Hilfe für Bedürftige:Heidemarie Ritter bittet zur Tafel

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Die neue Vorsitzende der Einrichtung, die Menschen mit zu geringem Einkommen mit Lebensmitteln versorgt, ermuntert vor allem Ältere, ohne Scheu zu kommen.

Von Felicitas Amler, Geretsried/Wolfratshausen

Heidemarie Ritter weiß, dass es für viele - insbesondere ältere - Menschen ein großer Schritt ist, zur Tafel zu gehen, um sich dort mit Lebensmitteln versorgen zu lassen. Die Scham, die manche da begleite, sei spürbar, sagt die neue Vorsitzende der Tafel Geretsried-Wolfratshausen. Sie würde gern mehr Rentnerinnen und Rentner, die auf diese Hilfe eigentlich angewiesen wären, dazu ermuntern, sie auch anzunehmen. "Die Kunden, die zu uns kommen, brauchen die Unterstützung", sagt sie. Daran gibt es aus ihrer Sicht nichts zu rütteln. "Das ist meine Grundhaltung: Dass man die Menschen annimmt, wie sie sind."

Um die 700 Menschen sind es, die regelmäßig an einer der beiden Tafel-Ausgabestellen - im Jugendhaus La Vida in Wolfratshausen und an der Jeschkenstraße in Geretsried - Lebensmittel holen. Sie sind Hartz-IV- oder Sozialhilfe-Empfänger, Senioren mit einer zu kleinen Rente, Flüchtlinge oder Alleinerziehende, die mit ihrem bisschen Geld nicht rumkommen. Bei der Tafel erhalten sie, wenn sie die Bedürftigkeit nachweisen, einen Berechtigungsausweis. Voraussetzung, so steht es auf der Internet-Seite der Einrichtung: "Empfänger von kostenlosen Lebensmitteln der Tafel dürfen ein Einkommen von nicht mehr als 950 Euro (erste Person) im Monat haben. Für die zweite Person im gleichen Haushalt werden 600 Euro hinzugerechnet, für jede weitere Person nochmals je 300 Euro."

Dass es in einem so reichen Land wie Deutschland für so viele Menschen ohne die ehrenamtliche Hilfe der Tafeln nicht reicht, das sei "eine politische Sache", sagt Ritter. Die Tafeln seien jedenfalls nötig - "weil's nicht anders geht". Man könne das Symptombekämpfung nennen, meint sie. Aber: "In der Situation, in der wir sind, hilft es nicht, dass man sich Gedanken darüber macht." Und helfen, das möchte Heidemarie Ritter unbedingt.

Die 65-Jährige Sozialpädagogin und Gerontologin hat 31 Jahre lang das Pflegeheim Riedhof bei Egling geleitet. Das Ende im Herbst 2016 kam keineswegs erwünscht, war aber unausweichlich: Das Haus war nicht barrierefrei und entsprach den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr, die Einrichtung wurde deswegen geschlossen. Ritter aber war und ist noch voller Freude am Engagement für andere. Und so reagierte sie in diesem Frühjahr auf eine Anzeige der Tafel, die neue ehrenamtliche Helfer suchte. Dass sie nach gerade mal einem halben Jahr an der Spitze des Vereins stehen würde, hatte sie damals natürlich nicht gedacht. Als Ingrid Geiger, ihre Vorgängerin, das Amt wegen Zeitmangels niederlegen musste, wurde Ritter gefragt. Und erkundigte sich erst einmal genau, was da auf sie zukommen würde. Probehalber nahm sie auch an einer Vorstandssitzung teil. Danach habe für sie festgestanden: "Das ist so eine tolle Truppe, jeder hat seinen Bereich. So kann ich's schaffen."

Bis dahin hatte sie montags von 15 bis 19 Uhr am "Frontdesk" der Tafel an der Jeschkenstraße gestanden - das ist die direkte Ausgabe, in deren Hintergrund noch jeweils fünf, sechs andere Helferinnen und Helfer tätig sind. Mit der neuen Verantwortung aber haben die Stunden zugenommen. Gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, sei viel zu tun, sagt Ritter, da sei sie schon jeden Tag ein paar Stunden für die Tafel unterwegs. Kontaktpflege, Vernetzung, Zusammenarbeit, das ist derzeit ihre Hauptaufgabe. Und hier sieht die Vorsitzende auch noch Spielraum, sie will dafür sorgen, dass die Tafel "noch mehr publik wird".

An Lebensmitteln aber mangelt es der Einrichtung nicht. Die Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel, die im Mai ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert hat, kann regelmäßig etwa 30 Lieferanten abklappern: Im vergangenen Jahr sind zu den Sponsoren, die abgelaufene, aber noch gut essbare Waren abgeben, noch Kaufland, Aldi und Franco Fresco hinzugekommen, so dass das Spektrum nun vom großen Edeka bis zum kleinen Weidacher Backstüberl, von den beiden Rewe-Märkten bis zum Münsinger Loth-Hof-Laden reicht.

Um die achtzig Ehrenamtliche sind als Fahrer oder an der Ausgabe für die Tafel im Einsatz. Ein Team, das Ritter weiter stärken und motivieren möchte: Wenn die Atmosphäre an der Basis gut sei, stimme sie auch bei der Lebensmittelausgabe, sagt sie. Für die Menschen, die kommen, sei es schließlich nicht leicht. "Sie müssen vor sich selbst zugeben: Ich brauche das, ich bin arm." Dann sollten sie wenigstens in der Zeit, in der sie bei der Tafel sind, "ein Wohlgefühl" erleben. Das ist Heidemarie Ritters Wunsch.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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