachte, sie würden nie wählen, sind zum Wählen gegangen.

Wie kommt das?

Leipold: Wenn man erzählt, was passiert, und sagt, kommt doch mal vorbei, merken die Leute, dass es doch spannend ist. Bei dieser Kommunalwahl haben zum Stadtrat vier junge Leute kandidiert. Wenn sich die Zahl bis zur nächsten Kommunalwahl verdoppelt, bin ich eigentlich glücklich.

Wo trifft sich Ihre Altersgruppe in der Stadt? Gibt es einen Szenetreff, ein In-Lokal - oder fehlt genau das?

Curtius: Ja, genau so was fehlt. Leider. Man trifft sich in Vereinsheimen oder sehr viel privat. Viele haben ab 18, 19 oder 20 eine eigene Wohnung, dann geht man lieber dahin. Du hast keinen Ort, wo du dich cool in der Kneipe triffst.

Leipold: Das L'Arena ist gerade sehr im Kommen. Man kann dort stundenlang sitzen, es fahren oder gehen Leute vorbei, die dann auch dazukommen. Das ist ja eigentlich das, was man am Karl-Lederer-Platz möchte.

Haben Sie Hoffnung, dass das am Karl-Lederer-Platz noch was wird?

Curtius: Na ja, die Hoffnung ... Ich will da niemandem zu nahe treten. Es ist wohl am Karl-Lederer-Platz nicht ganz so ausgegangen, wie sich das alle vorgestellt haben. Warum gibt es dort keinen schönen Biergarten? Es ist aber auch noch nicht fertig.

Leipold: Wo man sich Gastronomie vorgestellt hat, sind Edeka und Aldi.

Curtius: Das ist jetzt nicht das Highlight.

Leipold: Es wurde damit begründet, dass man die Frequenz in die Stadt holen möchte. Andere Städte lagern das extra ins Gewerbegebiet aus, um den Verkehr aus der Stadt rauszuholen. Und wir holen uns das wieder rein. Und mit diesen zahlreichen Einbahnstraßen - momentan ist die Verkehrsführung etwas gewöhnungsbedürftig, wenn nicht sogar anstrengend.

Ein Lokal, in dem junge Leute ohne großen Konsum sitzen können und Gleichaltrige treffen - "das ist ja eigentlich das, was man am Karl-Lederer-Platz möchte", sagt Felix Leipold. (Foto: Hartmut Pöstges)

Curtius: Jetzt warten wir erst mal ab, wie es sich entwickelt. Und das Café Waldmann ist ja auch noch da.

Leipold: Das ist noch so ein Hotspot.

Ist Ihnen bewusst, dass Sie nur die Hälfte der Twens repräsentieren? Wie steht es mit den Erwartungen, Wünschen und Ansprüchen junger Frauen an die Stadt?

Leipold: Ich verstehe nicht ...

Sie sind zwei Männer.

Curtius: (lacht) Du bist leider keine Frau, wollte sie sagen.

Machen Sie sich Gedanken darüber, ob Frauen andere Erwartungen haben?

Leipold: Ich weiß es nicht. Ich würde es nicht pauschalisieren. Es sind durchaus auch junge Frauen in der Kommunalpolitik, Teresa Wimmer ist jetzt für die Grünen im Kreistag.

Curtius: Ich glaube, es ging mehr darum, ob wir das auch repräsentieren. Ich glaube schon, dass ein Großteil der Interessen ähnlich ist, was Busse angeht oder die Digitalisierung. Es ist zu mir noch niemand gekommen und hatte ein Projekt nur auf Frauen bezogen. Was schon gewünscht wird und leider nicht der Fall ist, dass mehr Frauen in der Politik dabei sind.

Nach Ihnen die Jüngste auf der Grünen-Stadtratsliste war Stephanie Kern, 37.

Curtius: Sie hat es ja leider nicht reingeschafft. Wir müssen auch so ehrlich sein zu sagen, wir können die Sicht der Frauen nicht zu hundert Prozent gewährleisten.

Leipold: Mir ist es egal, ob eine Frau zu mir kommt mit einer Anregung oder ein Mann. Natürlich kann ich mich nicht in Frauen hineinversetzen. Aber ich kann so gut, wie's geht, versuchen, deren Ansichten zu repräsentieren.

Was ist die erste Idee, die Sie gern einbringen möchten in den Stadtrat?

Curtius: Es wurde jetzt ja sehr gemahnt wegen der wirtschaftlichen Lage. Also, ich würde mit den einfachen Sachen anfangen. Die App, der Dirtpark und die Medienwände wären einigermaßen preiswert. Was heißt preiswert, vielleicht ein paar Tausend Euro. Aber wir wollen jetzt nicht noch ein Schwimmbad, so meine ich das.

Leipold: Ich würde unser Eckpunktepapier in die Fraktion einbringen und fragen, was davon kann man priorisieren und wofür kann man auch im Stadtrat eine Mehrheit gewinnen?

Die Mehrheiten scheinen absehbar. Es hat ja offenbar zur konstituierenden Sitzung eine Absprache CSU und Freie Wähler gegeben. Also wird es auch eine Zusammenarbeit CSU und Freie Wähler geben.

Leipold: Es wurde offen kommuniziert, dass man eine Mehrheit suchen möchte. Diese wurde gefunden. Demokratie lebt von Mehrheiten. Aber diese Mehrheit soll und wird sich nicht auf diese sechs Jahre auswirken. Ich bin da, um meinem Zusagen treu zu bleiben und nach dem besten Gewissen für die Stadt zu entscheiden.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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