Interview:"Wir sind für alle kranken Menschen da"

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Der Münsinger Arzt Jörg Lohse hat eine Infektambulanz eröffnet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Unter der Führung von Jörg Lohse aus Münsing hat ein Ärzteteam in Wolfratshausen eine Anlaufstelle für Patienten mit Covid-Symptomen eröffnet - und will so mehr Sicherheitsgefühl vermitteln.

Von Felix Haselsteiner, Wolfratshausen

Seit Montagvormittag sind die Räumlichkeiten des alten Wolfratshauser Krankenhaustrakts an der Gebhartstraße wieder im Einsatz: Ein Ärzteteam hat sich dort niedergelassen und eine Infektionsambulanz aufgemacht, wo sich Patienten mit Covid-19-Verdacht untersuchen lassen können. Jörg Lohse, der seine Praxis normalerweise in Münsing hat, ist Initiator des Projekts und berichtet vom ersten Tag.

SZ: Herr Lohse, was genau ist denn eigentlich eine Infektionspraxis?

Jörg Lohse: Während der ersten Covid-Welle im Frühjahr hatten wir das Glück, dass parallel die Grippewelle abgeklungen ist. Jetzt haben wir festgestellt, dass viele Patienten mit der klassischen Schniefnase zu uns kommen. Um den Patienten, die wegen anderen Beschweren wie Rückenschmerzen zu uns kommen, allerdings ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln, haben wir gesagt: Wir trennen die Infektpatienten und behandeln sie in anderen Räumlichkeiten.

Soll das denn auch die Kliniken entlasten, wenn Patienten erst zu Ihnen zur Untersuchung kommen?

Das dürfte hoffentlich ein Nebeneffekt sein. Vorrangig ging es mir darum, die Infektpatienten gesondert, aber unbedingt adäquat und angemessen zu behandeln. Als ärztlicher Koordinator im Landkreis war mir wichtig, Strukturen zu schaffen, von denen alle profitieren können.

Sie arbeiten mit Kollegen aus dem Landkreis zusammen. Wie funktioniert so ein Zusammenschluss?

Wir sind vier Praxen, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Das heißt, wir müssen uns personelle Unterstützung, zum Beispiel am Empfang, organisieren und das alles in Eigenregie aufbauen. Wir haben aber einen Landkreis, der uns dabei von Amtsseite unterstützt - die Räumlichkeiten etwa stehen uns zeitlich unlimitiert zur Verfügung.

Wie war der erste Tag?

Es war gleich sehr viel los. Und wir hatten einen repräsentativen Fall dabei, wenn es um Klinikbehandlung geht: Eine Patientin ist aus der Notaufnahme zu uns geschickt worden - sie hat Hilfe gebraucht, aber keine stationäre Behandlung in einem Krankenhausbett. Diese Querverbindung zwischen Klinik und Praxis hat also gleich funktioniert.

Was haben Sie als Ärzte denn aus der ersten Welle gelernt, wie gehen Sie mit der Pandemie um?

Zum einen haben wir gelernt, dass wir realistischer auf Covid blicken können: Es ist eine gefährliche Erkrankung, die ein hohes Schadpotenzial für einige Personengruppen hat - aber nicht für jeden. Zudem sind wir besser gerüstet, haben bessere Schutzmaterialien und können in der Infektambulanz die Patienten und uns selbst besser schützen.

Wie zum Beispiel?

Wir haben in der Ambulanz alles so ausgerichtet, dass es eine Kontaktzeit von maximal 15 Minuten gibt. Im Frühjahr hatte ich ein volles Wartezimmer, jetzt haben wir es mit einer exakten Terminplanung und Ausweich-Warteräumen organisiert. Das Sicherheitsgefühl für die Patienten ist mir sehr wichtig. Während der ersten Welle habe ich bei vielen eine übertriebene Angst festgestellt, weil sie sich unwohl gefühlt haben. Da ist jetzt angenehmerweise auch mehr Pragmatismus spürbar.

Wie sieht denn das Vorgehen in der Infektambulanz grundsätzlich aus?

Der Patient kommt nach Voranmeldung zu einer festen Zeit, dann wird ihm oder ihr gleich am Anfang die Temperatur gemessen und die Sauerstoffsättigung festgestellt, um einen ersten objektiven Eindruck zu bekommen. Dann gibt er auf einem Zettel Angaben zu seiner Symptomatik und zu möglichen Vorerkrankungen ab. Der Arzt untersucht dann sehr konkret anhand dieser Angaben. Ein Schwerpunkt wird auf Lunge, Rachen und Hals gelegt.

Und wie stark achten Sie auf die "klassischen" Covid-Symptome?

Circa ein Drittel der Patienten gestern hatte Geruchs- und Geschmacksstörungen, was recht typisch ist. Aber es gibt auch Fälle wie einen Patienten mit Atemnot, der allerdings Herzrhythmusstörungen hatte - und kein Covid.

Das heißt, so jemanden müssen Sie gar nicht testen?

Bei den meisten Patienten mache ich zur Sicherheit schon Abstriche, weil ich es wichtig finde, dass wir den Kranken auch Tests ermöglichen - wenn wir schon Millionen von Tests etwa für gesunde Urlaubsrückkehrer verwenden. Bei Temperaturerhöhung, Geruchs- und Geschmacksstörungen allerdings rate ich auch ausdrücklich dazu.

Das Robert-Koch-Institut möchte nun auch gezielter testen. Das klingt bei Ihnen ähnlich?

Es geht in die Richtung, dass man eben auch Spielräume fürs Nicht-Testen hat, man also von Fall zu Fall entscheiden kann. Jedoch spielen in der RKI-Richtlinie Antigen-Tests noch keine wichtige Rolle.

Mit denen kann man Infektionen schneller feststellen.

Genau. Und die können in manchen Fällen sehr hilfreich sein: Eine Patientin zum Beispiel pflegt zu Hause ihre alte Mutter, hatte Infektzeichen und Angst, sie anzustecken. Da ist eine unmittelbare Reaktion nötig. Im Schnelltest haben wir dann eine Covid-Infektion festgestellt - damit war klar, dass sie ihre Mutter ab sofort nicht mehr pflegen kann. Allerdings werden diese Tests nicht von der Krankenkasse bezahlt.

Wenn Sie dann eine Infektion festgestellt haben: Wie behandeln Sie die?

Bei Covid entscheidet sich in der Regel nach sieben bis zehn Tagen die Schwere des Verlaufs. Darüber kläre ich positiv getestete Patienten auf und ermutige sie, mich bei Anzeichen für starke Beschweren in diesem Zeitraum direkt zu kontaktieren. In manchen Fällen behandele ich auch mit Antibiotika oder Cortison, um zusätzliche bakterielle Erkrankungen zu bekämpfen und Atembeschwerden zu lindern, aber das ist sehr individuell.

Trotzdem sind viele Leute weiterhin verängstigt.

Das hängt meiner Meinung nach unter anderem mit vielen Ärzten zusammen, die in ihren Praxen auch unterschwellig die Botschaft verbreiten: Wer krank ist, soll bitte nicht kommen, denn man könnte sich ja einen Virus einschleppen. Da wollen wir genau das gegenteilige Zeichen setzen: Wir sind für alle kranken Menschen da.

© SZ vom 11.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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