Klimaschutz:"Söder umarmt zwar Bäume, aber mehr nicht"

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Die Fridays For Future-Aktivisten gehören mittlerweile zum Wolfratshauser Stadtbild dazu. Hier Bild vom Aktionstag auf dem Marienplatz. (Foto: Hartmut Pöstges)

Vor zwei Jahren hat Wolfratshausen den Klimanotstand ausgerufen. Passiert ist seitdem wenig, so nehmen das zumindest die Parents for Future wahr. Was sie sich von der Stadt erhoffen, von der Staatsregierung und von einer möglichen Ampelkoalition - ein Gespräch über Erwartungen.

Von Veronika Ellecosta, Wolfratshausen

In Berlin verhandelt eine mögliche Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP gerade über die deutsche Klimapolitik der Zukunft. Unterdessen haben in Wolfratshausen Klimaaktivisten schon mehrmals vor einer Stadtratsitzung für mehr Klimabewusstsein demonstriert. Die Parents for Future sehen als Teil der Wolfratshauser Fridays-for-Future-Bewegung großen Änderungsbedarf in der lokalen Politik - und hoffen auf frischen Wind durch die neue Bundesregierung.

SZ: Kürzlich wurde das Sondierungspapier der Ampelverhandlungen veröffentlicht. Darin steht, dass der Kohleausstieg idealerweise für 2030 angepeilt werden soll. Ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen soll gestrichen und der Ausbau von erneuerbaren Energien beschleunigt werden. Sind Sie zufrieden mit diesen Zwischenergebnissen?

Margarete Moulin: Was man schon sagen kann: Im Sondierungspapier ist festgehalten, dass die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden soll. Andererseits kommen da auch Begriffe vor, bei denen es sich um Schwurbeldeutsch handelt. Die Formulierung "Kohleausstieg idealerweise bis 2030" ist eine semantische Aufweichung. Da kann hinterher niemand vor Gericht klagen, wenn man es dann doch nicht geschafft hat.

Jan Reiners: Einerseits haben wir Hoffnung, dass da endlich das Nichtstun der vergangenen 16 Jahre endet. Andererseits herrscht gerade viel Skepsis, ob sich die Grünen nicht über den Tisch ziehen lassen. Was fehlt, ist, was konkret fürs Klima getan werden wird.

David von Westphalen: Luisa Neubauer hat ja dazu gesagt, dass das Problem weniger ist, was drinsteht, sondern eher, was nicht drinsteht. Dem schließe ich mich an.

Was könnte sich für Wolfratshausen mit der Ampelkoalition ändern?

Reiners: Beim Thema erneuerbare Energien hoffe ich auf einen neuen Rahmen. Viele Vorgaben bei uns kommen von der Bayerischen Staatsregierung. Und da muss man sagen: Der Söder umarmt zwar gerne Bäume, aber getan wird nicht viel. Die Ampel auf Bundesebene kann Schwung geben, dass sich in Bayern was ändert. Man könnte über mehr Photovoltaik in der Stadt und Windräder auch bei uns im Landkreis reden, da könnte man große Ambitionen entwickeln. Es passiert dahingehend sehr wenig und alles sehr langsam.

Wie bewerten Sie also die bisherigen Ampelverhandlungen?

Westphalen: Was mich stört, ist, dass weiterhin so über das Klima verhandelt wird, als würde man mit der Physik diskutieren. Es gibt wissenschaftliche Maßgaben zum Thema und völkerrechtlich bindende Ziele. Verhandelbar ist doch nur die Frage, wie man die einhält. Wenn es ohne Tempolimit gehen soll, muss man halt woanders kürzen. An der Politisierung der Physik scheint sich aber nichts zu ändern, und das bringt uns leider wieder auf die Straße.

Moulin: Nicht leider.

Reiners: Zwischen 2030 und 2040 werden wir voraussichtlich die 1,5-Grad-Grenze überschreiten, obwohl es klare Handlungsempfehlungen seitens der Wissenschaft gibt. Auch bei uns im Landkreis gibt es von der Energiewende Oberland seit 2019 Handlungsempfehlungen.

Moulin: Wir sind nicht unzufrieden, es ist einfach ungenügend. Das ist keine Frage der persönlichen Meinung, sondern ein Abgleich mit den Fakten. Um auf die lokale Klimapolitik zu sprechen zu kommen: Auch Wolfratshausen hinkt bei den Maßnahmen hinterher. Uns kommt es so vor, als wüssten die Leute gar nicht, wie es um sie und ihre Kinder bestellt ist.

Aber das Begreifen der Klimakrise ist doch kein lokales Problem, das sich auf Wolfratshausen beschränken lässt.

Reiners: Klima war bei der Bundestagswahl eines der Topthemen, wurde aber als Parteifrage geframed und den Grünen zugeschoben. Auch in öffentlichen Medien wurde Klimaschutz oftmals Arbeitsplätzen gegenübergestellt - und der Frage, wer das bezahlen soll. Aber ohne Klimaschutz wird es noch viel teurer, es ist keine Frage des politischen Spektrums.

Moulin: Die Konservativen schaffen es, alles, was mit Umweltschutz zu tun hat, zu einem linken Thema zu machen und damit eine Antihaltung zu produzieren. Die Idee vom Umweltschutz ist ja ein urbanes akademisches Konzept und wird in der kleinstädtisch oder ländlich geprägten Bevölkerung nicht selten als etwas empfunden, das ihr oktroyiert wird.

Tun sich die Leute in einer Kleinstadt wie Wolfratshausen denn schwerer damit, Klimaschutz als drängendes Thema zu akzeptieren, als in München?

Moulin: Ich bin in Schäftlarn aufgewachsen und habe zugesehen, wie Wolfratshausen sich verändert hat, gewachsen ist und zunehmend unter dem Verkehrsinfarkt zu leiden begann. Meiner Meinung nach gibt es hier wenig Bewusstsein für die Bedeutung von demokratiepolitisch engagierter Zivilgesellschaft. Da wäre beispielsweise die Frage, wem der öffentliche Raum gehört und wer dort das Sagen hat. Den Menschen scheint oft nicht bewusst, dass eine Stadt zuerst den Bürgern gehört und nicht den Autos, weil die ja auch Bürgern gehören. Durch das Zuparken sämtlicher Straßen findet aber eine Privatisierung durch die Hintertüre statt. Mir kommt vor, viele Wolfratshauser merken gar nicht, dass sie damit einem Industriezweig die Herrschaft über ihre Stadt überlassen, nämlich dem, der den motorisierten Individualverkehr als allein selig machende Mobilität propagiert.

Westphalen: Gewachsen ist Wolfratshausen ja auch, weil Wohnen in München nicht mehr lebenswert ist. Die Kinder können dort nicht auf der Straße spielen, die Luft ist schlecht. Deshalb träumt man vom Eigenheim auf dem Land und zieht in eine Doppelhaushälfte in Wolfratshausen. Die Leute pendeln dann und das verursacht Verkehr. Die Kleinstadt ist nicht schuld. Es ist ein Problem verfehlter Urbanitätskonzepte.

Wie kann man das Bewusstsein für Klimathemen vor Ort fördern?

Reiners: Man spricht viel über Maßnahmen, aber man müsste die Klimakatastrophe plakativ machen. Der Hagelsturm, der diesen Sommer in Wolfratshausen niedergegangen ist, das wird in Zukunft häufiger vorkommen.

Moulin: Wir werden in Zukunft auch mehr Hitzetote haben, vor allem unter alten Menschen und Säuglingen. Man muss über die Folgen schreiben, nicht immer aus der Perspektive, dass Klimamaßnahmen den Menschen Verzicht aufzwingen. Die Freiheit, die wir durch klimabedingte Katastrophen verlieren werden, ist größer.

Westphalen: Ich finde aber, man sollte auch die Augen öffnen für die Chancen und die tollen Visionen. Bauen mit Holz zum Beispiel, das wird ein Riesenthema werden. Warum nicht als Kommune jetzt Tatsachen schaffen und Vorbild werden?

Im Jahr 2019 hat der Stadtrat in Wolfratshausen den Klimanotstand ausgerufen. Hat sich denn seitdem etwas verändert?

Westphalen: Es scheint, dass die Umsetzung oft an der Verwaltung scheitert. Die wurde verpflichtet, Klimaschutzmaßnahmen schneller umzusetzen und zu finanzieren. Sie muss die Klimabilanz kommunaler Vorhaben ordentlich durchrechnen und darstellen. Und sie macht das eben nicht.

Reiners: Die Stadtverwaltung ist laut eigener Aussage im Bereich Klimaschutz und Mobilität im Moment personell leider zu schwach aufgestellt. Für mich ist das aber eine Frage der Priorisierung.

Westphalen: Manche Sachen sind sogar schon vorher umgesetzt worden. Es gibt beispielsweise eine Lastenradförderung, aber niemand fährt Rad, weil die Fahrradwege in Wolfratshausen nach wie vor schlecht sind.

Reiners: Und bei Projekten wie Wasserkraft in Farchet wird hin und her geschoben zwischen der Regierung von Oberbayern, dem Landkreis und der Stadt. Bislang werden wir als Parents for Future von den Stadträten und dem Bürgermeister eher ignoriert. Sie wollen uns nicht hören, aber wir werden laut sein.

Moulin: Das wirft die Frage auf: Ist das Konzept, dass sich Bürger und Bürgerinnen einmischen, hier nicht erwünscht? Dabei hätte Wolfratshausen so eine gute Größe, um ein Vorbild für andere Städte bei Fragen des Klimaschutzes zu sein. Man könnte die Autos aus der Innenstadt holen und dafür einen guten Shuttledienst einrichten. Oder richtig gute Fahrradwege. Ich glaube, dass die Bevölkerung da mitgehen würde.

Also insgesamt sehr viel Kritik an der Wolfratshauser Klimapolitik?

Moulin: Wolfratshausen hat schon einmal gezeigt, dass es auf eine globale Krise gut reagieren kann: 2015 bei der Flüchtlingskrise war das. Das ist Einzelpersonen zu verdanken, der Verwaltung, aber auch der Bevölkerung. Es gab viel Hilfsbereitschaft, und ich weiß von keinen rassistischen Übergriffen. Da würde ich der Stadt ein Lob aussprechen. Zu wissen, dass man als Stadt schon mal eine wirklich große Herausforderung gewuppt hat, das könnte ein Ansporn sein.

© SZ vom 08.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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