Brauchtum in Bayern:"Es ging noch nie nur um die Religion"

Lesezeit: 3 min

Eine der bekanntesten Leonhardifahrten in Bayern ist die von Benediktbeuern im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. (Foto: dpa)

Die Tölzer Leonhardifahrt steht immer wieder in der Kritik, weil dort zu viel gefeiert werde. Heimatpfleger Norbert Göttler sieht das anders.

Interview von Pia Ratzesberger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Vom Tölzer Badeteil aus hinauf zum Kalvarienberg ziehen die geschmückten Wägen mit den Männern, Frauen und Kindern in Festtagstrachten, zu Ehren des heiligen Leonhard. Die Bauern bitten um Schutz für ihr Vieh, Tausende Zuschauer verfolgen die Wallfahrt entlang der Strecke. In den vergangenen Jahren geriet die Veranstaltung allerdings immer wieder in die Kritik - einige bemängelten, sie sei zu einem bloßen Anlass zur Trunkenheit verkommen, die Religion zunehmend in den Hintergrund geraten. Ein Gespräch mit dem Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, Norbert Göttler, über verlorene Traditionen, Schnaps zur Brotzeit und die Geschichte des heiligen Leonhard.

SZ: Herr Göttler, geht es bei Veranstaltungen wie der Leonhardifahrt überhaupt noch um die Religion?

Norbert Göttler: Wenn man dorthin geht und meint, es geht nur um die Religion, wird man erstaunt sein. Es geht bei weitem nicht nur darum, aber es ging noch nie nur um die Religion.

Wieso?

Die Menschen haben Wallfahrten wie die in Bad Tölz schon immer aus verschiedenen Motiven besucht. Ein Motiv war die Religion, ein anderes aber das Volkskundliche, die Freude am Anblick von Trachten und Pferdegespannen. Es war schon immer eine Mischung aus beidem. Und natürlich gab es seit jeher auch wirtschaftliche Motive.

Tradition in Bad Tölz
:Zwei Hüter der Leonhardifahrt

Anton Heufelder und Ludwig Bauer achten seit drei Jahrzehnten als Leonhardi-Lader darauf, dass die Wallfahrt bleibt, wie sie ist. Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Stadtrat im kommenden Jahr wollen sie künftig die Gespannfahrer aufsuchen und betreuen

Von Klaus Schieder

Wie kann man sich das vorstellen?

Auch die frühen Wallfahrten waren begleitet von vielen Märkten, Ständen und Buden. Das ist kein neues Phänomen, Wallfahrtsorte waren gleichzeitig immer auch Orte des Geschäfts. Es ist außerdem kein Zufall, dass solche Fahrten im Herbst stattfinden. Nach der harten Zeit der Ernte im bäuerlichen Alltag feierte man anschließend - ob bei der Kirchweih oder beim Erntedankfest. Bei letzterem gedachte man des Menschen, bei der Leonhardifahrt dagegen des Tiers.

In den vergangenen Jahren stand der Alkoholkonsum bei der Leonhardifahrt stark in der Kritik. Wurde früher denn auch schon getrunken?

Natürlich, die Treiber der Fahrwerke nahmen schließlich eine lange Fahrt auf sich, reisten von weither an zu diesem Festtag. Zwischendurch gab es zur Stärkung dann eine Brotzeit und dazu auch einmal einen Schnaps.

Aber nur einen?

Es hätte sich wahrscheinlich niemand getraut, sich zu betrinken, da das religiöse Moment damals noch viel stärker ausgeprägt war. Man muss bedenken, dass heute gerade noch etwa drei Prozent der Deutschen in der Kirche aktiv sind. Selbst wenn die Zahlen in Bayern hierzulande womöglich etwas höher liegen dürften, macht sich dieser gesellschaftliche Wandel bemerkbar, auch bei solchen Leonhardifahrten.

Welchen Zweck hat die Leonhardifahrt früher erfüllt?

Es war eine Mischung aus Hochreligiosität und Urreligion - denn die Verehrung des Pferdes etwa oder der Festumzug ist an sich etwas durchaus Archaisches. Solche Umzüge gab es auch schon im alten Ägypten.

Was hat sich seit Beginn der Fahrten verändert?

Das Eindringlichste ist wohl, dass durch die Säkularisation im Jahr 1803 viele Wallfahrten verboten wurden. Über zwei Generationen hinweg gab es also keinerlei Leonhardifahrten, das war einschneidend. Früher gab es Hunderte solcher Umzüge, in Folge der Aufklärung und der langen Pause aber sind dann viele verschwunden.

Wann geht der ursprüngliche Sinn der Leonhardifahrt verloren?

Wenn niemand mehr an den Kern eines solchen Events glaubt, dann verkommt das Ganze zum Schaubrauch, zum bloßen Klamauk, der nur noch für die Touristen vorgeführt wird. Das darf nicht passieren. Wenn es nur noch ein Saufgelage ist, dann trägt das nichts mehr zu unserer Identität und unseren Traditionen bei. Aber dieses Problem war vor einigen Jahren größer, jetzt hat sich die Situation meiner Einschätzung nach gebessert.

Wie viel Veränderung verträgt so eine Veranstaltung ?

Bei manchen Leonhardifahrten dürfen auch heute noch traditionell nur Männer mitfahren, die Frauen sind ausgeschlossen - das ist meiner Meinung nach absolut überholt, solche Regeln brauchen wir nicht mehr. Wir leben heute in anderen Zeiten. Ich finde, man könnte außerdem die eigentliche Bedeutung des heiligen Leonhard wieder mehr in den Vordergrund rücken.

Was meinen Sie damit?

Die Geschichte des heiligen Leonhard ist mythologisch. Das heißt, man weiß bis heute nicht, ob es ihn wirklich gegeben hat. Aber er soll ein sehr frommer Mann gewesen sein, aus der Karolinger-Zeit, und sich besonders für die Gefangenen seiner Zeit eingesetzt haben. Deshalb wurde er später stets als ein Heiliger mit Ketten dargestellt.

Und diese Darstellung hat man umgedeutet?

Genau, die Bauern haben das sozusagen verballhornt. Weil ihre Tiere im Stall angekettet waren, haben sie Leonhard schließlich zum Schutzheiligen des Viehs auserkoren. Das hat sich in der Volksreligiosität schon zu Barockzeiten entwickelt und ist dann über Jahrhunderte gewachsen.

Der heilige Leonhard (hier seine Statue in Bad Tölz) gilt als Schutzpatron des Viehs. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Warum wäre die ursprüngliche Bedeutung heute wieder wichtig?

Man könnte den heiligen Leonhard als einen Schutzheiligen der Menschenrechte ehren, das wäre eine moderne Auslegung. Der Schutz des Viehs betrifft heute schließlich nur noch einen Bruchteil der Bevölkerung, der Schutz der Menschenrechte dagegen alle.

Gehen Sie selbst denn zu Leonhardifahrten?

Immer mal wieder, gelegentlich war ich sowohl in Bad Tölz als auch in Benediktbeuern. Für mich ist das ja quasi Berufspflicht, ich beobachte dort das Geschehen.

Was zieht Sie abseits Ihrer Tätigkeit als Heimatpfleger bei so einem Event an?

Dass es schön ist, solch alte Geschirre, Wägen und farbenprächtige Trachten zu sehen. Das hat man sonst selten. Man sieht, was bayerische Bräuche auch heute noch ausmacht.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: