Waldverjüngung:Grüne Inventur

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Grünes Auffangnetz: Unter den Fichten-Altbeständen wächst bereits der neue junge Wald heran. (Foto: Hartmut Pöstges)

Beim forstlichen Gutachten werden die Wälder alle drei Jahre auf Wildverbiss untersucht. Es soll zeigen, wo zukunftsfähiges Holz aufkommt und wo der Rehbestand weiter dezimiert werden muss. Besuch in Holzhausen, wo mit Erfolg "waldorientiert" gejagt wird.

Von Veronika Ellecosta, Münsing

In den Wäldern bei Holzhausen hat eine kleine Tanne jüngst die Zähne des Rehs zu spüren bekommen. Der Verbiss beim Endtrieb ist noch frisch, wie der Revierförster von Münsing, Sebastian Schlenz erklärt. Da steht sie also zwischen den Mooskissen und Fichtenstämmen, einen halben Meter groß, und nur die Knospe an der Spitze fehlt. Wobei das Reh streng genommen am Oberkiefer keine Zähne hat, und die schmackhaften Triebe deshalb wohl eher abrupft als verbeißt. Aber so heißt das nun mal in der Jägersprache.

Ob beißen, knabbern oder rupfen, die Verbissschäden können für junge Tannen weitreichend sein. Kleine Keimlinge kann das Reh quasi im Vorbeigehen zerstören. Bei den größeren Tannen verlangsamt der Verbiss das Wachstum und das Austreiben. Bis die Tanne wieder aufgeholt hat, wächst ihr ein anderer Baum über den Kopf, den das Reh weniger gerne anknabbert: ausgerechnet die Fichte.

Der Verbiss an dieser jungen tanne ist noch frisch. (Foto: Hartmut Pöstges)

Dass sich der Mischwald ohne wesentliche Schutzmaßnahmen verjüngen kann, ist der gesetzliche Anspruch der Jagd. Dafür muss der Rehbestand reguliert werden. Mit dem forstlichen Gutachten liefern die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten den Jagdgenossenschaften und Jägern eine Grundlage, wie viele Rehe in jedem Revier erlegt werden müssen, um den Verbiss für dieses Ziel einzudämmen. Die Gutachten werden jeweils für eine Hegegemeinschaft erstellt, einem Zusammenschluss aus etwa zehn bis fünfzehn Jagdrevieren. Zwischen 30 bis 40 Stichproben werden dafür auf dieser Fläche in diesem Frühjahr aufgenommen, daraus die Anzahl der Pflanzen ermittelt, die Mehrung des Neubestandes, die Baumarten und die Verhältnisse zueinander. Alle drei Jahre wird nach diesem Prinzip der Wald vermessen, seit 1986 sind die Kriterien dieselben.

Förster Schlenz reißt eine der kleinsten Tannen aus, eine von jenen, die ohnehin zu dicht zusammenstehen, und erklärt: Die Fichte ist ein Flachwurzler, die Tanne wurzelt tief in die Erde hinein. So kommt sie in Trockenperioden in tiefere Wasserspeicher, und auch Stürmen kann sie besser trotzen. "Die Fichte können Sie vergessen, bei Sturm und Käfer ist sie einfach nicht fit", sagt Michael Menzinger, dem der Wald bei Holzhausen gehört. Wie einfach Sturm, Hitze und Käfer den Fichten-Altbestand zerstören, lasse sich aktuell im Frankenwald beobachten, in Süd- und in Osttirol. Ganze Waldstriche dort gleichen heute nur noch Stoppelfeldern.

Schlenz klopft noch ein bisschen Erde von der kleinen Beispieltanne. "Ich sag' immer, die beste Sorge ist die Vorsorge." Denn wenn die Fichten-Altbestände weichen, muss ein junger, stabiler Nachwuchs in den Startlöchern stehen. Oder so: Ein Auffangnetz für den Wald, sobald die alten Bäume fallen. Dieser junge Wald wächst gerade um Schlenz herum in die Höhe, es sind Tannen, Buchen mit Laub vom vorigen Herbst, Eichen, ein paar Fichten, sogar einen Walnussbaum hat Schlenz entdeckt. Von Mischwald und mehr Biodiversität profitieren am Ende auch die Rehe. "Eine Win-Win-Win-Situation", wie Schlenz das nennt.

Sebstian Schlenz zeigt, warum "alle gerade um die Tanne herumreden": Im Gegensatz zur Fichte (rechts) ist sie ein Tiefwurzler, kann also Wasser in tieferen Lagen erreichen und ist fest im Boden verankert. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bei vielen Jägern aber ist die gängige Praxis der Abschussplan-Ermittlung seit langem umstritten. Der Bayerische Jagdverband (BJV), der circa 50 000 von ihnen vertritt, hat gerade erst seine Forderung nach einer kompletten Überarbeitung und Neugestaltung des forstlichen Gutachtens bekräftigt. "Nach Ansicht des Verbandes ist es in der bestehenden Form als alleinige Grundlage für die Erstellung einer Abschussplanung ungeeignet und kann somit keine jagdliche Relevanz haben", heißt es in einer Mitteilung des BJV. "Nötig wäre stattdessen eine konstruktive Zusammenarbeit der jeweiligen Revierpächter mit Waldbauern und Förstern im Dialogverfahren." So müssten auch waldbauliche Faktoren wie Licht, Aufwuchsdichte und bereits gesicherte Verjüngung in die Begutachtung einfließen, ebenso wie die jeweiligen Lebensräume, Äsungsangebote und Störungen beim Wild.

Damit die junge Generation Mischwald aufkommt, muss entweder sorgfältig gepflanzt, umzäunt und beschützt werden. Aber das ist kostspielig und birgt etwa das Risiko, dass die lange Tannenwurzel bei der Pflanzung deformiert wird und schief wächst. Schlenz ist deshalb ein Vertreter der natürlichen Verjüngung, bei der die Bäume von selbst aufkommen, wie hier im Wald von Michael Menzinger. Menzinger, der auch Jagdvorstand in Holzhausen ist, deutet in den Wald, seinen Wald. "Hier wurde kein Baum gepflanzt, alles ist natürlich aufgekommen", sagt er. Die jungen Tannen sind alles Sämlinge eines etwa 150 Jahre alten Baumes in etwa 20 Meter Entfernung. "Diese Pflanzen, die hier immer schon vorgekommen sind, wissen am besten, wie sie hier wachsen." Bewundernd umfasst Sebastian Schlenz die riesige Alttanne. Umarmen lässt sie sich nicht.

"Wald ohne Wild kann niemand wollen"

Der von den Staatsforsten ausgerufene Grundsatz "Wald vor Wild" ist in vielen Wäldern Bayerns Gesetz, besonders die Bejagung von Rehen soll eine natürliche Verjüngung unterstützen. Schlenz erklärt das mit der Abwägung von Interessen: Die Belange des Ökosystems Wald als Lebensraum werden höher gewertet als die Belange einzelner Rehe. "Selbstverständlich, ohne diese auszuschließen. Wald ohne Wild kann niemand wollen", fügt er noch hinzu.

In dieser Philosophie hätten auch Jäger keinen Platz, die Rehböcke mit stattlichen Geweihen bevorzugen, sagt Michael Menzinger. Der Jäger soll stattdessen ein Dienstleister für die Waldbesitzer sein, so sieht er das. Die Trophäenjagd sei aus der Zeit gefallen, findet er. Die moderne Jagd müsse das Gleichgewicht im Ökosystem Wald herstellen, darin liege ihre Verantwortung.

Ohnehin ist der Wald hier eine Kulturlandschaft, wo der Mensch immer schon gezielt abgeholzt und nachgepflanzt und diesem Ökosystem seine Geschichte eingeschrieben hat. Das Alter der Fichten-Monokultur bei Holzhausen schätzt Schlenz auf etwa 70 Jahre: In der Nachkriegszeit benötigte man schnell wachsenden Rohstoff für den Wiederaufbau. Zudem fehlten hierzulande Beutegreifer, um den Rehbestand zu regulieren. Das Revier bei Holzhausen sieht Menzinger als gelungenes Beispiel für das Zusammenspiel von jungem Mischwald und Bejagung: Seit etwa zehn Jahren werde hier mehr gejagt, seitdem wachsen die Tannen, erzählt er. Vor etwa 15 Jahren habe es sie hier gar nicht gegeben.

Waldbesitzer Michael Menzinger sieht im Jagen eine "Dienstleistung für den Waldbesitzer". (Foto: Sebastian Schlenz/oh)

Auch das vergangene Vegetationsgutachten kam bei der Hegegemeinschaft Eurasburg, wo auch Menzingers Wald bei Holzhausen liegt, zu einem erfreulichen Ergebnis, wie Menzinger erzählt: Buche, Tanne und Eiche nehmen hier zu, die Fichte verliert an Terrain. Michael Menzinger sagt: Das sei vor allem dem Abschuss zu verdanken. Im Revier Holzhausen lautet der Status der Abbisse - im forstlichen Gutachten heißt es "Verbissbelastung" - heute "tragbar". Frühere Wertungen waren deutlich schlechter. Die Jäger haben den Verbiss in Holzhausen eindämmen können, auch wenn die Bejagung im Wald bei abnehmender Rehdichte schwieriger wird. Für die kleinen Tannen im Moos sind das vielversprechende Aussichten.

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